# taz.de -- Pränataltests auf das Downsyndrom: Trügerischer Bluttest
       
       > Seit Juli zahlen die Krankenkassen einen Pränataltest auf das
       > Downsyndrom. Welche Folgen hat das für die Schwangeren?
       
 (IMG) Bild: Die von der Kasse bezahlten Bluttests werden von vielen Frauen in Anspruch genommen
       
       BREMEN taz | Seit Juli zahlen die gesetzlichen Krankenversicherungen die
       Kosten des nichtinvasiven Pränataltests (Nipt) auf das Downsyndrom. Er wird
       seit zehn Jahren in Deutschland angeboten und musste bisher selbst bezahlt
       werden. Jetzt scheint sich zu bewahrheiten, wovor nicht nur
       Behindertenverbände, sondern auch Pränataldiagnostiker:innen im
       Vorfeld gewarnt hatten: Der Test wird reihenweise angewendet, ohne
       ausreichende Aufklärung über die Risiken.
       
       Der Nipt, bei dem das Blut der Schwangeren untersucht wird, kann zwar die
       Trisomie 21 (Downsyndrom) mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen.
       Aber in 30 Prozent der Fälle gibt es ein falsch-positives Ergebnis. Je
       jünger die schwangere Person, desto höher das Risiko für eine
       Falschaussage. Das war vor der Kassenzulassung bekannt und steht auch in
       der [1][Broschüre des Gemeinsamen Bundesausschuss für Patientinnen], die
       aber offenbar zu selten gelesen oder verstanden wird.
       
       „Viele hören von der hohen Falsch-positiv-Rate zum ersten Mal, wenn sie bei
       uns sind“, sagt Birgit Völlmecke, die als Ärztin in einer von zwei großen
       Praxen für Pränataldiagnostik in Bremen arbeitet. Dahin werden Schwangere
       überwiesen, wenn ihre Gynäkolog:in einen auffälligen Befund im
       Spezial-Ultraschall abklären lassen will. Völlmecke hat im Januar an einem
       Austausch zum Nipt teilgenommen, organisiert vom Bremer
       Landesbehindertenbeauftragen und der Landesfrauenbeauftragten. Die
       Teilnehmenden waren sich einig, heißt es in einem Protokoll, dass
       Schwangeren selten klar sei, wann der Test sinnvoll ist.
       
       „In der Beratung lassen sich viele überzeugen, ihn nicht grundlos zu
       machen, einfach nur weil er ‚umsonst‘ ist“, sagt die Ärztin Völlmecke. Denn
       um sicher zu wissen, ob tatsächlich eine Trisomie 21 – die Trisomien 13 und
       18 sind im Ultraschall viel auffälliger – vorliegt, muss in der Regel das
       Fruchtwasser untersucht werden oder ein Teil der Plazenta. Dies geschieht
       mittels Punktion der Bauchdecke und birgt ein Fehlgeburtsrisiko von 0,5
       bis 1 Prozent.
       
       Die Zahl solcher invasiven Untersuchungen sollte der Nipt eigentlich
       senken, lautete das Versprechen der Pharmaunternehmen. Doch nach den
       Erfahrungen aus Bremen ist das Gegenteil eingetreten. „Wir machen das nun
       häufiger – aufgrund des positiven Nipt“, sagt Völlmecke. Dies bestätigen
       auch Kolleg:innen aus Bremen, Hannover und Münster. Konkrete Zahlen
       können sie nicht nennen, zumal es sich jeweils um kleine Mengen handelt.
       Auch die Krankenversicherungen haben noch keine Auswertung.
       
       ## Späte Abbrüche
       
       Es gibt ein weiteres Problem mit dem Test. Denn dieser würde von vielen
       Schwangeren so verstanden, dass er ihnen eine Aussage darüber liefert, ob
       ihr Kind gesund sein wird, sagt die Pränataldiagnostikerin Völlmecke. „Nach
       dem Motto ‚Das ist ein moderner Bluttest, den mach ich mal und dann weiß
       ich Bescheid.‘“
       
       Dabei kann dieser ausschließlich etwas über Chromosomen-Aberrationen sagen,
       die [2][nur etwa 5 Prozent aller Fehlbildungen ausmachen]. Das führt nach
       Beobachtung der Pränataldiagnostiker:innen dazu, dass Schwangere
       auf weitere Diagnostik in der Frühschwangerschaft verzichten – und nicht
       alle Gynäkolog:innen sie darauf hinweisen, dass der Nipt nur etwas
       über Trisomien aussagt.
       
       In der Folge werden weitere Fehlbildungen des Skeletts oder der Organe erst
       bei späteren Ultraschall-Untersuchungen um die 20. Woche erkannt. „Dann hat
       das Kind vielleicht kein Downsyndrom, aber es fehlt das Gehirn“, bringt es
       ein Arzt drastisch auf den Punkt.
       
       „Wir sehen jetzt häufiger Frauen erst zu einem sehr späten Zeitpunkt in der
       Schwangerschaft“, sagt Pränataldiagnostikerin Völlmecke – eine
       Beobachtung, die auch andere Kolleg:innen machen. Das bedeutet, dass
       auch [3][die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch sehr spät
       fällt], unter Umständen erst nach der 24. Schwangerschaftswoche, wenn das
       Kind außerhalb des Mutterleib mit medizinischer Hilfe lebensfähig wäre und
       vor der Geburt mit einer Kaliumchloridspritze ins Herz getötet wird.
       
