# taz.de -- Digitale Gewalt gegen Frauen: „Kein Passwort mit Partner teilen“
       
       > Digitale Gewalt nimmt zu. Ophélie Ivombo und Nathalie Brunneke vom Verein
       > Frauenhauskoordinierung geben Tipps für betroffene Frauen und
       > Frauenhäuser.
       
 (IMG) Bild: Bleibt auch im Frauenhaus eine Bedrohung: digitale Gewalt
       
       taz: Frau Brunneke, Frau Ivombo, wie sensibilisiert sind Frauenhäuser für
       das Thema digitale Gewalt? 
       
       Ophélie Ivombo: Es gibt einige Frauenhäuser, in denen die
       Mitarbeiter:innen sehr interessiert sind und sich aus Eigeninitiative
       zu dem Thema weiterbilden. Aber grundsätzlich ist das Hilfesystem total
       unterfinanziert und überlastet. Das Personal, das in den Frauenhäusern
       arbeitet, ist ja sozialpädagogisch ausgebildet. Das heißt, technische
       Kenntnisse zum Schutz vor digitaler Gewalt sind nicht Teil der Ausbildung.
       
       Dabei sollten Frauenhäuser eigentlich [1][ein Schutzraum sein] – auch für
       Betroffene von digitaler Gewalt. 
       
       Ivombo: Ja, digitale Gewalt ist eine große Herausforderung für die
       Frauenhäuser. Denn Betroffene digitaler Gewalt können auch nach einem
       Einzug ins Frauenhaus über Smartphone und andere digitale Geräte weiter der
       Gewalt ausgesetzt sein. Das kann auf der einen Seite massive psychische,
       physische und finanzielle Auswirkungen haben. Auf der anderen Seite kann
       die digitale Gewalt auch das Frauenhaus als Schutzraum gefährden.
       
       Für Ihr Projekt haben Sie ein Schutzkonzept erstellt, das nicht öffentlich
       einsehbar, sondern nur für die Frauenhäuser bestimmt ist. 
       
       Nathalie Brunneke: Genau, es ist eine Sammlung an Informationen und
       Empfehlungen zu Schutzmaßnahmen für Frauenhäuser. Die Schutzmaßnahmen
       können sich die Frauenhaus-Mitarbeiter:innen passend zu ihren
       Standortbedingungen raussuchen. Je nachdem, ob es sich um ein Frauenhaus
       mit einer bewusst bekannten oder einer geheimen Adresse handelt. Aber auch,
       welche Kapazitäten sie haben, was für IT-Kenntnisse und inwiefern sie
       externe Unterstützung mit einbeziehen können oder sollen.
       
       Wie ist das Feedback von Frauenhäusern, mit denen Sie gesprochen haben? 
       
       Brunneke: Da war schon häufig das Feedback, dass es schwierig ist, die
       technischen Schutzmaßnahmen mit dem Arbeitsalltag und den Aufgaben, die
       alltäglich anfallen, zu vereinen, und gleichzeitig ist natürlich dieser
       Bedarf trotzdem da. Es gibt wirklich ein sehr großes Interesse, weil das
       Phänomen digitale Gewalt immer mehr zunimmt und
       Frauenhaus-Mitarbeiter:innen damit konfrontiert werden.
       
       Welche Maßnahmen ergeben in diesem Zusammenhang Sinn bei der Aufnahme im
       Frauenhaus? 
       
       Ivombo: Aus der Fachpraxis wird viel geäußert, dass es Bedarf gibt für
       Personen mit IT-Expertise, die unterstützen – neben dem Bedarf, selbst
       weitergebildet zu werden.
       
       Gehen wir noch einen Schritt zurück: Wenn ich selbst merke, dass ich
       überwacht werde, welche Maßnahmen kann ich ergreifen? 
       
