# taz.de -- Nachruf auf Harry Belafonte: Sie nannten ihn Mr. Calypso
       
       > Harry Belafonte war Sänger, Schauspieler, Bürgerrechtler. Ein Sozialist
       > ohne falsche Geste vor den Thronen. Nun ist er mit 96 Jahren gestorben.
       
 (IMG) Bild: Harry Belafonte bei der Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten am 10. Oktober 1981
       
       Es liegt kein falscher Zungenschlag in der Feststellung, dass dieser Mann,
       eine Ikone sowohl des kulturellen wie politischen Lebens (beileibe nicht
       nur) in den USA, im Alter ein auskömmliches, ja, wohlhabend bürgerliches
       Leben führen konnte: Er hatte, mit seinen Mitteln, viele Jahre für seinen
       Erfolg gearbeitet und Jahrzehnte daran gearbeitet, dass dieser Platz an der
       Sonne ihm nicht wieder genommen wird.
       
       Harry Belafonte, den mögen Jüngere allenfalls durch eilige Zugriffe ins
       Internet kennen, Mittelalte indes immerhin aus seiner Zeit in der
       europäischen Friedensbewegung, als er in den frühen Achtzigern
       prominentester Teil des Line-ups vom Friedenskonzert gegen die
       Nato-Nachrüstung im Hamburger Millerntorstadion war, als er zur gleichen
       Zeit vor der FDJ der DDR performte und dieses Event veredelte: Belafonte
       war ein Star dieser Bewegung, denn er kannte keine Scheu, dass mit der
       Kritik an hochmilitärischer Nachrüstung auch sein Heimatland, die USA,
       gemeint war.
       
       Belafonte, der war ein Weltbürger, wie er selbst sagte, zuhause in erster
       Linie unter seinen Freundinnen*, ob in der Bundesrepublik, Südafrika,
       Nigeria, Japan, der Sowjetunion, Kanada oder eben den USA.
       
       Er war zeitlebens ein Fellow der Demokratischen Partei in den USA, und er
       verabscheute zugleich mit jeder Faser, so sagte er es in einem Telefonat
       vor 25 Jahren, Politikerinnen* der Republikaner, hießen sie nun Bush sr.,
       Bush jr., Trump, den sowieso, oder andere mehr oder weniger verkappte
       Rassistinnen*.
       
       ## Ein nachgerade krasser Ehrgeiz
       
       In einer seiner letzten Filmrollen, in Emilio Estevez' „Bobby“ (2006), der
       die Ermordung des heißen Präsidentschaftskandidaten Bobby Kennedy Ende der
       sechziger Jahre zum Thema hatte, spielt der gebürtige New Yorker einen sehr
       altersweisen, fast lakonischen Schachspieler … als ob er es selbst wäre:
       Ein Mann, der seinen Teil dazu beigetragen hatte, Rassismus,
       Ungerechtigkeit und Diskriminierung von Schwächeren (in welcher Weise
       gedemütigt, geschwächt auch immer) nicht zu verschweigen – und hofft, dass
       eben Bobby Kennedy Präsident der USA, der gute Hirte des Landes werden
       würde.
       
       Belafonte, im März 1927 geboren, fast vaterlos großgeworden in New York,
       zeitweise bei Verwandten in Jamaika in Pflegschaft, muss über einen
       nachgerade krassen Ehrgeiz früh verfügt haben, um seinen Weg aus den
       Wohnvierteln der armen Schwarzen herausgehen zu können. Eine gute High
       School, Schauspielunterricht, Kontakt auch zu einem deutschen Regisseur (im
       Exil) wie Erwin Piscator, Kontakt zu Kollegen wie Marlon Brando, Tony
       Curtis oder Walter Matthau.
       
       Erste Erfolge auf der Bühne hatte Belafonte weniger am Theater oder beim
       Film, vielmehr mit Musik – mit Varianten karibischer Musik, die er durch
       seine Interpretationen buchstäblich zu Welterfolgen machte: „[1][Jamaica
       Farewell]“, „[2][Mary’s Boy Child]“, „[3][Banana Boat Song]“, „[4][Mama
       Look at Bubu]“, „[5][Cocoanut Woman]“ oder die unverwüstliche Schnulze
       „[6][Island in the Sun]“ – alles Chartkracher der fünfziger Jahre, die
       ästhetischen Spitzenangebote jenseits des wachsenden Einflusses des Rock,
       später des Beat.
       
