# taz.de -- Digitale Gewalt: Nacktfotos für den Chef
       
       > Cyberstalking ist ein neues Phänomen von digitaler Gewalt, es nimmt
       > rasant zu. Opfer sind meist Partnerinnen und Expartner:innen.
       
 (IMG) Bild: „Jedes Mal wenn ich auf mein Handy schaue, habe ich Angst, dass es wieder anfängt.“
       
       Tanja*, die ihren echten Namen aus Sicherheitsgründen nicht in der Zeitung
       lesen will, wird seit über zwei Jahren von ihrem Exfreund gestalkt: „Jedes
       Mal, wenn ich auf mein Handy schaue, habe ich Angst, dass es wieder
       anfängt.“ Deshalb habe sie sich aus der digitalen Welt zurückgezogen. Ihr
       Exfreund suchte Kontakt zu ihrem Arbeitgeber, ihrer Universität und ihren
       Eltern, nachdem Tanja die Beziehung beendet hatte. Er schickte Nacktfotos
       von Tanja an ihre Arbeitsstelle – sie verlor ihren Job.
       
       Er schrieb ihren Freund*innen, erstellte Fakeprofile, auf denen er intime
       Fotos und Lügengeschichten über seine Exfreundin verbreitete, drangsalierte
       sie mit Anrufen, lauerte ihr zu Hause auf. Er erpresste sie, schickte ihr
       Blumen, lange E-Mails und Briefe – mal voller Hass, mal krank vor Liebe.
       Manchmal drohte er, sich etwas anzutun, mal ihr. „Ich ging trotz allem
       immer wieder darauf ein, weil er mir leidtat und ich das Gefühl hatte,
       Schuld an seiner Misere zu tragen“, erzählt Tanja.
       
       Eines Tages [1][verletzte er sie am Hals mit einer Schere] und drohte auch
       ihrer Mutter Gewalt an. Lange hatte sie sich dafür geschämt, sich Hilfe zu
       holen, und Angst, nicht ernst genommen zu werden. Schließlich blockierte
       Tanja ihren Exfreund und ging zur Polizei. Die aber ließ die Anzeige
       fallen. Tanja hat sich bis heute nicht von dem Stalking erholt und zog sich
       aus Scham und Misstrauen aus ihrem Freundeskreis zurück. Bald möchte sie
       eine Therapie beginnen.
       
       „Viele von Cyberstalking betroffene Frauen werden nicht angegriffen, weil
       sie wie prominente Frauen im öffentlichen Raum unterwegs sind und Opfer von
       Hatespeech werden, sondern weil sie in toxischen Beziehungen sind“, sagt
       Beate Köhler, Leiterin des Antistalking-Projekts des Frieda-Frauenzentrums
       in Berlin. In diesen Beziehungen herrsche ein hohes Maß an
       Partnerschaftsgewalt auf unterschiedlichen Ebenen: [2][Täter würden ihre
       Opfer gut kennen, wüssten, wie diese funktionierten, was sie verletzen
       könnte.]
       
       ## Verhältnismäßig neues Phänomen
       
       Cyberstalking ist ein verhältnismäßig neues Phänomen digitaler Gewalt, es
       gibt wenig validierte Zahlen und Forschung dazu. [3][Gleichzeitig nimmt
       diese Gewaltform rasant zu] und richtet sich meistens gegen Personen, zu
       denen die [4][Täter vorher eine intime Beziehung] hatten. In selteneren
       Fällen aber auch gegen eine Person, die Annäherungsversuche abgelehnt hat.
       
       Motive können Eifer- und Kontrollsucht oder auch Rachegelüste sein. „Nicht
       selten geht dieser Form der digitalen Gewalt auch analoge Gewalt voraus,
       weshalb es verkürzt wäre, Cyberstalking als davon abgetrenntes Phänomen zu
       bezeichnen. Viel mehr kulminieren im Cyberstalking Gewaltdynamiken und
       Kontroll- sowie Machtmechanismen in Kombination mit analogen
       geschlechterspezifischen Gewaltpraktiken.“, so Köhler. Die Nutzung von
       Informations- und Kommunikationstechniken und das gleichzeitige Bedienen
       unterschiedlicher Kanäle erleichtere die Überwachung und Kontrolle der
       Opfer.
       
       [5][Geschlechterspezifische Gewalt erreicht durch Cyberstalking eine neue
       Qualität]: Formen digitaler Gewalt wie Doxxing (private Daten werden
       öffentlich ins Netz gestellt), Revenge Porn (Rachepornos), Hacking,
       Drangsalieren mit Anrufen und Nachrichten. Manche dieser Taten gelten im
       Einzelnen noch nicht als strafbar, sondern erst, wenn sie gemeinsam
       gewertet werden. „Dass Stalking rechtlich erst in der Gesamtlage abgebildet
       wird, macht es besonders kompliziert“, erklärt Köhler.
       
