# taz.de -- Die Wahrheit: Mit Schnief im Clinch
       
       > Schnupfen ist etwas zutiefst Protestantisches. Er tritt immer zu den
       > falschesten Zeiten auf und schäumt die Watte im wehen Kopf auf.
       
       Der Schnief ist ein Arschloch und kommt zur Unzeit. Immer werde ich krank,
       wenn es eigentlich Zeit wäre, sich zu entspannen: Am Wochenende, im Urlaub
       oder nach einer größeren Arbeit. Sobald ich es etwas ruhiger angehen lassen
       will, erwischt mich der Schnief.
       
       Mein Verdacht ist, dass der Schnupfen protestantisch sozialisiert wurde.
       Die Evangelen schuften andauernd und können sonst nichts. Immerzu soll
       etwas Sinnvolles getan werden. Falls ein Protestant einmal ohne schlechtes
       Gewissen eine Pause einlegen möchte, muss er den Schnief zu sich einladen.
       
       Allerdings war es bis vor kurzem noch so, dass ich auch krank noch das eine
       oder andere erledigt habe. Solange die Beine noch nicht abgefault sind,
       kann man es schließlich noch bis ins Büro schaffen; so habe ich das in
       meiner Jugend gelernt. Die Watte im Kopf inspiriert nicht, na gut, aber
       Mails sortieren oder Abrechnungen machen, das geht auch im Koma. Außerdem
       macht das sowieso keinen Spaß, genauso wenig wie der Schnupfen.
       
       Schlau dachte ich, dass sich die Plagen gegenseitig neutralisieren, aber
       entgegen anders lautender Behauptungen ergibt Minus mal Minus in diesem
       Fall nicht Plus. Sondern minus unendlich oder so, keine Ahnung, mein Hirn
       schmerzt, die Zahlen stimmen nicht und ich kann überhaupt nicht nachdenken.
       Seit Corona muss ich übrigens mit Schnupfen vor dem Büro warten. Und zwar
       so lange, bis er weg ist.
       
       ## Keiner kommentiert die schlechte Musik
       
       In der vergangenen Woche hatte ich mir freigenommen, um in Ruhe einen
       längeren Text zu verfassen, allein zu Hause, unbeobachtet. Niemand würde
       nachzählen können, wie viele Schokoladenstücke für einen Absatz verbraucht
       würden, keiner die schlechte Musik kommentieren, die ich bereits auf einer
       Playlist „for very hard work (hihi)“ zusammengestellt hatte.
       
       Pünktlich zum Start meiner kreativen Phase bekam der Liebste Schnupfen. Ja,
       ich liebe ihn sehr, aber seine Krankheit infiltriert unweigerlich Haushalt
       und Leben. Er geht nicht zur Arbeit, sondern liegt in der Nähe meiner
       Schokoladenvorräte herum, leidet, schläft zur besten Serienguckzeit auf dem
       Sofa oder ächzt im Wachzustand vor sich hin. Zwischendurch guckt er Filme
       mit dem Prädikat „für die weiche Birne“, die ich hämisch kommentiere, weil
       ich ein schlechterer Mensch bin als er.
       
       Es ist schwierig, ein wandelndes Elend in der Größe eines erwachsenen
       Mannes zu ignorieren, aber ich zog mein Schreibpensum trotzdem durch.
       Schließlich ist die Deadline ein Schurke und kommt immer überraschend, auch
       wenn ich das Datum schon seit anderthalb Jahren kannte.
       
       Der Liebste wuchs über den Schnupfen und sich selbst hinaus und servierte
       sogar einmal eine warme Mahlzeit. Wie süß! Ich dagegen lamentierte zur
       besten Serienguckzeit ununterbrochen über meinen Stress, litt demonstrativ,
       aß die Schokolade heimlich und ächzte Tag und Nacht herum, aber ich wurde
       fertig. Endlich Zeit zum Feiern! Am nächsten Tag war der Liebste gesund und
       ich krank.
       
       10 May 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Fischer
       
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