       Harry Belafonte, den sie „Mr. Calypso“ nannten, war ein Star geworden: Er
       sah vorzüglich aus, aus jenen Jahren wird überliefert, dass er, ein
       formidabler Tänzer, als Wunschkandidat sehr, sehr vieler Zuschauerinnen für
       sehr vieles galt.
       
       ## Engagiert an der Seite von Martin Luther King
       
       Dass er deshalb seinen Mund zu halten wusste, ist nicht das, was ihn
       auszeichnete. Belafonte wusste sehr wohl, dass er ein ebenso guter
       Schauspieler wie hellsthäutige Kollegen war – aber für gewisse Rollen nie
       infrage kommen würde. Politisch engagierte er sich an der Seite der
       Bürgerrechtsbewegung mit Martin Luther King, hielt sich in der öffentlichen
       Rede wider Rassismus, Segregation und Gewalt gegen Schwarze Menschen nicht
       zurück. Er habe selbst so viel Niedertracht durch andere erlebt, dass man
       ihm keine Würde mehr nehmen könnte – er wisse, was seine Dignität ausmache,
       und die könne ihm niemand absprechen, da lache er doch nur.
       
       In den sechziger Jahren sah man ihn auch im bundesdeutschen Fernsehen,
       damals, als die ARD noch wusste, dass internationale Entertainer ihr
       Publikum auch hierzulande haben können: Nina Simone, [7][Miriam Makeba],
       Esther & Abi Ofarim, [8][Caterina Valente], Nana Mouskouri, Nina & Frederik
       – und auch Harry Belafonte waren die ästhetischen Signaturen einer
       TV-Kultur, die noch nicht nur im eigenen deutschen Saft zu schmoren
       beliebte.
       
       ## Konzerte waren eilends ausverkauft
       
       Konzerte mit Harry Belafonte verhießen frühes Anstehen für Tickets, denn
       sie waren, nicht nur hierzulande, eilends ausverkauft. Dass die Linken und
       Friedensbewegten ihn besonders liebten, weil er deren faktischen
       Antiamerikanismus mit bediente, störte weder diese noch den Sänger selbst.
       Er hatte Gründe, sein Heimatland nicht bruchlos für „God’s own country“ zu
       halten, sondern vielerorts für den Vorhof zur Hölle.
       
       So lobte er Kuba (und dessen damaligen Chef [9][Fidel Castro]), sagte: „Es
       dürfte schwer sein, ein Land zu finden, das mehr Wert legt auf die Kultur
       seiner Menschen und die Entwicklung dieser Kultur als Kuba.“
       
       Oder er nannte Colin Powell, den Außenminister George W. Bushs,
       „Haussklaven“ des Präsidenten, weil er die entscheidende Lüge wider das
       irakische Saddam-Regime vor der UN formulierte.
       
       ## Sein liebstes Hobby
       
       2006 wurde Belafonte gefragt: „Sie sind ein überzeugter Gegner des
       Irakkrieges, kämpfen offensiv gegen George W. Bush.“ Woraufhin der
       Entertainer, keineswegs altersmilde geworden, erwiderte: „Das ist mein
       liebstes Hobby. Wer gibt uns das Recht, die Menschen im Irak zu töten? Bush
       behauptet, dass Amerika zum ersten Mal Terroristen jagt – dabei ist
       Terrorismus ein Teil des amerikanischen Systems. Amerika hat ein ganzes
       Volk vernichtet, die Indianer. Das ist Terror.“
       
       Dass ihn die Republikaner hassten, verstand sich von allein. Belafonte, der
       Sänger, der für einen „Hamlet“ oder andere weiße Paraderollen immer
       übersehen wurde, der Schauspieler, der sich trotzdem weitschweifenden
       Partys und Liebesaffären hingab, ein Hedonist, wie es sich nur ziemte, ist
       am 25. April in der Upper West Side, New York City, gestorben – ein Mann,
       ohne den es die Bewegungen gegen Rassismus, ohne den es #BLM, Black Lives
       Matter, so nicht hätte geben können.
       
       25 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://youtu.be/j_mK1MyDntc
 (DIR) [2] https://youtu.be/8N8aNhbnP-Y
 (DIR) [3] https://youtu.be/lZABxj718uA
 (DIR) [4] https://youtu.be/l7K2QmrYqnw
 (DIR) [5] https://youtu.be/lTQO7xeMtxs
 (DIR) [6] https://youtu.be/50JW4aHHm5Q
 (DIR) [7] /Trauerfeier-fuer-Miriam-Makeba/!5172668
 (DIR) [8] /Caterina-Valente-wird-90/!5739143
 (DIR) [9] /Abschied-von-Fidel-Castro/!5362591
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Feddersen
       
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