# taz.de -- Flucht aus dem Iran nach Bremen: Der verbotene Blick
       
       > Es sollte ein Urlaub sein, dann sind sie geblieben: Ein Paar will nicht
       > in den Iran zurück. Sie hatten Kontakt zu einer verfolgten Religion.
       
 (IMG) Bild: Ein Gefühl von Befreiung und Freiheit: Hochzeitsfoto mit Parvaneh und Taimas
       
       BREMEN taz | Wohnung, Arbeit, Auto: Taimas und Parvaneh, die beide 33 Jahre
       alt sind und eigentlich anders heißen, hatten in ihrer Heimatstadt im
       Nordiran ein bürgerliches Leben. Nun leben sie in Bremen und bekommen als
       anerkannte [1][Flüchtlinge] Geld vom Jobcenter. „Das ist nicht richtig“,
       findet Taimas. „Wir wollen Arbeit finden.“ Und wenig Geld sei es obendrein:
       „Im Iran hatten wir alles, unser Leben war sehr gut.“
       
       Taimas ist Fotograf, hatte im Iran sein eigenes Atelier. Sein Job war es,
       der ihn und seine Frau Parvaneh in Schwierigkeiten gebracht hat. Denn als
       Fotograf stehe man im Iran unter Generalverdacht, etwas Verbotenes zu tun,
       erzählt Sven, ein Freund der beiden. Er kennt das Paar seit Herbst
       vergangenen Jahres und hat sie auch während des letzten Asylverfahrens
       begleitet.
       
       Als Mann Frauen zu fotografieren, sei so etwas Verbotenes, sagt Taimas. Er
       arbeitete viel auf Hochzeiten, wo Frauen und Männer getrennt sitzen müssen
       – die Fotografen eingeschlossen. „Wir hatten immer Angst.“ Denn wenn sich
       ein Fotograf nicht daran hält, „kommt die Sittenpolizei“. Die letzte
       Hochzeit, die er fotografierte, sei von Anhänger*innen der
       Bahá’í-Religion gewesen, erzählt Taimas. Diese ist im Iran verboten. „Ich
       wollte nur das Ehepaar fotografieren, da kam die Polizei und hat meine
       Lizenzkarte eingezogen.“
       
       Danach, erzählt Taimas weiter, habe er sich ein paar Mal mit dem Bräutigam
       und anderen Menschen getroffen, um über die Bahá’í-Religion zu sprechen.
       „Mich hat interessiert, warum das verboten ist.“
       
       ## Polizei durchsucht Atelier
       
       Wenige Monate später besuchte das Ehepaar Taimas’ Bruder in Köln. Das war
       vor etwa drei Jahren. In Deutschland bekam er dann einen Anruf von seiner
       Sachbearbeiterin: Die Polizei war da, hat das Atelier leer geräumt, Laptop
       und andere Hardware mitgenommen, sein Archiv durchgesehen. Auch der
       Bräutigam rief ihn an und erzählte, dass Freunde von ihm im Gefängnis
       sitzen und Taimas und Parvaneh besser in Deutschland bleiben sollten.
       
       Die beiden waren hin- und hergerissen, erinnert sich Taimas. „Ich hatte
       auch eine andere Arbeit, in einer Firma als Verkäufer. Und wir hatten
       Familie und Freunde.“ Am Ende fiel die Entscheidung, mit nur einem
       Gepäckstück pro Person: „Wir müssen bleiben.“ Nach vier Monaten beim Bruder
       zogen sie nach Bremen. Hier [2][scheiterte ihr erster Asylantrag]. Sie
       erhoben Klage gegen den Bescheid.
       
       „Natürlich hatten wir danach Angst, weggeschickt zu werden“, sagt Taimas.
       Er besuchte Sprachkurse, machte seinen Führerschein und lernte in der
       Bahá’í-Gemeinde in Bremen neue Menschen kennen. Im Iran lebte er 30 Jahre
       als Muslim, nun wollte er Teil dieser Religion werden. „Sie hat viele
       Vorteile für mich: Ein Grundsatz ist, dass Frauen und Männer gleich sind.
       Und die ganze Welt ist ein Volk.“
       
       Gleichheit haben die beiden im Iran nicht erfahren: Parvaneh durfte wie
       alle Frauen nicht Fahrrad fahren. Frauen und Männer dürfen dort nicht
       gemeinsam in den Pool gehen. Taimas lacht. „Es sind kleine Sachen, aber
       davon Tausende.“ Als die beiden einmal im Kino waren, habe er den Arm um
       seine Frau gelegt – „dann kam jemand und hat den Arm weggenommen und
       gesagt, wir sollen gerade sitzen“.
       
