# taz.de -- Kritik am EU-Mercosur-Abkommen: „Das Abkommen bedroht die Wälder“
       
       > Das EU-Mercosur-Abkommen untergrabe Präsident Lulas Pläne zum Stopp der
       > Entwaldung, meint Yannick Jadot. Es könnte die Rückkehr Bolsonaros
       > fördern.
       
 (IMG) Bild: Sojaernte im Bundesstaat Parana, Brasilien, April 2023
       
       taz: Herr Jadot, Brasiliens Präsident Lula da Silva hat eine radikale Wende
       der Umweltpolitik versprochen, erst letzte Woche legte seine Regierung
       einen ambitionierten Plan zum Stopp der Entwaldung vor. Ist das nicht eine
       gute Grundlage für die Ratifizierung des EU-Mercosur-Abkommens? 
       
       Yannick Jadot: Für mich gibt es keine Verbindung zwischen der
       Notwendigkeit, die Entwaldung und den Klimawandel aufzuhalten, und dem
       Abkommen. Der einzigen Link, den ich sehe: der steigende Export von
       Rindfleisch, Soja, Geflügel, Zuckerrohr und Ethanol. Das wird den Druck auf
       die Wälder erhöhen, nicht nur in Amazonien, sondern auch in anderen Biomen
       wie dem cerrado.
       
       Der Feuchtsavanne im Südosten Brasiliens. 
       
       Diese Region ist durch die Viehwirtschaft und den Sojaanbau in akuter
       Gefahr. Ich bin davon überzeugt, dass Lula und Umweltministerin Marina
       Silva die Abholzung stoppen wollen. Aber das Abkommen bedroht die Wälder.
       2023 darf kein Handelsvertrag ratifiziert werden, der Klima, Umwelt- und
       Menschenrechte unter den Abbau von Zöllen stellt.
       
       Was sind Ihre Hauptkritikpunkte? 
       
       Das Abkommen wurde vor fast einem Vierteljahrhundert entworfen. Seit den
       ersten Verhandlungen vor mehr als 20 Jahren wurden Regenwaldflächen in der
       Größe Spaniens und Portugals abgeholzt. Dieses Abkommen setzt weiterhin auf
       ein exportorientiertes Agrarmodell, das ungleiche Landverteilung, Armut und
       Lebensmittelunsicherheit zur Folge hat. Und es steht auch Lulas Plänen
       diametral gegenüber, das Land zu industrialisieren. Alle Studien zeigen,
       dass das Abkommen negative Auswirkungen für die Industrie und die
       Arbeitsmarktentwicklung hat.
       
       Wieso denn das? 
       
       Der freie Zugang von europäischem Milchpulver gefährdet beispielsweise
       Kleinbauern in Brasilien. Auf der anderen Seite werden Soja und Fleisch aus
       Südamerika dramatische Auswirkungen für europäische Bauern haben. Außerdem:
       In Brasilien sind 150 Pestizide im Umlauf, die in der EU verboten sind.
       Dieses Agrarmodell ist also nicht nur schädlich für die Umwelt und die
       Gesundheit in Brasilien, sondern auch für europäische Konsumenten.
       
       Aufgrund der Kritik wurde eine Zusatzvereinbarung für mehr Nachhaltigkeit
       und den Schutz der indigenen Bevölkerung nachgelegt. Sie nennen das
       „Greenwashing“. Warum? 
       
       Ich finde, wir müssen erneut über das Handels- und Nachhaltigkeitskapitel
       des Abkommens diskutieren. Es muss Umsetzungs- und Sanktionsmöglichkeiten
       geben, dazu trägt die Zusatzvereinbarung aber in keiner Weise bei.
       
       Mögliche Sanktionen sind ein wunder Punkt. Bei seinem [1][Treffen mit
       EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen] sagte Lula, dass eine
       Partnerschaft auf Vertrauen und nicht auf „Sanktionen“ aufgebaut sein
       sollte. Im Subtext wirft er der EU neokoloniales Gebaren vor. Können Sie
       das verstehen? 
       
