# taz.de -- Neues Album von Fatoumata Diawaras: Still got the Mali blues
       
       > Die Künstlerin Fatoumata Diawara hat ihr neues Album „London Ko“
       > veröffentlicht. Es ist Hoffnung und Kritik an der malischen Gesellschaft
       > zugleich.
       
 (IMG) Bild: Feiert Musik als universelle Sprache: Fatoumata Diawara
       
       Ein afrikanischer Kindersoldat, die trockene Landschaft Malis, Explosionen
       in der Ferne: So beginnt das aufwendig produzierte Musikvideo von
       [1][„Nsera“], dem Auftaktsong des neuen Albums „London Ko“ von Fatoumata
       Diawara.
       
       Es folgt ein Cut: Tanzende, gutaussehende Menschen in bunten Kleidern mit
       abgefahrenen Frisuren, Schmuck aus Muscheln im Haar, dazu ertönen
       traditionelle afrikanische Rhythmen. Westliche Einflüsse treffen auf
       afrikanische Sounds. Ein Paar stellt Gustav Klimts „Der Kuss“ nach, ein
       afrikanischer Hirte tindert. Der Kindersoldat kehrt heim zu seiner Mutter.
       
       Und Fatoumata Diawara tanzt mittendrin topgestylt in starken Farben und
       Afro und singt „Nsera“. Auf Bambara, der Sprache Malis, heißt das so viel
       wie „Ziel“ oder „Bestimmung“. Kräftig und klar singt sie: „Ich bin zu Hause
       angekommen.“ Ist sie das?
       
       Fatoumata Diawara, Tänzerin, Schauspielerin, Sängerin, Gitarristin, ist
       heute 41 Jahre alt und lebt in Frankreich. In Elfenbeinküste geboren,
       schickten sie ihre Eltern mit zwölf nach Mali zu ihrer Tante. Doch bald
       musste sie fliehen; mit 19 Jahren sollte sie mit ihrem Cousin verheiratet
       werden. Sie ging nach Frankreich, widmete sich zunächst dem Tanz, dem
       Theater, spielte in Kinofilmen mit.
       
       Erst 2011 startet sie mit ihrem ersten Album „Fatou“ ihre Karriere als
       Singer-Songwriterin. Unter anderem zweifach für einen Grammy nominiert, ist
       Diawara heute eine der wichtigsten Vertreterinnen des Global Pop. Und eine
       der bekanntesten malischen Musikerinnen überhaupt.
       
       ## Ein imaginärer Kontinent zwischen Mali und England
       
       In dem Albumnamen „London Ko“ fusioniert sie die britische Metropole mit
       der Hauptstadt Malis, Bamako. Diawara beschwört darauf einen imaginären
       Kontinent, in dem London und Bamako zusammenkommen. Doch außerhalb der
       Musik gibt es das schöne London Ko, in dem alles möglich scheint, nicht.
       Und sie weiß es. Mitproduziert und mitgeschrieben wurde es von Damon
       Albarn, Frontsänger der britischen Band Blur, deshalb auch der London-Bezug
       im Titel.
       
       Anfang Mai ist Diawara aus einem Hotelzimmer in Paris zugeschaltet.
       Sichtlich erschöpft und noch im Jetlag. Vor zwei Tagen war sie noch auf
       Tour in den USA. Gleich muss sie weiter zum nächsten Promo-Termin. Selbst
       über die schlechte Internetverbindung klingen ihre Worte ehrlich und aus
       tiefstem Herzen, sie selbst in sich ruhend.
       
       Zuhause, das ist für sie ein Ort, an dem sie sie selbst sein kann. Danach
       sucht Diawara ihr Leben lang – in Gesang und Tanz scheint sie es gefunden
       zu haben. Um Humanität, darum, dass wir uns unseres menschlichen Ursprungs
       entsinnen, darum geht es ihr.
       
       „Vor allem als Frau ist das Leben in Mali schwer“, sagt sie. Gewalt, Armut,
       weibliche Genitalverstümmelung, arrangierte Ehen und seit 2012 ein
       andauernder bewaffneter Konflikt zwischen der malischen Regierung, den
       Tuareg und diversen islamistischen Milizen. Diawaras Kraftquelle ist die
       Musik, der Gesang. Dieser ist wiederum stark inspiriert durch die Musik und
       deren Bedeutung in ihrem Heimatland.
       
       ## Musik über Grenzen und Genres hinaus
       
       Doch ihre Musik soll in die Welt hinausstrahlen: „Musik ist eine
       universelle Sprache“, sagt sie. „Es geht um dieselbe Musik, denselben
       Herzschlag, und der ist für alle gleich. Wenn du Menschen aus verschiedenen
       Ländern zusammenbringst, werden sie sich in der Musik verbinden. In meiner
       Vorstellung sind wir alle gleich.“
       
       Diawara spielt mit verschiedenen Genres, probiert sich aus, eine feste
       Richtung wählt sie nicht. Die Debatte kultureller Aneignung in der Musik
       ist für sie kein Thema. „London Ko“ beinhaltet Elemente des
       westafrikanischen Stils Wassoulou, Afrobeat, Funk, elektronische Sounds.
       Afrofuturismus nennen es manche, Avantgarde andere. Oft klingt es poppig,
       doch das Poppig-Freudige trügt – unter der Oberfläche schlummern Trauer,
       Wut und Kritik an der malischen Gesellschaft.
       