       Sven hat inzwischen über Telefonate oder Videos die Familien der beiden
       kennengelernt. „Bei Parvanehs Familie fällt mir auf, wie sehr der
       Klischee-Satz stimmt, dass Iraner die Freiheit im Privaten leben. Die
       schließen die Tür, und dann geht’s los. Der Vater hat uns mal Tanzvideos
       geschickt, das war total toll.“ Wenn sie aus der Haustür treten, sagt Sven,
       müssten sie sich anders aufführen.
       
       In Deutschland ist das anders. So waren Sven und Parvaneh bei einigen der
       [3][Iran-Proteste im vergangenen Jahr] in Bremen dabei. Obwohl Taimas im
       Iran selbst gar nicht politisch aktiv war, erzählt Sven weiter, reichte
       allein der Verdacht und die Staatsgewalt im Iran aus, sein Atelier zu
       entkernen und „in null Komm nix eine Existenz zu zerstören“.
       
       Parvaneh, so erzählt es Taimas, will niemals in den Iran zurück. Seit Ende
       vergangenen Jahres sind die beiden nun auch endlich als Flüchtlinge nach
       der Genfer Konvention anerkannt.
       
       Die [4][Anwältin für Migrations- und Sozialrecht, Nina Markovic,]
       begleitete die beiden. Im September 2021 kamen sie zu ihr, sagt Markovic
       der taz. Das Verfahren lag in der Zeit beim Verwaltungsgericht – seit fast
       eineinhalb Jahren. „Es ist sehr üblich, dass diese Verfahren lange dauern.“
       Die Verhandlung fand schließlich im vergangenen November statt.
       
       Taimas habe ausgesagt, erzählt Markovic, dass er nun Bahá’í sei. Weil der
       Richter angekündigt habe, dass er ihm die Konversion glaube, habe Parvaneh
       gar nicht mehr ausgesagt. „Wir haben das Verfahren von ihr abgetrennt und
       gewartet, bis sein Urteil rechtskräftig war. Dadurch hat sie automatisch
       Familienasyl bekommen.“
       
       Markovic sagt: „Am Ende macht es ja keinen Unterschied. Und es war besser,
       das möglichst wenig belastend zu machen.“ Parvaneh sei weiter Muslima,
       „aber eine sehr offene Frau, die auch kein Kopftuch trägt“. Ob ihr Urteil
       auf der Grundlage auch positiv ausgefallen wäre, habe der Richter aber
       nicht versichern können. Es gebe erst ein positives Urteil in so einem Fall
       seit Beginn der Iran-Proteste im September 2022.
       
       Taimas und Parvaneh haben nun eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre.
       Danach könne diese verlängert werden, wenn sich an den Bedingungen nichts
       ändert, sagt Markovic. Und wenn nach drei Jahren die deutsche Sprache
       beherrscht und der Lebensunterhalt weitgehend gesichert wird, könne sie
       auch entfristet werden.
       
       Trotzdem ist das Leben hier nicht nur frei, sondern auch „traurig und
       anstrengend“, sagt Taimas. Das Jobcenter frage ihn jeden Monat, was er
       macht. „Ich möchte als Fotograf arbeiten, doch Ausbildungen scheinen hier
       wichtiger zu sein als Erfahrung.“ Taimas schrieb vielen Fotografen, niemand
       hatte bislang Arbeit für ihn. Sogar eine Absage für ein unbezahltes
       Praktikum gab es. „Ich wollte einfach nur zuschauen, wie er mit deutschen
       Kunden umgeht.“ Parvaneh hat einen Uni-Abschluss in Psychologie. Jetzt
       arbeitet sie für Mindestlohn in einer Eisdiele.
       
       1 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [4] http://rechtsanwaeltin-markovic.de/cms/
       
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