       Nein. Wenn es um die größte Aufgabe der Menschheit geht, nämlich den
       Klimawandel, muss es Vertrauen geben, das ist richtig. Aber was machen wir,
       wenn Bolsonaro in drei Jahren zurück ist? Das EU-Mercosur-Abkommen soll ja
       Jahrzehnte überdauern. Es ist unwahrscheinlich, dass Lula und Marina Silva
       so lange im Amt sein werden, auch wenn wir uns das wünschen würden. Wenn in
       ein paar Jahren jemand wie Bolsonaro zurück ist, stehen wir vor den
       gleichen Problemen. Nochmal: Ich glaube, dass Lula und Teile seiner
       Regierung tatsächlich dem Klima und den Wäldern verpflichtet sind. Die
       Betonung liegt jedoch auf Teile, denn die Koalition ist fragil, es gibt
       wenige gemeinsame Ziele. Der kleinste gemeinsame Nenner war es, Bolsonaro
       loszuwerden.
       
       Befürworter des Abkommens sagen: Europa brauche für die Energiewende den
       Zugang zu wichtigen Rohstoffen aus Lateinamerika wie Kobalt, Nickel und
       Lithium. 
       
       Wir müssen die Energiewende angehen, vor allem im Verkehrs- und Autosektor.
       Aber ich glaube, eine gute Partnerschaft kann so aussehen, dass wir den
       Mercosur-Staaten helfen, nicht länger auf den Extraktivismus zu setzen.
       Selbst von der Leyen sagte, es müsse in grüne Wirtschaftsprojekte
       investiert werden. Aber warum sollen wir dann an einem Abkommen festhalten,
       das den Umwelt- und Klimazielen in Europa und Mercosur entgegenläuft? Ich
       bin selbstverständlich dafür, die Partnerschaft mit Brasilien auszubauen.
       Aber das Abkommen könnte sogar einer Rückkehr Bolsonaros in die Karten
       spielen.
       
       Warum? 
       
       Die Hauptprofiteure des Abkommens leben in den Hochburgen Bolsonaros. In
       Bundesstaaten, die vom Sojaanbau und der Viehwirtschaft geprägt sind, wie
       zum Beispiel Mato Grosso.
       
       Was ist Ihre Forderung? Zurück zu den Verhandlungen? 
       
       Ja, wir müssen die Verhandlungen wieder aufnehmen. Wir brauchen ein
       Abkommen, das im Einklang mit den gegenwärtigen Herausforderungen steht.
       Warum sollten wir, um den Wald zu retten, ein Abkommen ratifizieren, das
       den Wald zerstört?
       
       Sie waren kürzlich in Brasilien. Was war Ihr Eindruck, versucht Brasilien
       wirklich eine neue Umweltpolitik umzusetzen? 
       
       Der Wille ist da. Ich war vier Monate nach dem Amtsantritt der
       [2][Lula-Regierung und dem Putschversuch] in Brasilien unterwegs. Einige
       Spitzenbeamte sagten mir: Es ist nicht nur einfach ein Regierungswechsel,
       sondern ein kompletter Wechsel der Administration. Es gibt jetzt 37
       Ministerien, keine einfache Situation. Lula muss seine Koalition
       zufriedenstellen, und das [3][Agrobusiness ist ein Teil davon]. Und er will
       zeigen, dass Brasilien zurück ist und er in der Lage ist, Abkommen zu
       unterzeichnen. Wenn man Umweltministerin Silva zuhört, erfährt man
       außerdem, dass die Umweltschutzbedenken des Abkommens derzeit nicht die
       oberste Priorität in Brasilien haben. Es gibt viele weitere Konflikte
       innerhalb der Regierung und im Parlament. Kürzlich stimmte das
       [4][Abgeordnetenhaus für das „Marco Temporal“-Gesetz], das sich gegen die
       indigene Bevölkerung richtet.
       
       Die Agrarindustrie trägt zu 25 Prozent des brasilianischen BIP bei. Sind
       radikalere Veränderungen in einem Land wie in Brasilien überhaupt möglich? 
       
       Das muss es. Die brasilianische Wirtschaft war komplett auf Kautschuk
       ausgerichtet, dann auf Kaffee, nun eben auf Rindfleisch und Soja. Dieses
       Modell hat zu einer riesigen Konzentration von Land und Reichtum geführt.
       Die sozialen und ökonomischen Konsequenzen dieses Modells müssen auch mit
       der Präsidentschaft Bolsonaros und einer möglichen Rückkehr der extremen
       Rechten in Verbindung gesetzt werden. So ist es nicht verwunderlich, dass
       während seiner Amtszeit die Ungleichheit, Lebensmittelunsicherheit und der
       Hunger zunahmen, während gleichzeitig die Soja- und Fleischexporte
       explodierten.
       
       Von der Leyen sagte, das Abkommen stehe kurz vor der „Ziellinie“ und könnte
       bis Ende des Jahres ratifiziert werden. 
       
