# taz.de -- Dekolonisierung in Braunschweig: Die Kunst, ein Denkmal umzudeuten
       
       > Mahnmal statt Abriss: Sechs internationale Künstler:innen haben auf
       > Einladung der Stadt Ideen zum Umgang mit dem Kolonialdenkmal entwickelt.
       
 (IMG) Bild: Pompös feierte die Stadt 1925 ihr Denkmal
       
       BRAUNSCHWEIG taz | Abreißen will es offenbar keiner: Konzepte,
       Visualisierungen und Modelle, wie sich Braunschweigs Kolonialdenkmal
       dekolonisieren ließe, zeigt gegenwärtig [1][das Städtische Museum]. Die
       Arbeiten sind Ideen, die sechs internationale Künstler:innen für
       Braunschweig in einem Einladungswettbewerb entwickelt haben. Allen Arbeiten
       ist dabei gemein, dass sie das Denkmal weder physisch angreifen noch gar
       entfernen wollen. Statt Ikonoklasmus sollen Maßnahmen im Umfeld die
       Umdeutung zum Antikolonialdenkmal bewirken.
       
       Sicher, das Herzogtum Braunschweig war im 19. Jahrhundert keine treibende
       Kraft der deutschen Kolonialpolitik in Afrika, Ozeanien oder Asien. Aber es
       bestanden Handelsbeziehungen örtlicher Kaufleute und exponierte Mitglieder
       der kolonialen Streitkräfte – euphemistisch: Schutztruppen – kamen aus
       Braunschweig. Folglich regten sich auch hier politische Stimmen, den
       vermeintlich legitimen und vitalen Anspruch auf Kolonien
       aufrechtzuerhalten, als sich das Deutsche Reich im 1919 anerkannten
       Versailler Vertrag zur Aufgabe seiner Kolonien verpflichtete.
       
       Das materialisierte Resultat war, ähnlich wie andernorts, ein
       Kolonialdenkmal. Ab 1924 wurden dafür Spenden gesammelt, der
       Architekturprofessor Hermann Flesche beauftragt und 1925 das fertige
       Monument als „point de vue“ in die Allee der Kaiser-Wilhelm-Straße
       gepflanzt. Skulptural ist dieser gut mannshohe, axialsymmetrische Monolith
       ein Pyramidenstumpf auf rechteckigem Sockel. Seine Sichtseite ziert das
       Hochrelief eines verletzten Löwen, der mit einer Pranke noch immer die
       Weltkugel zu halten in der Lage ist.
       
       Der Löwe ist vieldeutig interpretierbar: Er stand für das „Edle Wilde“
       alles Kolonialen ebenso wie für die kaum zu brechende Willenskraft zur
       Rückeroberung der abgetretenen Lande. Zudem war der Löwe das Wappentier des
       1918 abgedankten Herzogs aus dem Hause der Welfen. Unter dem NS-Regime
       musste das Denkmal einer städtebaulichen Verlängerung der Straßenachse
       weichen, es wurde 1937 an den jetzigen, abseitigen Standort am Stadtpark
       versetzt – und fiel in Vergessenheit.
       
       Ein Schulprojekt sowie eine Seminararbeit der TU Braunschweig haben seit
       2004 seine Geschichte aufgearbeitet. Diverse Tafeln vor dem Denkmal sind
       der Niederschlag, auch ein QR-Code für Erläuterungen durch die Stadt.
       Neues, kritisches Interesse am Denkmal, entfachten die
       Black-Lives-Matter-Bewegung und ein großes Ausstellungsprojekt des
       Kunstvereins Braunschweig. [2][Das hatte sich 2020 dem ersten und
       verkannten Schwarzen Philosophen Anton Wilhelm Amo gewidmet,] geboren um
       1700, auf seinem Grabstein steht das Todesjahr 1784.
       
       Dessen Geschichte begann als verschlepptes afrikanisches Kind am Hofe
       Herzog Anton Ulrichs, sie führte ihn als Hochschullehrer an die
       Universitäten von Wittenberg, Halle und Jena – und endete in Einsamkeit an
       der Goldküste. Wie etwa in Bremen mit dem Elefanten erfolgreich
       praktiziert, sind auch in Braunschweig weitere Schritte in Richtung einer
       Dekolonialisierung nicht nur dieses Denkmals überfällig.
       
       Deshalb lud die Stadt Braunschweig im vergangenen Jahr, beraten durch ein
       künstlerisches und ein wissenschaftliches Kuratorium, zwölf internationale
       Künstler:innen zu einem Beitrag ein, der „das bisher im Denkmal
       formulierte historische Selbstverständnis und dessen darin verhandelte
       geschichtliche Perspektive kommentieren, aufbrechen, kontrastieren und
       ergänzen“ solle. Und die Hälfte der Eingeladenen reichten Ende November
       ihre Konzepte, Visualisierungen und Modelle ein. Alle Arbeiten schlagen
       Maßnahmen im Umfeld vor.
       
       Visuell „aufbrechen“ will es etwa die niederländische Kunst-Aktivistin
       Patricia Kaersenhout. Sie arbeitet analog dem aztekischen Obsidianspiegel
       aus geschliffenem, dunklem Glasgestein mit reflektierenden schwarzen
       Flächen, die immer nur einen Teil des Denkmals widerspiegeln. Aber: Wenn
       sich die Schnüre vereinen, können sie den Löwen fesseln, deutet sie ein
       afrikanisches Sprichwort aus.
       
       Ein anderes Sprichwort, benutzt von der Dänin Jeanette Ehlers, besagt, dass
       die Geschichte solange den Jäger verherrlichen wird, bis die Löwen ihre
       eigenen Historiker finden. Sie schlägt ein reduziertes Denkmaldouble aus
       afrikanischem Stampflehm vis à vis des Bestandes vor, mit einer
       Leuchtschrift dieses Sprichworts. Zwei weitere Teilnehmer:innen
       arbeiten ebenfalls mit Gegendenkmalen in räumlicher Sichtweite.
       
       Die aus Sambia gebürtige Gladys Kalichini lässt fünf große bronzene
       Blumenkränze im Alleegrün vor dem Denkmal in etwa der Sockelhöhe des
       Monuments schweben. Der Blumendekor ist afrikanischen Memorialzeremonien
       nachempfunden. Jeglichen Gestaltungsbemühungen enthält sich die Berliner
       Konzeptkünstlerin Anike Joyce Sadiq. Sie hat mit einer Anwältin den Antrag
       vorbereitet, das Löwenmonument aus dem niedersächsischen Denkmalverzeichnis
       zu streichen.
       
       Das Antragsdatum will sie in einer Tafel am Ort dokumentiert sehen, eine
       zweite Tafel soll den offiziellen Beschluss – Aufhebung des Denkmalschutzes
       oder Ablehnung des Antrags – verzeichnen. Aktuell sind die Arbeiten
       öffentlich ausgestellt, eine soll im nächsten Jahr umgesetzt werden. Fragt
       sich, welche.
       
       26 Mar 2023
       
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