# taz.de -- Joe Chialo soll Kultursenator werden: Der Beste für Berlin?
       
       > Ein CDU-Mann wird wohl bald für die Hauptstadtkultur zuständig sein. Der
       > Musikmanager muss sich besonders für die freie Szene einsetzen.
       
 (IMG) Bild: Disco-Typ oder Turnschuh-Senator: Chialo muss sich beweisen
       
       Dürre sechs Seiten ist das Kapitel „Kultur und Medien“ im
       Koalitionsvertragsentwurf stark, auf den sich CDU und SPD aktuell
       verständigt haben. Laut Titel „Das Beste für Berlin“, wird dieses Papier
       die Grundlage für die nächsten drei Jahre gemeinsamer Regierung bilden –
       sofern nichts mehr dazwischenkommt. Unbestrittene Siegerin der kürzlichen
       Wiederholungswahl, wird die CDU dabei auch den Kultursenator stellen, der
       nun Klaus Lederer (Linke) ablösen soll.
       
       Joe Chialo, 1970 in Bonn als Kind tansanischer Diplomaten geboren, ist ein
       politisch unbeschriebenes Blatt – was mit Blick auf die Klüngel-Historie,
       die der Berlin-CDU anhängt, eine gute Nachricht sein könnte. Anfang der
       1990er-Jahre sang er bei den fränkischen Funk-Metallern Blue Manner Haze.
       Ausgerechnet ein Major-Plattenvertrag beschleunigte das Ende der
       Indie-Band.
       
       Auf seinem Instagram-Account empfiehlt er sich heute gut-konservativ als
       „Familienvater“, „Unternehmer“ und, ja, als „Christdemokrat“. Im
       „Zukunftsteam“ des damaligen Kanzlerkandidaten Armin Laschet musste Chialo
       schon deswegen auffallen, weil man so viel Diversität von den
       Unionsparteien sonst eher nicht kennt.
       
       Doch fiel der selbsterklärte „Afropäer“, der auf seinem Label Afroforce1
       „afrikanisches Talent“ in Form zweier musikalisch sehr weich gespülter Acts
       aus Südafrika vermarktet, als Direktkandidat für die
       CDU-Spandau-Charlottenburg bei den Wählern durch. Wie er den im
       Vertragsentwurf versprochenen „Aufbruch für die Stadt“ stemmen will, bleibt
       abzuwarten.
       
       ## Lederer traf den Ton
       
       Dagegen galt Lederer parteiübergreifend als einer der beliebtesten
       Hauptstadtpolitiker. Als Senator für Kultur und Europa war er weithin
       geachtet in der vielfältigen und tief von „high“ nach „frei“ gestaffelten
       Berliner Kulturszene. In seiner nun abrupt beendeten Amtszeit steigerte
       sich der Kulturetat auf stolze 900 Millionen Euro.
       
       Zudem traf Lederer mit seiner in den Pandemie-Jahren entschlossenen
       Förderpolitik den Ton nicht nur der freien Szene. Einer der letzten großen
       Erfolge Lederers: Er hatte mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne)
       diskret am teuren Rettungsplan mitgestrickt, der den abrissbedrohten
       Hamburger Bahnhof nunmehr dauerhaft für den Betrieb als Museum für
       Gegenwart sichert.
       
       Doch ist das nur ein kleines Teilstück [1][der riesigen Dauerbaustelle
       Stiftung Preußischer Kulturbesitz.] An der von Bund und Ländern gemeinsam
       getragenen SPK mit Publikumsmagneten wie dem nun auf Jahre hin
       geschlossenen Pergamonmuseum hat Berlin als Sitzland ein besonderes
       Interesse. An dem Beispiel wird deutlich, dass es in der Berliner
       Kulturpolitik einerseits um populäre Themen, um Ateliernot, Clubsterben,
       kreative Freiräume und drohende Verdrängung geht.
       