       Ivombo: Es gibt ganz verschiedene Wege, wie die Überwachungen erfolgen. Das
       kann zum einen über geteilte Accounts, wie Mails oder Clouds, geschehen. Es
       kann auch über spezielle Apps, die installiert werden, passieren. Es kann
       einfach eine Kinder-Überwachungs-App sein, die in dem Kontext dann ja
       illegal verwendet wird, weil es nicht im Einverständnis mit der Betroffenen
       passiert. Die Überwachung kann auch über Social Media erfolgen.
       
       Brunneke: Erste-Hilfe-Maßnahmen sind auf jeden Fall, alle Passwörter zu
       ändern, allen voran von der E-Mail-Adresse. Über die E-Mail sind ja häufig
       Social-Media- und andere Accounts verknüpft. Grundsätzlich gilt: Kein
       einziges Passwort mit jemandem teilen, auch nicht mit dem Partner. Das
       Passwort ist das höchste Datengut.
       
       Macht es Sinn, beim Einzug ins Frauenhaus digitale Geräte abzugeben, um das
       Tracking loszuwerden? 
       
       Brunneke: Wenn Geräte beim Einzug ins Frauenhaus erst einmal durchgescannt
       werden, können sie für diesen Zeitraum nicht genutzt werden, denn die
       Beweise müssen gesichert werden. Da ist es wichtig, dass finanzielle Mittel
       vorhanden sind für Ersatzgeräte – damit die Frauen in den Frauenhäusern
       trotzdem noch ihre Familie oder Freund:innen erreichen können. Es ist
       keine Selbstverständlichkeit, dass die finanziellen Mittel vorhanden sind.
       
       Was kann ich in so einem Fall noch tun? 
       
       Brunneke: Man kann auf jeden Fall auf dem Smartphone gucken, ob alle Apps,
       die installiert sind, von einem selbst installiert wurden. Alles, was ich
       nicht kenne, deinstallieren. Man kann das Handy auch auf Werkseinstellungen
       zurücksetzen, damit ist eine potenzielle Stalkerware weg.
       
       Was muss ich beachten, bevor ich eine Beratungsstelle kontaktiere? 
       
       Brunneke: Wenn man mit einem Frauenhaus oder einer Fachberatungsstelle
       telefoniert und einen Verdacht auf Überwachung hat, sollte man das
       Telefonat nicht über das eigene Gerät machen. Denn wenn eine Stalkerware
       installiert ist, dann kann natürlich der Täter darüber informiert werden,
       dass die Frau gerade dabei ist, sich Hilfe zu suchen. Oder man geht an ein
       sicheres Endgerät, zum Beispiel in der Bibliothek, erstellt sich eine neue
       E-Mail-Adresse und schreibt damit eine E-Mail an eine Beratungsstelle.
       
       Und wenn ich mich dann auf den Weg zu einem Frauenhaus oder einer
       Beratungsstelle mache? 
       
       Brunneke: Wichtig: Bei neueren iPhones ist der Standort nicht automatisch
       deaktiviert, wenn das Handy ausgeschaltet ist. Betroffene könnten so
       weiterhin überwacht werden. Wenn ich eine Fachberatungsstelle aufsuchen
       möchte, empfiehlt es sich daher grundsätzlich, erst mal nachzuschauen, ob
       der Standort deaktiviert ist. Danach sollte das Handy in den Flugmodus
       versetzt oder ausgeschaltet werden.
       
       Wie sichere ich Beweise? 
       
       Brunneke: Wichtig ist, das Gerät mitzunehmen, weil das ja der Beweis Nummer
       eins ist. Wenn es emotional möglich ist, sollten keine Nachrichten gelöscht
       werden. Man kann die Beweise erst mal sichern, auch wenn man noch nicht
       sicher ist, ob man es zur Anzeige bringen will. Vielleicht will man das zu
       einem späteren Zeitpunkt, wenn man emotional eher in der Lage ist, zur
       Polizei zu gehen mit den ganzen Informationen.
       
       Wie lassen sich Beweise erstellen, die Gerichte anerkennen? 
       