       In den Lyrics geht es meist um ernste Themen wie Krieg, Armut, Ausbeutung,
       Zwangsheirat, die sehr weit verbreitete weibliche Genitalverstümmelung. 83
       Prozent der Mädchen und Frauen in Mali sind beschnitten, laut WHO sterben
       im Schnitt 25 Prozent der Mädchen und Frauen an einem solchen Eingriff, der
       oft unter unhygienischen Bedingungen und ohne Narkose durchgeführt wird.
       Auch Diawara selbst wäre es fast so ergangen. Der Song „Sete“ (machtlos)
       erzählt genau davon. Der Titel eines weiteren Songs, „Seguen“ – übersetzt
       „das Leiden der Frauen“ –, spricht für sich.
       
       Diawara spricht über sich selbst als Überlebende. Sie möchte Vorbild sein
       für Frauen und Mädchen in Mali, damit diese sehen, dass es wichtig und vor
       allem möglich ist, einen eigenen Weg einzuschlagen. Dass sie als malische
       Frau E-Gitarre spielt, ist alles andere selbstverständlich.
       
       ## Bekannt geworden durch das Musikprojekt „Mali-Ko“
       
       Als Aktivistin sieht sich die Musikerin aber nicht. Im Jahr 2013 brachte
       sie zwar für das Musikprojekt United Voices of Mali 40 der bekanntesten
       Musiker ihres Landes zusammen, die gemeinsam den Song „Mali-Ko“ aufnahmen –
       gegen den bewaffneten Konflikt im Land. Aber: „Aktivismus ist eine ganz
       andere Energie“, meint sie. Sie fühle sich wohler, wenn sie singe. „Wenn
       ich auftrete, möchte ich mich mit dem Publikum verbinden. Möchte mit ihnen
       tanzen. Möchte sie heilen.“
       
       Wenn sie von Heilung durch die Musik erzählt, erzählt sie auch ein Stück
       von ihrer eigenen Heilung. Tradition und Eltern, die „nur das Beste für
       einen wollen“, hat auch sie erlebt. Musik helfe zu akzeptieren. Als Kind
       sei es ihr schwergefallen zu sprechen, sagt sie: „Ich habe immer geweint,
       war sehr empfindlich. Ich fühlte mich nicht wohl in dieser Welt, verstand
       die Dinge nicht. Dann beschloss ich, nicht mehr zu weinen, sondern mein
       Weinen quasi zu singen.“ Allein zu singen ist auch für sie selbst heilsam:
       „Wenn ich all die Dinge sehe in Afrika, die ich nicht gut finde, singe ich
       einfach. Es ist wie ein Blues. Mein Blues.“ Da passt es, dass sie in dem
       Film „Mali Blues“ (2016) porträtiert wurde.
       
       Bis heute singt sie am liebsten allein, eigentlich immer, wenn sie
       unterwegs ist. Selbst wenn die Leute auf der Straße sie dabei komisch
       anschauen. „Ich fühle mich manchmal gelangweilt, wenn ich mit Leuten
       zusammen bin. Es gibt nichts, das mich mehr interessiert als das Singen.“
       
       Ihre Songs singt Diawara immer auf Bambara – außer wenn sie Nina Simone
       covert. Warum nicht in anderen Sprachen, mit denen sie mehr Leute erreicht?
       „Der beste Weg für mich, echt zu sein, ist es, in meiner Muttersprache zu
       singen, denn dann ist die Verbindung zwischen mir und den Hörern direkt.
       Von Herz zu Herz.“
       
       Das imaginäre „London Ko“ scheint noch in weiter Ferne. Die Probleme für
       die Menschen in Bamako bleiben. Diawara hofft weiter auf Veränderung in
       ihrem und anderen Ländern Afrikas. Träumt von einer durch die Musik
       verbundenen Menschheit. „Es geht um Liebe und Positive Vibrations – heile
       dich selbst durch Musik und heile damit andere Menschen“, sagt Diawara. Sie
       hat einen Weg gefunden, ihren Schmerz in Hoffnung umzuwandeln.
       
       Fatoumata Diawara: „London Ko“ (3ème bureau/Wagram Stories), Tour durch
       Deutschland Ende Juli. 
       
       Der Text ist in der taz-Verlagsbeilage „Global Pop“ erschienen.
       
       17 May 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=VfMDqUSgbck
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ruth Lang Fuentes
       
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