       In der Statistik bildet sich das noch nicht ab. Im dritten Quartal 2022 gab
       es sogar weniger dieser ganz späten Abbrüche als im Vorjahreszeitraum.
       
       Der Test an sich sei nicht das Problem, sagt Völlmecke. So könne er nach
       einem auffälligen Ultraschallbefund zunächst anstelle einer
       Fruchtwasseruntersuchung eingesetzt werden, um eine Trisomie 21
       auszuschließen. Aber dadurch, dass die Kassen ihn finanzieren, würde
       suggeriert, er wäre ein geeignetes diagnostisches Instrument.
       
       Besser wäre es, wenn die Kassen stattdessen wie in anderen Ländern eine
       Organdiagnostik per Ultraschall am Ende des ersten Trimenons finanzieren
       würden, um auch andere Fehlbildungen erkennen zu können. Die Kosten liegen
       etwa gleich hoch. „So würde auch nicht die Botschaft transportiert, das
       Downsyndrom sei das Riesenproblem, das unbedingt ausgeschlossen werden
       muss.“
       
       Ob der Nipt dazu führen wird, dass noch weniger Kinder mit dem Downsyndrom
       zur Welt kommen werden als bisher, ist unklar. Denn auch vor der
       Kassenzulassung wurde schon nach der Trisomie 21 gesucht, vor allem bei
       Schwangeren über 35, da das Risiko mit zunehmendem Alter der Mutter steigt.
       Durchschnittlich weisen hierzulande 0,2 Prozent aller Föten eine Trisomie
       21 auf. Bei 800.000 Schwangerschaften – jährlich werden etwa 700.000 Kinder
       in Deutschland geboren und 100.000 Schwangerschaften abgebrochen – würden
       also 1.600 Kinder mit Downsyndrom geboren.
       
       ## Systematische Abbruch-Anlayse gibt es nicht
       
       Nach einer älteren britischen Studie werden bis zu 90 Prozent aller
       Schwangerschaften bei einem bestätigten Verdacht auf eine Trisomie
       abgebrochen. Eine systematische Analyse, wie viele Schwangerschaften
       aufgrund dieser Diagnose abgebrochen werden, gibt es in Deutschland nicht.
       Nach dem Fehlbildungsregister Sachsen-Anhalt [4][wurde das Downsyndrom im
       Jahr 2021 35 Mal nachgewiesen], in 19 Fällen wurde die Schwangerschaft
       abgebrochen.
       
       Auch die verfügbaren Zahlen des Statistischen Bundesamts liefern keinen
       eindeutigen Anhaltspunkt für einen Zusammenhang zwischen dem Nipt und
       Schwangerschaftsabbrüchen. Zwar gab es im 3. Quartal 2022 – also dem
       Vierteljahr nach Kassenzulassung – 16,7 Prozent mehr
       Schwangerschaftsabbrüche als im Vergleichszeitraum 2021. In absoluten
       Zahlen: 3.785 Abbrüche mehr. Aber zum einen waren im ganzen Jahr 2021 die
       Abtreibungen überdurchschnittlich gesunken. Zum anderen waren es auch im
       ersten und zweiten Quartal 2022 mehr als im Vergleichszeitraum.
       
       Der Bluttest allein kann für den Anstieg nicht verantwortlich sein. Denn
       die Abbrüche haben auch vor der vollendeten 10. Schwangerschaftswoche
       zugenommen, also zu einem Zeitpunkt, an dem in Ausnahmefällen gerade einmal
       das erste Testergebnis vorliegt, da der Nipt erst ab Beginn der zehnten
       Woche aussagekräftig ist.
       
       Um Klarheit zu schaffen, will das Bundesland Bremen – aufgescheucht durch
       die Einschätzungen der Fachleute – die Bundesregierung auffordern, ein
       Monitoring zu den Folgen des Tests einzuführen, um belastbare Daten zu
       haben. Zudem solle ein Expert:innengremium „die rechtlichen,
       ethischen und gesundheitspolitischen Grundlagen der Kassenzulassung des
       Nipt“ prüfen. Einen entsprechende Bundesratsinitiative will das Bremer
       Landesparlament diese Woche mit den Stimmen von SPD, Grünen, Linken, CDU
       und FDP auf den Weg bringen. Einen Tag nach dem Welt-Downsyndrom-Tag am
       Dienstag.
       
       21 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.g-ba.de/downloads/17-98-5156/2021-11-09_G-BA_Versicherteninformation_NIPT_bf.pdf
 (DIR) [2] http://www.angeborene-fehlbildungen.com/Angeb_Fehlbildungen.html
 (DIR) [3] /Spaete-Schwangerschaftsabbrueche/!5886892
 (DIR) [4] http://www.angeborene-fehlbildungen.com/monz_mm/Dokumente/Jahresberichte/Bericht2021_WEB.pdf
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eiken Bruhn
       
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