# taz.de -- Medienkunst und Anthropozän: Was uns die Algen zu singen haben
       
       > In einer Dortmunder Ausstellung lassen Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten
       > nichtmenschliche Organismen übers Anthropozän sinnieren.
       
 (IMG) Bild: Der Charakter „Hydra“ ist ein Polyp, Videostill aus der Ausstellung
       
       Wenn die Menschheit dabei ist, ihre Lebensgrundlage zu zerstören, sind die
       wahren Stars vielleicht die Pflanzen und Mikroorganismen, die (trotzdem)
       überleben. In Dortmund sind die nichtmenschlichen Lebewesen jetzt die Stars
       in einer Art begehbarem Musical. In der Ausstellung mit dem langen Titel
       „We grow, grow and grow, we’re gonna be alright and this is our show“ im
       [1][Hartware MedienKunstVerein] singen sie mitunter von den Symbiosen in
       der Biologie, von Kreisläufen in der Natur und von ihren Verschmelzungen
       mit der technischen, menschengemachten Welt.
       
       Aus 3D-Scans und realen Aufnahmen generiert lässt das Künstler*innenduo
       Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten Wesen der Vegetation auf eine
       multimediale, in Neonfarben getunkte Bühne treten, bestehend aus
       Videoprojektionen und einer Virtual-Reality-Installation.
       
       Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten, beide 1989 geboren, haben Kunst in
       Düsseldorf und Münster studiert und sind in der nordrhein-westfälischen
       Kunstwelt gerade sehr präsent. Sie treffen einen Nerv. Ihre Arbeiten drehen
       sich um die Zukunftsthemen Ökologie und Klimawandel. Und das, ohne plakativ
       zu sein. Vielmehr sind sie poetisch verspielt, wenn sie wie jetzt Pflanzen,
       Mikroben und Super-Organismen zu sieben fiktiven Charakteren machen.
       
       „Pionea“, die Pionierpflanze, erinnert in einem Video ein wenig an das
       außerirdische Pflanzenwesen [2][Groot aus den Marvel-Filmen] um die
       „Guardians of the Galaxy“: Ein kleines, anthropomorphes Wesen aus Blättern,
       Dornen, Flechten, Moosen, Verholzungen. Sie kann jedoch etwas mehr Text als
       Groot (das auf alle Fragen bloß „I am Groot“ antwortet): „Wir wurzeln und
       blühen – Veränderung sind wir. Nichts ist so konstant wie der Wandel“,
       sprechsingt „Pionea“ über ihre Gattung. Im dunklen Ausstellungsraum stechen
       die Video- und Soundinstallationen wie bunte Inseln in knalligen
       Neonfarben hervor.
       
       ## Irgendwie 80er
       
       Ein alles überziehendes Muster erinnert an ein poppiges
       1980er-Jahre-Design, und auch der Sound, der den Computerstimmen-Singsang
       der Pflanzenwesen untermalt, hat etwas von den Elektropop-Pionieren dieser
       Zeit. Es gibt Sitzmöbel oder -säcke zum Herumhängen. Die Installation
       „Micro“ ist ausschließlich ein solcher Rumhäng-Ort. In einem dieser Sitze
       versunken, erfährt man dann vom Superorganismus „Micro“, der in
       symbiotischer Beziehung mit elektronischen Geräten wie Smartphones lebt,
       sich von Handschweiß ernährt und Strahlung absorbiert.
       
       „Azolla“ erzählt von einem Algenfarn, der vor 49 Millionen Jahren zu
       Kohle und Erdöl sedimentierte und so viel CO2 band, dass es zur heute noch
       vorherrschenden Kaltzeit kam. „Symbiotechnica“ spekuliert darüber, wie die
       Welt wäre, würde man der menschengemachten Erderwärmung begegnen wie manch
       ein FDP-Politiker es propagiert: mit technologischem Fortschritt. Gedüngte
       Ozeane könnten wieder mehr Algen(farn) produzieren, Schwefeldioxid in der
       Stratosphäre würde gar eine neue Biosphäre schaffen.
       
       Die Menschen im Ruhrgebiet leben ja schon lange in solch einer
       Techniksymbiose, wie Stolzer und Rütten nebenbei bemerken. Denn ohne die
       Pumpen, die das Grundwasser im vom Bergbau abgesunkenen Boden halten,
       würden große Teile der Region absaufen. Am Ende kommt dann der schlichte
       Gedanke auf: Sollten wir die Natur nicht vielleicht einfach in Ruhe machen
       lassen?
       
       21 Apr 2023
       
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