       Nein, das ist wishful thinking. Auf der Seite der Mercosur-Staaten gibt es
       viele Bedenken, ebenso auf der EU-Seite. Die französische
       Nationalversammlung stimmte kürzlich gegen das Abkommen. Aus den
       Niederlanden und Österreich sind ebenfalls viele kritische Töne zu
       vernehmen.
       
       21 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Bedrohter-Regenwald-in-Brasilien/!5939443
 (DIR) [2] /Nach-dem-Putschversuch-in-Brasilien/!5904906
 (DIR) [3] /Regenwald-in-Brasilien/!5936385
 (DIR) [4] /Menschenrechte-und-Waldschutz/!5938204
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Niklas Franzen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Mercosur
 (DIR) transpazifisches Freihandelsabkommen
 (DIR) Jair Bolsonaro
 (DIR) Freihandelsabkommen
 (DIR) Freihandelsabkommen
 (DIR) Amazonas
 (DIR) Brasilien
 (DIR) Mercosur
 (DIR) Mercosur
 (DIR) Brasilien
 (DIR) Ursula von der Leyen
 (DIR) Kenia
 (DIR) Freihandel
 (DIR) Freihandel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) EU-Abkommen mit Mercosur-Ländern: Paraguay macht Druck
       
       Die Gespräche über die geforderten Zusätze zum unratifizierten
       Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten stocken. Paraguay setzt nun
       eine Frist.
       
 (DIR) Wirtschaftsweise über Mercosur-Abkommen: „China läuft uns den Rang ab“
       
       Die neue Weltlage mahnt zur Eile beim EU-Abkommen mit den
       lateinamerikanischen Mercosur-Staaten, meint die Ökonomin Veronika Grimm.
       
 (DIR) Indigenenvertreter zum Amazonasgipfel: „Wir schützen den Regenwald“
       
       Dinamam Tuxá sieht auch europäische Länder in der Pflicht, die Ausbeutung
       des Amazonas zu stoppen. Er verlangt, indigene Völker stärker
       einzubeziehen.
       
 (DIR) EU-Mercosur-Freihandelsabkommen: Südamerika geht einen eigenen Weg
       
       Das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen hängt weiter in der Luft. Denn die
       Differenzen der Verhandlungspartner sind in den vergangenen Jahren eher
       gewachsen.
       
 (DIR) Mercosur-Gipfel zum Handelsvertrag: Lula lässt sich nichts aufzwingen
       
       Die Mercosurstaaten bekennen sich zum Abkommen mit der EU – mit großen
       Einschränkungen. Strittig ist vor allem eine Zusatzerklärung zur Umwelt.
       
 (DIR) EU-Mercosur-Handelsvertrag: Kommt die Rindfleischschwemme?
       
       Der Deutsche Bauernverband sorgt sich, dass durch das EU-Mercosur-Abkommen
       heimische Produkte verdrängt werden könnten. Was ist dran?
       
 (DIR) Prozessbeginn gegen Ex-Präsident Bolsonaro: Bolsonaro droht Amtsverbot
       
       Im Prozess gegen Brasiliens Ex-Präsident geht es um Amtsmissbrauch und
       Verstoß gegen das Wahlgesetz. Analysten erwarten Schuldspruch.
       
 (DIR) Wende der EU-Kommission: 50 Milliarden für die Ukraine
       
       Krieg, China, Energiekrise: Das 7-Jahres-Budget der EU reiche nicht, sagt
       Kommissionspräsidentin von der Leyen. Ein Nachschlag müsse her.
       
 (DIR) Staatssekretär über Abkommen mit Kenia: „Wir wollen Wertschöpfung vor Ort“
       
       Kenia und die EU beschließen ein gemeinsames Handelsabkommen. Vor allem die
       Klimaschutzziele seien vorbildlich, sagt Staatssekretär Jochen Flasbarth.
       
 (DIR) Von der Leyen in Südamerika: Werben für Freihandelsabkommen
       
       Die EU-Kommissionspräsidentin will die Beziehungen mit dem Staatenbund
       Mercosur noch vor dem anstehenden Gipfel auf eine „neue Ebene bringen“.
       
 (DIR) Allianz gegen Freihandelsabkommen: Fridays for Farmers
       
       Das EU-Mercosur-Handelsabkommen bedroht Existenzen in Europa und
       Südamerika. Das kritisiert eine Koalition aus Klimaaktivisten und Bauern.