       Brunneke: Grundsätzlich ist bei Beweismaterial ganz wichtig, dass man
       Screenshots macht von der gesamten Unterhaltung oder dem ganzen Verlauf,
       der auf digitale Gewalt hinweist – immer mit einem Datum. Es gibt Apps, die
       dabei unterstützen, beispielsweise die Nostalk-App vom Weißen Ring. Diese
       App ist extra für eine rechtssichere Beweissicherung entwickelt worden.
       
       Gibt es Gruppen, die besonders von digitaler Gewalt betroffen sind? 
       
       Ivombo: Digitale Gewalt kommt in allen Schichten vor. Wir beobachten, dass
       bei den älteren Personen, wo der Alltag vollkommen analog abläuft, die
       Gewalt dann nicht über digitale Wege ausgeübt wird. Aber ansonsten sind
       Frauen aller Altersgruppen betroffen. Der Zugang zu Ressourcen ist für
       Personen, die Mehrfachdiskriminierungen erleben, schwieriger. Es gibt
       jedoch zu wenige aussagekräftige Zahlen, um sagen zu können, wer mehr oder
       weniger von digitaler Gewalt betroffen ist.
       
       Inwiefern verändert sich die Gewalt, wenn Kinder involviert sind? 
       
       Brunneke: Es gab Fälle, wo der Vater den Kindern ein Kuscheltier geschenkt
       hat und in dem Kuscheltier war ein GPS-Peilsender oder eine Mini-Kamera
       versteckt.
       
       Ivombo: Grundsätzlich ist es ja so, dass Kinder mit digitalen Medien
       aufwachsen. Sie sind inzwischen Digital Natives, die meisten haben das
       Smartphone theoretisch rund um die Uhr in der Hand. Kindern begreiflich zu
       machen, dass es gefährlich sein kann, das Smartphone zu benutzen, weil
       beispielsweise der Papa stalken kann – das ist auf jeden Fall eine
       Herausforderung. Anders als bei Frauen, die schon erwachsen sind und ein
       anderes Verständnis haben für Gefahren, die das Telefon mit sich bringen
       kann.
       
       Welche politischen Maßnahmen sollten ergriffen werden? 
       
       Brunneke: Mitarbeiter:innen im Hilfesystem sollten mehr Schulungen und
       Fortbildungen zum Thema bekommen. Aber das alleine reicht natürlich nicht,
       weil wie gesagt, das Hilfesystem ist unterfinanziert und die
       Mitarbeiter:innen komplett überlastet. Das bedeutet, sie brauchen mehr
       finanzielle und personelle Ressourcen, um überhaupt diese Schulungen machen
       zu können und das Gelernte umsetzen zu können, damit es im
       Frauenhaus-Kontext eingebunden werden kann.
       
       Gibt es genug Beratungsstellen für Betroffene digitaler Gewalt? 
       
       Ivombo: Es gibt leider bislang noch wenig Fachberatungsstellen, die sich
       auf das Thema digitale Gewalt spezialisiert haben. Ein Beispiel ist das
       Anti-Stalking-Projekt vom Frieda Frauenzentrum, die speziell zu
       Cyber-Stalking beraten. Umfassende Beratung zu digitaler Gewalt kann in den
       meisten Fachberatungsstellen derzeit leider noch nicht stattfinden, aber in
       jedem Fall werden Betroffene dort Unterstützung finden und sollten sich im
       ersten Schritt an eine Beratungsstelle wenden.
       
       Würde es helfen, wenn digitale Gewalt ein Straftatbestand wäre? 
       
       Ivombo: Grundsätzlich ist das Internet ja kein rechtsfreier Raum.
       
       Brunneke: Mit der Unterzeichnung der Istanbul-Konvention hat sich
       Deutschland verpflichtet, gegen alle Formen von geschlechtsspezifischer
       Gewalt vorzugehen. Digitale Gewalt gehört dazu. Die Grundlage ist da, es
       muss nur umgesetzt werden.
       
       2 Jan 2023
       
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