       Andererseits überlappen hier gerne mal Zuständigkeiten des Bundes mit
       solchen des Landes (und der Stadt). Da geht es um Administration, viel
       Geld, aber auch um programmatische Weitsicht und historische Verantwortung.
       Die seit Jahren diskutierte, durch die SPK-Führung verschleppte Reform der
       Preußenstiftung gehört hier ebenso dazu wie das von Beginn an verkorkste
       Mehrzweck-Humboldt Forum oder – andere Ecke – das Elend deutscher
       Filmförderung.
       
       ## CDU stand einst für Hochkulturkompetenz
       
       Da mag so mancher heimlich aufatmen, dass der Linke endlich weg ist.
       Schließlich stand die CDU einst insbesondere für Hochkulturkompetenz. Die
       wäre dringend gefragt, wo es etwa um die Staatsoper-Personalie Daniel
       Barenboim geht, nachdem sich der 81-jähirge Stardirigent
       [2][gesundheitsbedingt Ende Januar von seinem Posten als
       Generalmusikdirektor zurückgezogen hat.]
       
       Neben Fachkompetenz braucht es aber auch politische Power, wenn es darum
       geht, die Rolle Berlins als „Bundeskulturhauptstadt“ mit internationaler
       Strahlkraft gegenüber den seit der Zeit Monika Grütters’ als Beauftragte
       für Kultur und Medien (BKM) massiv gewachsenen kulturpolitischen Ambitionen
       des Bundes zu stärken.
       
       Immerhin verspricht das Koalitionspapier, das Humboldt Forum als
       „eigenständige Institution“ halten zu wollen, zugleich aber die weitere,
       bisher glücklose Beteiligung Berlins zu „prüfen“. Das Thema hatte
       allerdings schon Lederer ins Spiel gebracht. Wie drängend aber ist es,
       „eine repräsentative Straße bzw. einen Platz nach Helmut Kohl zu benennen“?
       
       Für die SZ der „Disco-Typ“, laut Berliner Morgenpost ein
       „Turnschuh-Senator“, mag Chialo der Berliner CDU nun ein medienwirksam
       divers-weltoffenes Image geben.
       
       Als Unternehmer in Sachen Kulturindustrie mag er tatsächlich ein Händchen
       für die überparteilich gewollte, neoliberale Transformation spezifischer
       „Künste“ in eine anwendungsflexible „Kultur- und Kreativwirtschaft“ haben –
       wie einst Kultur-Staatssekretär und Ex-Musik-Manager Tim Renner, dem die
       Stadt zuvorderst den Großkurator Chris Dercon auf dem Intendantenposten der
       Volksbühne verdankte. [3][Mit deren Folgen kämpft die Bühne am
       Rosa-Luxemburg-Platz bis heute.] 
       
       ## Kreativwirtschaft als Allheilmittel?
       
       Ohnehin ist in Frage zu stellen, inwieweit das Konzept „Kreativwirtschaft“
       als Allheilmittel taugt. Vor allem, wenn laut Vertragsentwurf bestehende
       Programme – etwa die landeseigene und jüngst seitens des Berliner
       Berufsverbands Bildender Künstler (bbk) in die Kritik geratene Kulturraum
       gGmbH, die Räume zur kreativen Nutzung sicherstellen soll – erst einmal
       nach Kräften „evaluiert“ werden? Kultureller „Aufbruch“, eine
       kulturpolitisch tragfähige Vision für die Standorte Tempelhof oder ICC?
       [4][Kein Wort davon im Koalitionspapier!]
       
       Mal sehen, was gestandene Bildungsbürger und hartgesottene Berghain-Fans
       jeweils so zur Politik eines Mannes sagen werden, der im Hauptjob bisher –
       als Söldner für den Musik-Giganten Universal – Ben Zucker, die Kelly Family
       und andere solcher Schlagerkaliber gemanagt hat.
       
       8 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Reform-Stiftung-Preussischer-Kulturbesitz/!5896718
 (DIR) [2] /Ruecktritt-vom-Daniel-Barenboim/!5907149
 (DIR) [3] /Neustart-an-der-Berliner-Volksbuehne/!5799620
 (DIR) [4] https://spd.berlin/media/2023/04/Koalitionsvertrag_2023-2026_.pdf
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hans-Jürgen Hafner
       
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