# taz.de -- Streit um das Heizungsgesetz: Fünf Fragen zur Ampel
       
       > Die Koalition in Berlin ist in ihrer bisher schwersten Krise. Es geht um
       > mehr als um ein paar alte Ölheizungen.
       
 (IMG) Bild: Leuchtet die Ampel gelb, sollte man kräftig auf die Bremse treten
       
       ## Ist die Fortschrittskoalition eine Gurkentruppe?
       
       Weit ist es nicht mehr bis dahin. Von der selbst ernannten
       Fortschrittskoalition, die mehr sein wollte als ein Bündnis des kleinsten
       gemeinsamen Nenners, ist beim Klimaschutz wenig zu sehen. Gerade kann sie
       sich nicht mal auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, nämlich
       [1][ein gemeinsam im Kabinett beschlossenes Gesetz auch tatsächlich dem
       Bundestag zu übergeben]. Und das, obwohl die Ampel im Koalitionsausschuss
       – diesem Kreis aus Partei- und Fraktionschefs, der sich auf Einladung von
       Olaf Scholz ab und an am Wochenende im Kanzleramt trifft und auch mal die
       Nacht durchmacht – zweimal verabredet hat, dass der Heizungstausch von
       fossil zu nichtfossil schon im nächsten Jahr starten soll. Von „Wortbruch“
       sprach Robert Habeck, ein Grüner bezeichnete die FDP als „destruktive
       Clique“.
       
       Der Verlust an Vertrauen zwischen den Koalitionspartnern wiegt dabei
       schwerer als der inhaltliche Streit. So grundsätzlich sind die Einwände der
       FDP gegen das Gesetz von Robert Habeck (Grüne) und Klara Geywitz (SPD)
       nämlich gar nicht. Dass es mehr Alternativen zur Wunderheizung Wärmepumpe
       geben muss, ist allen klar, und dass keine Häuslebesitzerin nach einer
       Heizungshavarie Privatinsolvenz anmelden soll, ebenfalls. Differenzen kann
       man mit Kompromissen überbrücken, verloren gegangenes Vertrauen ist
       schwerer zu ersetzen.
       
       Die Gespräche gehen weiter. Aber selbst wenn man sich noch vor der
       Sommerpause auf ein Gesetz einigt, wird sich am Modus Operandi der
       Regierung wenig ändern. Denn dieses Muster – man verabredet sich, und im
       letzten Moment meldet die FDP ihr Veto an – schien ja schon beim
       Atomausstieg und beim Verbrenner-Aus auf.
       
       „Gurkentruppe“ ist übrigens kein Kosename für die Grünen, damit beschimpfte
       CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt den liberalen Koalitionspartner vor
       13 Jahren im Streit über die Gesundheitspolitik. Nach vier Jahren war
       Schluss mit der schwarz-gelben Koalition.
       
       ## Warum zündet die FDP das Dach an?
       
       Weil sie es kann. Und weil sie der Versuchung einfach nicht widerstehen
       konnte. Wirtschaftsminister Robert Habeck, Antagonist von Christian
       Lindner, ist angeschlagen, und weite Teile der Bevölkerung stehen dem
       Heizungsgesetz skeptisch gegenüber. Beflügelt von dieser Antistimmung und
       Seit’ an Seit’ mit der Bild kann sich die FDP als Katalysator für den Unmut
       im Volk aufspielen und sich nebenbei am populistischen Grünen-Bashing
       beteiligen.
       
       Sinnbildlich dafür stehen die 101 Fragen, die die FDP-Fraktion erst vom
       Wirtschaftsministerium beantwortet haben wollte, bevor es weitergehen kann
       im Gesetzgebungsprozess. Mal sprachen FDP-Politiker*innen von 100 Fragen,
       mal von 101, es kursierten Listen, die aber nicht im Ministerium ankamen.
       Offiziell trudelten dann 77 Fragen ein. Fragen sind normal im
       Gesetzgebungsprozess, sie als PR-Nummer zu inszenieren ist es nicht. Es
       geht der FDP nicht darum, die dringend benötigte Wärmewende hinzubekommen.
       Sie möchte die Verunsicherung in der Bevölkerung in politisches Kapital
       ummünzen und agiert wie eine Oppositionspartei. Wie schrill sie dabei
       klingt, wird vor allem an den Tönen der Union und AfD gemessen. Das kann
       ihr kurzfristig Aufwind verschaffen, aber nicht langfristig. Nach etlichen
       verlorenen Landtagswahlen agiert die Partei affektgetrieben. Gestärkt aus
       diesem Bündnis kann sie aber nur gehen, wenn sie Antworten für eine bessere
       Zukunft liefert. Die schafft man nicht mit Nischenkämpfen für E-Fuels und
       H2-ready-Heizungen. Die Grünen machen Öko, die SPD macht Soziales. Und die
       FDP? Eben. Nur (Schulden-)Bremse reicht nicht.
       
       ## Wieso lassen sich die Grünen das bieten?
       
       Weil die Grünen eigentlich keine Alternative haben, wenn sie die Ampel
       nicht ernsthaft in Gefahr bringen oder gleich in die Luft jagen wollen. Und
       das wollen sie nicht. Aus staatspolitischer Verantwortung in
       krisengeschüttelten Zeiten. Und weil sie trotz allem Ärger sowohl auf die
       FDP als auch auf den Bundeskanzler wissen: Ein besseres Regierungsbündnis
       gibt es derzeit nicht. Denn dass mit der Union unter Friedrich Merz, der
       bei Neuwahlen ziemlich sicher der Kanzlerkandidat wäre, beim Klima und
       anderen wichtigen Themen für die Grünen mehr zu erreichen und das Regieren
       leichter wäre, glaubt in der Partei kaum jemand.
       