       Strafverfolgungsbehörden fehlen bis heute technisches Wissen und
       Möglichkeiten, um Cyberstalker zu verfolgen. Noch immer hinken polizeiliche
       und juristische Ausbildungen den technischen Entwicklungen und der
       Forschung zu diesem Thema hinterher. Darüber hinaus werden Anzeigen häufig
       nicht ernst genommen und eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben. „Es mangelt an
       einer Sensibilisierung für das Thema – auch wenn es mitunter
       Opferschutzbeauftragte bei der Polizei gibt“, sagt Köhler: „Bei Verhören
       fühlen sich viele Betroffene wie auf der Anklagebank. Es findet eine
       sekundäre Viktimisierung statt.“
       
       Manche Stalker bekämen eine psychische Erkrankung diagnostiziert. Das sei
       fatal für Stalking-Opfer, weil ihre Peiniger so kaum belangt werden können.
       Im Oktober 2021 ist die Gesetzesänderung des [6][„Stalkingparagraphen“ §
       238] Nachstellung StGB in Kraft getreten. Ziel dieser Änderung ist eine
       effektivere Bekämpfung von Nachstellungen und eine bessere Erfassung des
       Cyberstalkings.
       
       ## Verzicht auf Anzeige
       
       Viele Betroffene benötigen aus psychischen Gründen eine Begleitung bei
       einem Prozess – nur gibt es dafür bislang keine staatlichen Hilfen, selbst
       bei schweren Fällen nicht. Daher verzichten viele Opfer darauf, ihre
       Stalker anzuzeigen. Die Folge: [7][Sie fühlen sich nirgendwo mehr richtig
       sicher, entwickeln Paranoia, Depressionen und Angststörungen,] sind
       verzweifelt und fühlen sich hilflos. Der Dauerstress kann zu psychischen
       und psychosomatischen Krankheiten führen: Rückenbeschwerden, Ess-, Schlaf-
       und Konzentrationsstörungen.
       
       Traumatisiert von den Ereignissen, fällt es Betroffenen zudem schwer, neue
       Beziehungen einzugehen und generell Vertrauen zu anderen Menschen
       aufzubauen. Laut Köhler versuchen Stalker ihr Opfer durch komplette
       emotionale und soziale Vereinnahmung sozial zu isolieren und letztlich
       einen „sozialen Tod“ herbeizuführen.
       
       In manchen Fällen installieren Täter eine SpySoftware auf dem Handy der
       betroffenen Person, ohne dass sie es mitbekommt. Manchmal würden Ex-Partner
       den gemeinsamen Kindern ein Handy mit einer vorinstallierten SpySoftware
       schenken, um so die Mutter zu überwachen. „Diese Software ist einfach zu
       bekommen und zu bedienen“, sagt Köhler: „Der Täter kann durch die SpyApp
       alles sehen, mithören, das Handy orten und die Kamera anschalten. Manche
       Apps sind nach einigen Tagen nicht mehr auf dem Gerät auffindbar.“
       
       Ein tieferer Einblick in die Privatsphäre eines Menschen sei kaum möglich.
       Köhler sagt: „Wir empfehlen deshalb unseren Klient:innen, das Handy auf
       Werkeinstellungen zurückzusetzen oder das Gerät lieber gar nicht mehr zu
       benutzen. Köhler spricht sich für ein Verbot von Spy-Apps aus.
       
       ## Verfälschte E-Mails, Kündigungen, Einkäufe im Netz
       
       Es gibt Fälle, bei denen Nachrichten abgefangen, verfälscht, E-Mails, und
       Kündigungen im Namen einer betroffenen Person verschickt werden. „Manchmal
       bestellen Täter teure Gegenstände oder Dienstleistungen im Internet an die
       Adresse der Betroffenen, aus Scham schicken sie diese dann nicht zurück und
       bleiben auf den Kosten sitzen.“ Manche Stalker würden laut Köhler ihre
       Opfer über mehrere Jahre hinweg drangsalieren – so werden Personen im
       näheren Umfeld des Opfers „mitgestalkt“.
       
       Cyberstalking-Expert:innen wie Köhler beklagen, dass Staat und Gesellschaft
       das Problem oft individualisieren und nicht ernst genug nehmen. „Von einer
       Anerkennung digitaler Gewalt als reale Form der Gewalt sind wir als
       Gesellschaft weit entfernt“, sagt Köhler. Um dies zu ändern, brauche man
       Zeit, Geld, eine digitale Mündigkeit und Medienkompetenz – die für alle
       Menschen in verschiedener und auch leichter Sprache zugänglich sein sollte.
       
       15 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anastasia Tikhomirova
       
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