# taz.de -- Gottesdienst durch Künstliche Intelligenz: Und ChatGPT sprach…
       
       > Beim Evangelischen Kirchentag wurde der erste, von Künstlicher
       > Intelligenz erdachte und geleitete, deutsche Gottesdienst gehalten. Ein
       > Erfolg?
       
 (IMG) Bild: Kann eine künstliche Intelligenz bald Pfarrer*innen ersetzen? In Fürth wird das erstmals probiert
       
       FÜRTH taz | Die Gemeinde springt leicht gestresst auf. Die blonde, junge
       Frau in weißer Bluse legt auf der Leinwand ein ziemliches Tempo an den Tag.
       Das Bekenntnis des Vater-Unsers, einer der Mitmach-Momente jedes
       Gottesdienstes, kam etwas unvermittelt. Und zack, ehe die letzten
       aufgestanden sind, ist es auch schon vorbei. Sofort geht es weiter mit dem
       nächsten Punkt des Gottesdienstes: Predigt, Gebet, Segen – alles
       programmiert.
       
       Beim Evangelischen Kirchentag fand der erste Gottesdienst statt, der von
       einer Künstlichen Intelligenz geschrieben und geleitet wurde. Das Thema
       interessiert viele Menschen. Die St. Paul-Kirche in Fürth ist voll, auch
       viele Pressevertreter*innen sind anwesend. Zu Beginn braucht es eine
       kleine Einführung. Was erwartet die Menschen hier heute? Nicht allen ist
       der in den letzten Monaten [1][viel diskutierte Chatbot ChatGPT] ein
       Begriff.
       
       Der 29-jährige Jonas Simmerlein, Theologe und wissenschaftlicher Assistent
       an der Universität Wien, hat dem KI-Programm ChatGPT den Auftrag für den
       Gottesdienst gegeben. Er sei vor allem „neugierig“ gewesen, wie und ob es
       funktionieren könne und welche Reaktionen so ein Gottesdienst bei den
       Menschen hervorrufen würde.
       
       ## Kirche in Futur
       
       ChatGPT bekommt von ihm die harten Fakten geliefert: „Schreibe einen
       Gottesdienst für den [2][Evangelischen Kirchentag in Nürnberg und Fürth],
       der das Motto „Jetzt ist die Zeit“ hat. Wie viel Aufwand so ein
       KI-Gottesdienst ist? „Gar nicht so viel, wie man denken würde. Nehmen Sie
       sich einfach mal einen Tag Zeit“, so Simmerlein gegenüber der taz. Den Text
       der KI habe er kaum redigiert. „Man kann die KI als Tool benutzen und im
       Anschluss bearbeiten. Ich wollte aber nicht den bestmöglichen Gottesdienst
       mit Hilfe einer KI machen, sondern zeigen, was die KI kreiert.“
       
       Zunächst bedeutet ein KI-Gottesdienst erstmal: keine Liederbücher, keine
       Kerzen, stattdessen eine große Leinwand in der Mitte des Altars. Dort
       sprechen verschiedene Avatare zu den Menschen. Die Avatare sind
       amerikanische Schauspieler*innen. Äußerlich sind sie divers, haben aber
       alle eine ähnlich monotone Stimme. Die Menschen in Fürth zücken ihre
       Smartphones und machen Fotos. So futuristisch ist Kirche schließlich
       selten.
       
       Inhaltlich rasselt die KI dann die Bibelstellen nur so runter. Bei der
       Geschwindigkeit fällt es schwer, über die einzelnen Sätze ernsthaft
       nachdenken zu können. In der Predigt thematisiert die KI die Gefahren und
       Chancen von Künstlicher Intelligenz. Ganz nach dem Motto: Sprich, wovon du
       was verstehst. Auf teilweise spannende Sätze folgen Blöcke, die stark an
       einen vorgelesenen Wikipedia-Artikel erinnern und die Menschen auf den
       Kirchenbänken inhaltlich abschalten lassen. Für eine echte
       Gottesdienst-Atmosphäre fehlt das gemeinsame Singen, es fehlt sogar das
       Orgelspiel. Denn die von der KI ausgewählte Musik, die mehrfach abgespielt
       wird, wirkt, so fast es eine Frau später zusammen „einfach nur wie
       Fahrstuhlmusik“.
       
       ## Ein Kunstprojekt
       
       Das Echo der Besucherinnen und Besucher der Kirche ist später geteilt. „Zu
       schnell, zu unpersönlich, nie wieder“, sind einige Reaktionen, die
       Simmerlein im Anschluss auswerten wird. Andere finden es spannend, „wie
       weit die KI schon ist und wie viel da bereits möglich ist.“
       
       Im Anschluss an den Gottesdienst sagt ein älterer Mann: „Ich bin sehr
       beruhigt, weil deutlich geworden ist, wo die Grenzen sind. KIs können nur
       sagen, was im Netz ist, während ein echter Prediger noch seine eigenen
       Ideen hat.“ Auf dem Podium bei der anschließenden Reflexionsrunde sagt die
       29-jährige Philosophin und Theologin Anna Puzio später spitz: „Interessant,
       wie wir jetzt vom blöden, langweiligen KI-Gottesdienst sprechen, und der,
       den es sonst gibt, so glorifiziert wird.“ Die Leute in der Kirche lachen.
       
       Auch Simmerlein beobachtet, dass ähnliche Aussagen, für die der Theologe
       Heinrich Bedford-Strohm beim Eröffnungsgottesdienst Applaus bekommen hat,
       bei der KI in der Gemeinde für Lacher sorgen: „Das waren etwa Aussagen zu
       Gerechtigkeit. Vielleicht war es in gewisser Weise auch ein hilfloses
       Lachen, weil man merkt: Irgendwie macht mich das unruhig, dass die KI auch
       solche Sätze sagt.“
       
       Der experimentelle Gottesdienst macht deutlich, dass er mehr Fragen
       aufgewirft, als er beantworten kann. Das sind [3][insbesondere ethische
       Fragen] wie: „Wer spricht, wenn die KI von ‚Wir‘ und ‚Ich‘ spricht? Gibt es
       die Gefahr, dass sich die KI zum Gott erhebt? Aber auch
       Technisch-Praktisches bleibt offen: Wie kann die KI sich besser an den
       Sprechrhythmus der Gemeinde anpassen? Und kann KI vielleicht eine Lösung
       für unbesetzte Pfarrstellen auf dem Land sein? In anderen Ländern wird mit
       KI-Gottesdiensten schon gearbeitet, berichtet Simmerlein.
       
       „Für mich ist es ein Kunstprojekt“, sagt Simmerlein. Schon im Voraus habe
       er „Abgesänge“ auf seinen KI-Gottesdienst erhalten, obwohl noch gar nichts
       stattgefunden hatte. Er vermutet, dass einige dieser Menschen generell
       Innovationen in der Evangelischen Kirche ablehnen. „Sie alle haben jetzt
       die Möglichkeit, sich eine fundierte Meinung zu bilden“, sagt Simmerlein
       den Menschen in Fürth. Die angeregten Diskussionen danach zeigen, dass
       dieser Einladung gefolgt wird.
       
       9 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Linda Gerner
       
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