       Hinzu kommt: Die Grünen verhandeln aus einer Position der Schwäche heraus.
       Robert Habeck hat bei der Erarbeitung des Gebäudeenergiegesetzes Fehler
       gemacht. Als ein Entwurf bei der Bild landete, hatte er kein Konzept für
       den sozialen Ausgleich, und eine Kommunikationsstrategie fehlte auch. Für
       die Gegner*innen des GEG war das eine Steilvorlage, die sie zu nutzen
       wussten. Inzwischen ist die Verunsicherung in der Bevölkerung groß. Die
       Trauzeugenaffäre um den inzwischen entlassenen Energie-Staatssekretär
       Patrick Graichen kam noch obendrauf.
       
       Dreimal haben die Grünen das Gebäudeenergiegesetz in der Ampel bereits
       verhandelt, jedes Mal haben sie Zugeständnisse gemacht. Jetzt erhöhen sie
       den öffentlichen Druck auf den Koalitionspartner und blockieren im Gegenzug
       Vorhaben wie die Planungsbeschleunigung bei den Autobahnen, ein
       Herzensthema der FDP. Jetzt verhandeln sie mit der FDP noch einmal mehr,
       damit das GEG in den Bundestag geht. Weitere Zugeständnisse inklusive.
       
       ## Wo ist eigentlich Olaf Scholz?
       
       Habeck holzt gegen die FDP, die FDP holzt gegen Habeck. Die Ampel macht
       derzeit die Opposition arbeitslos. Manche mögen fragen: Was macht Olaf
       Scholz eigentlich beruflich? Denn der Kanzler hält sich recht vornehm
       zurück. Aber das ist kein Wunder, auch kein Versagen. Es entspricht dem
       Grundgesetz, Artikel 65. Der Kanzler hat die Richtlinienkompetenz. Die
       Arbeit aber machen die MinisterInnen selbstständig. Und wenn die sich
       zerlegen, ist guter Rat immer teuer.
       
       Scholz hat beim Zoff zwischen Grünen und FDP über das Ende der AKWs einmal
       ein Machtwort gesprochen. Machtwort sieht aus wie Stärke, ist aber ein
       Zeichen dramatischer Schwäche. Die Ultima Ratio. Es wird schnell ein
       stumpfes Schwert. Den Heizungsstreit wird Scholz nicht mit seiner
       Richtlinienkompetenz entscheiden. Denn der ist komplexer als die
       AKW-Frage. Die ließ sich mit Ja/Nein beantworten, die
       Heizungsausnahmeregeln sind schwindelerregend kompliziert. Zudem kann der
       Kanzler dem Bundestag kein Gesetz vorschreiben.
       
       So hat Scholz nur die Macht der Moderation. Die hat er meist zugunsten der
       angeschlagenen FDP eingesetzt und nebenbei die sehr selbstbewussten Grünen
       eingehegt, was ihm nicht ungelegen kam. Aber das Befriedungsmodell „FDP
       streicheln, Grüne ermahnen“ wird beim Heizungsstreit nicht funktionieren.
       Denn die Grünen sind seit der verlorenen Bremenwahl und miesen Umfragen
       sehr dünnhäutig. Scholz’ Anhänger rühmen gern dessen Verhandlungsgeschick.
       Man wird sehen.
       
       ## Ist Streit das neue Normal?
       
       Die Deutschen mögen am liebsten eine Regierung, die sie in Ruhe lässt.
       Deshalb hat Angela Merkel 16 Jahre regiert. Aber mit der geräuscharmen
       Gemütlichkeit ist es aus zwei Gründen vorbei. Die Krisendichte nimmt mit
       dem Klimawandel zu. Es reicht nicht mehr, den Status quo zu verwalten.
       
       Zweitens: Haben Sie zwei Geschwister ungefähr in Ihrem Alter? Dann wissen
       Sie, dass es in Dreierkonstellationen Konkurrenzen gibt und es dabei oft
       „Zwei gegen einen“ heißt. Also Streit. Die Zeit der Zweierkoalitionen (eine
       große Volkspartei, eine kleine Milieupartei, Koch und Kellner) ist eher
       vorbei. Die Ampel ist als Dreierkonstellation (zwei Milieuparteien, eine
       Volkspartei in der Abenddämmerung) das neue Normal. Und das ist stressiger,
       krisenanfälliger, nervöser. Denn es gibt die Hierarchie von Groß und Klein
       nicht mehr.
       
       Außerdem sind Milieuparteien wie Grüne und FDP anstrengender als
       Volksparteien. Die dürfen moderat, langweilig und hüftsteif sein –
       Milieuparteien müssen wendiger, deutlicher und schriller sein, um auf dem
       Wählermarkt zu bestehen. Das macht die Kompromissfindung in
       Dreierbündnissen aufwendig und fragil.
       
       Der Ukrainekrieg hat ein Jahr lang schwelenden Streit eher verdeckt. Jetzt
       ist er unübersehbar. Er wird, auch wenn man sich beim Heizungsgesetz
       einigt, immer wieder aufbrechen. Das Publikum wird sich daran gewöhnen
       müssen. Die Alternative wäre wohl: Zurück zur Groko. Auch keine schöne
       Aussicht.
       
       Hören Sie zum Heizungsstreit auch den Bundestalk, den Podcast der taz:
       „Kulturkampf um die Wärmepumpe. Wie geht es jetzt weiter mit der
       Klimapolitik der Ampel?“ [2][taz.de/bundestalk]
       
       26 May 2023
       
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