# taz.de -- GEW zur Wissenschaftlerförderung: „#IchBinHanna wird weitergehen“
       
       > Das Forschungsministerium plant bessere Verträge für
       > Wissenschaftler:innen. Die Vorschläge aber seien viel zu schwach, sagt
       > GEW-Vize Andreas Keller.
       
 (IMG) Bild: 2019 demonstrierten Wissenschaftler:innen gegen den Befristungswahn. Daran ändert sich wohl wenig
       
       taz: Herr Keller, fast alle Wissenschaftler:innen, die keine Professur
       haben, arbeiten auf befristeten Stellen. Die Ampel [1][hat Vorschläge
       vorgelegt], um das zu ändern. Kommt nun die Trendwende? 
       
       Andreas Keller: Nein. Die Ampelkoalition will zwar die
       Höchstbefristungsdauer für Qualifizierungen von derzeit 12 auf 9 Jahre
       reduzieren. Aber es gibt keinerlei Vorgaben für Hochschulen und
       Forschungseinrichtungen, danach Dauerstellen anzubieten oder zumindest
       Entfristungszusagen zu machen.
       
       Aber immerhin soll Doktorand:innen nun eine Mindestvertragslaufzeit von
       3 Jahren angeboten werden. Das ist doch was, oder? 
       
       Das ist ein erster Schritt. Bislang steht im Gesetz nur „angemessene
       Laufzeit“. Jetzt haben wir immerhin eine konkrete Zahl, die allerdings zu
       niedrig ist. Die durchschnittliche Promotionszeit liegt bei 5,7 Jahren.
       
       Die soll so ins Gesetz? 
       
       Wir fordern eine Laufzeit von mindestens 4 Jahren und zwar verpflichtend
       
       Was spricht dagegen? 
       
       Der Wunsch der Arbeitgeber flexibel mit ihren Beschäftigten umzugehen. Also
       sie dauerhaft in Probezeit anzustellen. Hinzu kommt, dass die Hochschulen
       und Forschungseinrichtungen weiterhin gar nicht verpflichtet sind, eine
       Qualifizierung im Sinne einer Promotion anzubieten. Dafür wäre es
       erforderlich gewesen, den Qualifizierungsbegriff im Gesetz genauer zu
       definieren.
       
       Wer die Promotion abgeschlossen hat, darf nun maximal drei statt bislang
       sechs Jahren befristet beschäftigt werden. Und danach – Dauerstelle oder
       Kündigung? 
       
       Ich fürchte, für die allermeisten wird es nicht weitergehen. Die Erfahrung
       zeigt, dass die Hochschulen freiwillig keine Dauerstellen anbieten, sofern
       sie dazu nicht rechtlich verpflichtet sind. Die Hochschulen könnten dazu
       übergehen verstärkt Lehrbeauftragte zu rekrutieren oder Personal über
       Drittmittel zu beschäftigen. Stellen, die nicht aus Haushaltsmitteln
       finanziert werden, dürfen weiterhin befristet ausgeschrieben werden.
       
       Aber es gibt doch die Möglichkeit über befristete Juniorprofessuren
       verlässlich auf eine ordentliche Professur zu gelangen? 
       
       Im Rahmen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes ist das nicht zulässig. Für
       die Juniorprofessuren sind die Länder zuständig. Es gibt allerdings nur
       sehr wenige solcher Juniorprofessuren, und die meisten haben keinen Tenure
       Track, führen also allenfalls zufällig zur Dauerstelle.
       
       Aber die Aufgaben sind ja da, die Unis brauchen die wissenschaftlichen
       Mitarbeiter:innen. Wieso lassen die sich das alles gefallen. Gibt es
       einfach zu viele, die in die Wissenschaft wollen? 
       
       Nein. Einige Fächer, etwa im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik,
       Naturwissenschaft, Technik) oder in den Bildungswissenschaften haben jetzt
       schon Probleme, Leute für die vielen Kurzzeitverträge zu bekommen. Auch die
       Hochschulen spüren mittlerweile den Fachkräftemangel. Der wird sich
       verschärfen, denn in der Industrie verdient man deutlich besser und kann
       verlässlicher planen. Die Hochschulen müssen umdenken, und der Gesetzgeber
       muss sie dazu zwingen.
       
       Die Gewerkschaftsforderung Zeitverträge nach der Promotion ganz
       abzuschaffen, wollte die Ampel dennoch nicht aufgreifen. Warum nicht? 
       
       Wir fordern lediglich für Postdocs keine Verträge ohne Entfristungszusage
       abzuschließen, also die Möglichkeit entfristet zu werden, wenn man
       bestimmte Ziele erreicht. So ist es auch in Berlin geregelt. Es wurde
       behauptet, das ginge auf Bundesebene nicht. Das sehen wir anders: Der Bund
       ist für das Arbeitsrecht zuständig. Es fehlte einfach der politische Wille.
       
       Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft behauptet, zu viele Dauerstellen
       würden den wissenschaftlichen Austausch behindern und talentierten
       Nachwuchs in andere Länder treiben. Hat er recht? 
       
       Die Arbeitgeber wollen am liebsten unbegrenzte Befristungsmöglichkeiten
       haben. Tatsache ist, im Ausland sind wissenschaftliche Karrieren deutlich
       früher und besser planbar als bei uns. Im britischen Modell hat man sehr
       viel früher eine Dauerstelle und kann dann aufsteigen. Wir gehen in
       Deutschland einen Sonderweg, den wir überwinden müssten.
       
       Der Regierungsentwurf soll voraussichtlich noch vor der Sommerpause in den
       Bundestag eingebracht werden. Was plant die GEW bis dahin? 
       
       Wir laden am 29. März alle Betroffenen zu einem öffentlichen
       Townhall-Meeting ein, wo wir den Gesetzentwurf bewerten und eine Strategie
       diskutieren, damit es doch noch zu einer echten Reform kommt.
       
       #IchBinHanna, die Bewegung, welche Betroffene in sozialen Medien gegründet
       haben, lebt weiter? 
       
       Auf jeden Fall. Ich habe der Ampel immer gesagt, wenn es keine echte Reform
       gibt, dann wird es eine zweite [2][#IchBinHanna-Bewegung] geben. Und die
       scheint gerade schon anzulaufen. Die Ampelkoalition wollte sich nicht mit
       den Hochschulrektor:innen anlegen. Dafür legt sich jetzt mit
       hunderttausenden Beschäftigten im Hochschul- und Forschungsbereich an.
       
       20 Mar 2023
       
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