# taz.de -- Private Schiedsgerichte vor Gericht: Energiefirmen droht Niederlage
       
       > Kohle- und Windkonzerne wollen Entschädigungen von EU-Staaten. Sollen
       > solche Klagen möglich bleiben? Der Bundesgerichtshof hat eine klare
       > Tendenz.
       
 (IMG) Bild: Ende der Idylle für BP und Uniper? BP-Raffinerie in Gelsenkirchen
       
       KARLSRUHE taz | Sollen europäische Energiefirmen auch weiterhin EU-Staaten
       vor privaten Schiedsgerichten verklagen können – wenn die Firmen sich durch
       staatliche Politik geschädigt sehen? Über diese komplexe Frage verhandelte
       der Bundesgerichtshof (BGH) am Mittwoch fast vier Stunden lang. Die Richter
       ließen eine klare Tendenz zugunsten der Staaten erkennen.
       
       Die drei verhandelten Fälle zeigten die ganze Bandbreite der Problematik.
       Zweimal geht es um Konzerne, die sich durch neue klimafreundliche Politik
       geschädigt sehen. Im dritten Fall ist es umgekehrt: Ein
       Windkraftunternehmen sieht sich durch restriktive Vorgaben beim Ausbau
       erneuerbarer Energien ausgebremst.
       
       Konkret klagen die deutschen Konzerne RWE und Uniper gegen die Niederlande,
       weil das Land bis 2030 aus der Kohleverstromung aussteigen will und den
       Eigentümern der Kohlekraftwerke dafür keine Entschädigung zahlt (anders als
       in Deutschland).
       
       RWE verlangt 1,4 Milliarden Euro Schadenersatz, Uniper mehrere Hundert
       Millionen Euro. Uniper, das in der Gaskrise vom deutschen Staat übernommen
       wurde, lässt das Verfahren derzeit auf Wunsch der Bundesregierung
       allerdings ruhen.
       
       ## Der Weg zur Klage führt über den Energiecharta-Vertrag
       
       Im dritten Verfahren klagt die irische Mainstream-Renewables-Gruppe gegen
       Deutschland. Die Mainstream-Unternehmen wollten mehrere
       [1][Offshorewindparks in der Nordsee] errichten, sahen sich jedoch durch
       den energiepolitischen Backlash der großen Koalition ab 2012 ausgebremst
       und verzichteten auf die Projekte.
       
       Die Gruppe verlangt vom deutschen Staat 275 Millionen Euro Entschädigung
       für sinnlos gewordene Aufwendungen und entgangene Gewinne – plus 56
       Millionen Euro Zinsen. Dass die Politik der aktuellen Ampelregierung
       windkraftfreundlicher ist, ändere nichts an den Ansprüchen, hieß es.
       
       Alle drei Firmen klagen vor Icsid-Schiedsgerichten der Weltbank, bei denen
       sich die Streitparteien auf private Schiedsrichter einigen, meist
       Rechtsprofessoren oder Anwälte. Der Weg zu den Schiedsgerichten führt
       [2][über den Energiecharta-Vertrag].
       
       Dieser völkerrechtliche Vertrag, dem rund 50 Staaten beigetreten sind, war
       1994 geschaffen worden, um Energieinvestitionen westlicher Konzerne in
       Osteuropa zu fördern. Unternehmen, die in den neuen Demokratien
       investierten, sollten darauf vertrauen können, dass sie nicht willkürlich
       enteignet oder sonst geschädigt werden. Streitfälle sollten nicht vor
       Gerichten in Ungarn und Kasachstan geklärt werden, sondern vor den
       neutralen Icsid-Schiedsgerichten.
       
       ## Schiedsverfahren sind nicht immer mit EU-Recht vereinbar
       
       Seither nutzen Konzerne den Energiecharta-Vertrag aber immer wieder auch zu
       Klagen gegen westeuropäische Staaten. Am bekanntesten wurde die Klage des
       schwedischen Unternehmens [3][Vattenfall gegen den deutschen Atomausstieg].
       Im März 2021 erhielt Vattenfall aufgrund eines Vergleichs (ohne
       Schiedsurteil) 1,4 Milliarden Euro.
       
       Allerdings hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) im September 2021 in
       seinem Komstroy-Urteil entschieden: Energiecharta-Schiedsverfahren sind mit
       europäischem Recht unvereinbar, wenn EU-Staaten von Unternehmen aus anderen
       EU-Staaten verklagt werden.
       
       Der EuGH folgte damit seiner Linie aus [4][dem Achmea-Urteil von 2018], mit
       dem er bilaterale Investorenschutzverträge zwischen zwei EU-Staaten für
       unzulässig erklärte. Dem EuGH geht es dabei offenbar vor allem um seine
       eigene Stellung; er will verhindern, dass private Schiedsgerichte das
       EU-Recht anders auslegen als er.
       
       Nun berufen sich auch Deutschland und die Niederlande auf die
       EuGH-Rechtsprechung, um die gegen sie eingeleiteten Icsid-Verfahren zu
       verhindern. Beide Staaten haben daher vor deutschen staatlichen Gerichten
       geklagt, um feststellen zu lassen, dass die konkreten
       ICSID-Schiedsverfahren unzulässig sind. Sie argumentieren auf Grundlage
       eines Paragrafen der deutschen Zivilprozessordnung.
       
       Die Konzerne halten diese Norm jedoch für nicht anwendbar, wenn es um
       Icsid-Schiedsgerichte geht. Deutsche Gerichte urteilten bisher
       uneinheitlich. Das Kammergericht Berlin entschied zugunsten der Konzerne,
       das Oberlandesgericht Köln zugunsten der Staaten.
       
       Nun muss der BGH entscheiden, was gilt. Der Vorsitzende Richter Thomas Koch
       ließ klar erkennen, dass sein Senat die Argumentation der Staaten
       überzeugender findet. Seit der EuGH die Schiedsklausel des
       Energiecharta-Vertrags bei Verfahren zwischen EU-Staaten und EU-Unternehmen
       für rechtswidrig erklärte, fehle die „Brücke“ zu den
       Icsid-Schiedsgerichten.
       
       Stellvertretend für die Konzerne warnte Rechtsanwalt Thomas Winter vor dem
       „verheerenden Eindruck“, den ein entsprechendes BGH-Urteil weltweit machen
       werde: „Was sagen wir dann, wenn staatliche [5][Gerichte in Brasilien oder
       Chile] ebenfalls die Schiedsgerichte aushebeln?“ Der BGH wird sein Urteil
       am 27. Juli verkünden.
       
       18 May 2023
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [4] /EuGH-Urteil-zu-Schiedsgerichten/!5486429
 (DIR) [5] /Umstrittener-Vertrag-ueber-Energiecharta/!5893975
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
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