# taz.de -- Der Hausbesuch: Er traut sich was
       
       > Karim Yahiaoui ist Hochzeitsredner, viele Promis zählen zu seinen Kunden.
       > Hätte ihm das früher jemand erzählt, er hätte es nicht geglaubt.
       
 (IMG) Bild: Die Familie ist für Karim Yahiaoui das Wichtigste
       
       Schichtleiter, Rapper, Hochzeitsredner, bald auch Coach – Karim Yahiaoui
       hat immer neue Ideen. Aufgeben gibt es für ihn nicht.
       
       Draußen: Das Dorf Salzhemmendorf, in dem Karim Yahiaoui mit seiner Frau und
       den drei Kindern lebt, ist nicht weit von der Rattenfängerstadt Hameln
       entfernt. Dort wurde er 1987 geboren. Er liebe das Weserbergland, sagt
       Yahiaoui, er wollte nie weg. Einziges Manko: „Ich bin Veganer, und hier
       vegan essen zu gehen ist eine Katastrophe.“ Das Einfamilienhaus haben er
       und seine Frau vor ein paar Jahren gekauft. Dass so etwas möglich sein
       würde, hätte er früher nicht mal zu träumen gewagt.
       
       Drinnen: Aus dem ersten Stock hört man Lachen. „Wir spielen das
       Schneckenspiel“, ruft eine Kinderstimme. Das Haus ist hell eingerichtet, an
       das Wohnzimmer grenzt ein Wintergarten. Im Treppenhaus hängt ein großes
       Hochzeitsbild von Yahiaoui und seiner Frau. Er kocht Kaffee und Tee, auf
       dem Küchentisch stehen Wasser, Süßigkeiten und Obst.
       
       Ein besseres Leben: Sein Vater kommt in den 70er Jahren aus Tunesien nach
       Deutschland, als Gastarbeiter. In der Heimat war er Schneider, in
       Deutschland arbeitet er bei einem Fertighausanbieter am Band. Die Mutter
       ist Hausfrau, sie muss als Putzkraft dazuverdienen. „Meine Eltern haben
       immer Geld nach Hause geschickt und dort ein Haus gekauft, mit dem
       Gedanken, eines Tages wieder zurückzugehen. Dazu kam es nie.“ Aber auch in
       Deutschland fassen die Eltern nicht wirklich Fuß. „Leider.“
       
       Keine Integration: Malochen ist für den Vater der Lebensinhalt. Die Mutter
       tut sich im neuen Land schwerer. „Am Anfang hat sie den ganzen Tag geweint
       und wollte zurück, sie hatte niemanden hier, keine Sprachkurse oder andere
       ausländische Familien.“ Seine 1978 geborene Schwester wird die ersten Jahre
       zur Großmutter nach Tunesien geschickt. „Sie sollte die tunesische Kultur
       kennenlernen. Weil es den Plan gab, wieder zurückzugehen.“ Er und sein
       älterer Bruder bleiben bei den Eltern.
       
       Anders: 2015 erlangt Salzhemmendorf traurige Berühmtheit. Rechtsextreme
       verüben einen Brandanschlag auf eine Asylunterkunft; die Medien berichten.
       Was Rassismus ist, weiß Karim Yahiaoui als kleiner Junge noch nicht. Aber
       er weiß, dass er und seine Familie anders aussehen. „‚Neben dem möchte ich
       nicht sitzen, der stinkt‘, so was hab ich in der Grundschule oft gehört.
       Und ich war selten bei Kindergeburtstagen eingeladen. Vielleicht weil ich
       anders aussah.“
       
       Schikanen: Auch für sein Übergewicht wird er damals beschimpft. „Fettsack,
       dickes Schwein. Kinder sind grausam.“ Heute sind die Kilos verschwunden. Er
       sei selbstbewusster, sagt er. Aber ein Stück weit sei Ausgrenzung hier, in
       seiner Heimat, geblieben, fügt er mit harter Stimme hinzu. „Als junger Mann
       wurde niemand mit dem Auto so oft angehalten wie ich. Gerade neulich
       wieder, als ich meine Kinder zur Kita gebracht habe, grundlos. Das macht
       mich so unfassbar wütend.“
       
       Immer dazwischen: Über seine Eltern spricht Karim Yahiaoui voll Liebe, er
       erzählt aber auch, dass es nicht einfach gewesen sei mit dem ständigen
       Kultur-Clash. „Meine Eltern waren streng, ich hatte wenig Freiräume.“ Für
       andere ist eine Klassenfahrt etwas Normales; er muss darum kämpfen. Auch
       aus finanziellen Gründen. „Die anderen hatten teilweise so coole Lego- oder
       Playmobilsachen, das wollte ich auch.“ Die Sommerferien verbringt die
       Familie immer bei der Verwandtschaft in Tunesien. „Das war cool, danach
       allen davon zu erzählen“, erinnert er sich. „Dabei war das kein
       Strandurlaub, sondern viele Menschen in einer zu kleinen Wohnung in einer
       riesigen, dreckigen Stadt. Trotzdem ist das eine schöne Erinnerung.“
       
       Freunde: Zuerst geht Karim Yahiaoui auf die Realschule; nach einem Jahr
       muss er auf die Hauptschule wechseln. „Das war für meine Eltern schlimmer
       als für mich. Für mich war die Zukunft weit weg.“ Nach der zehnten Klasse
       besucht er die Höhere Handelsschule. Obwohl ihm der Wirtschaftszweig
       überhaupt nicht liegt, bezeichnet er diese Zeit als Befreiung: Hier trifft
       er endlich auf andere Jugendliche mit Migrationsgeschichte, findet
       Role-Models. „Ich habe angefangen zu rappen und bin in eine völlig andere
       Welt abgetaucht. Es war immer mein Hustle, Freunde zu finden. Plötzlich war
       das leicht.“
       
       Schicksalsschläge: 2006 verunglückt ein Schulbus auf dem Weg von
       Salzhemmendorf nach Hameln, drei Schüler:innen sterben. Auch sein guter
       Freund Denis. Ein Jahr zuvor ist seine Mutter an Darmkrebs gestorben. Die
       Erinnerung an diese Zeit sei nur lückenhaft, sagt er. „Sonst hätte ich es
       wahrscheinlich nicht ausgehalten.“ Auch der Vater wird krank, auf einen
       Schlaganfall folgt eine Hirnhautentzündung. Yahiaoui bricht die Schule ab,
       hangelt sich mit Nebenjobs durch. „Wir hatten kein Geld mehr. Mein Vater
       konnte nicht arbeiten, und die Beerdigung meiner Mutter in Tunesien war
       teuer. Wir Kinder mussten das irgendwie auffangen.“ Ein Lichtblick in der
       Zeit: 2005 lernt er Lisa kennen, die beiden werden ein Paar.
       
       Arbeit: Eigentlich läuft es gut mit dem Rap, er hat erste Auftritte, aber
       davon leben kann er nicht. „Ich hätte alles auf eine Karte setzen müssen,
       dazu war ich nicht bereit. Ich hatte Angst, dass ich mein ganzes Herzblut
       reinhaue und am Ende enttäuscht werde.“ Er jobbt nebenbei bei einem
       Naturkosmetikhersteller. „Du kannst nicht ohne Ausbildung sein“, sagt sein
       Chef und bietet ihm eine Ausbildung zum Chemikanten an. „Für diese Chance
       bin ich dankbar.“ Er arbeitet sich zum stellvertretenden Schichtleiter
       hoch. Gruppen durchs Werk führen, so was macht ihm Spaß. „Da habe ich
       gemerkt, dass ich gut reden kann, die Leute zum Lachen bringe. Ich liebe
       Interaktion.“
       
       Neustart: 2015 heiraten er und Lisa, kurz darauf wird ihre erste Tochter
       geboren. Seinen Job findet er okay, aber auch nicht mehr. Weil das nicht
       alles gewesen sein kann, fängt Karim Yahiaoui an, Bücher über
       Unternehmertum zu lesen, er überlegt, was er nebenberuflich machen könnte,
       damit vielleicht mal eine Fernreise drin ist. „Du bist ein Hauptschüler,
       der nichts kann. Diesen Gedanken aus meinem Kopf rauszukriegen war
       eigentlich das Schwerste“, erzählt er.
       
       Die Idee: Plötzlich, ein Geistesblitz beim Joggen: Redner bei Trauungen,
       das will er machen. „Wir waren damals auf vielen Hochzeiten. Ich fand das
       immer cool.“ Als er Lisa verschwitzt und mit Tränen in den Augen von der
       Idee erzählt, nimmt sie ihn in den Arm. „Vielleicht aus Verzweiflung“, sagt
       er. Er nimmt Kontakt auf zu allen Leuten, die im weitesten Sinne mit
       Hochzeiten zu tun haben: Fotograf:innen, Visagist:innen, DJs, Papeterien,
       Planer:innen. „Das ist ja ein Wahnsinnsmarkt. Ich habe einen Podcast
       gemacht und solche Leute interviewt – ich dachte, dann denken die
       vielleicht auch mal an mich.“ Der Plan geht auf, die erste Hochzeit kommt
       über eine Planerin. Nach der Feier „wäre ich fast umgekippt“. Vor Freude,
       dass es geklappt hat. Was ihn daran reizt, Hochzeitsredner zu sein? „Man
       ist so fokussiert. Da sind Leute vor dir, die wahnsinnig glücklich und
       aufgeregt sind, Lachen, Weinen, alles zusammen, das ist voll geil.“
       
       Es klappt: Er scheint den richtigen Riecher gehabt zu haben. 2021 kann er
       seinen alten Job aufgeben, im vergangenen Jahr hat er mehr als 90 Paare
       getraut. Sie lassen ihn teilweise einfliegen, nach Ibiza, an den Gardasee
       oder die Côte d’Azur, in die Schweiz, nach Polen, Griechenland, in die
       Türkei. Sein Business ist inzwischen ein Familienunternehmen: Lisa,
       eigentlich Pädagogin, macht Buchhaltung und Organisation. Um die drei
       Kinder kümmern sich die beiden gemeinsam.
       
       Surreal: Zu seinen Kund:innen gehören inzwischen viele Promis,
       Bundesliga-Fußballer etwa. Oft taucht er durch die Arbeit in eine fremde
       Welt ein. „Wie viel Geld manche für ihre Hochzeit ausgeben, ist absurd, vor
       allem, wenn man so aufgewachsen ist wie ich. Aber das ist nicht meine
       Sache.“ Wichtig ist ihm, dass es menschlich passt. Vier Anfragen pro Tag
       muss er ablehnen. „Das ist immer noch total krass.“
       
       Ausblick: Er werde diesen Job nicht für immer machen, sagt er. „Jetzt bin
       ich noch ganz nah dran, das wird mit 50 nicht mehr so sein.“ Als Coach baut
       er sich ein zweites Standbein auf, berät Firmen in Social Media. 2025
       wollen er und Lisa selbst noch einmal heiraten, richtig groß. Familie ist
       für ihn das Wichtigste. Längst ist seine Arbeit nicht mehr ortsgebunden. Im
       Weserbergland will er trotzdem bleiben. „Das hier ist meine Heimat.“
       
       4 Jun 2023
       
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 (DIR) Lea Schulze
       
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