# taz.de -- Ausverkauf bei Karstadt: Unter Schnäppchenjägern
       
       > Wenn man sich an der Kasse schlecht fühlt, muss das nicht damit zu tun
       > haben, dass das Kaufhaus dicht macht. Denn da gibt es ja noch die anderen
       > Kunden.
       
 (IMG) Bild: Noch mal kurz ein letztes Mal zum Karstadt: Nebeneingang in der Wandsbeker Marktstraße
       
       Zwanzig Jahre habe ich im Karstadt in Hamburg-Wandsbek eingekauft, ich
       besitze immer noch den Pürierstab, den Entsafter, etliche Kleider und
       Hosen, ich habe noch den Strohhut, den ich immer zum Wandern aufsetze, und
       die schwarzen Wildlederschuhe.
       
       „Mann, das sieht aber aus hier!“, sagt meine Begleiterin, als wir [1][ein
       letztes Mal] durch diese älteste Filiale Hamburgs schlendern. Nackte Regale
       und nackte Schaufensterpuppen. Alles was noch da ist, wird verkauft, mit
       siebzig Prozent Rabatt.
       
       „Wie lange haben Sie noch auf?“, fragt eine Frau eine Verkäuferin, die BHs
       vom Boden aufliest. „Bis nichts mehr da ist, aber spätestens Samstag ist
       zu.“ „Was machen Sie dann?“ Die Verkäuferin zuckt mit den Schultern. Ich
       reihe mich mit vier BHs und einem Regenschirm in die Schlange vor der Kasse
       ein. Ich fühle mich schlecht, weil ich meinen Karstadt plündere. Aber es
       ist nicht mein Karstadt, und die BHs kosten jetzt siebzig Prozent weniger.
       An einer der Kassen gibt es Stress. Ein Mann hat einen Haufen komischer
       Plastikteile auf den Kassentresen gelegt, fünf Euro sechzig soll er dafür
       bezahlen, und das kommt ihm nun falsch vor.
       
       „Was kostet das?“, fragt der Mann und deutet auf eines der Plastikteile.
       „Dreißig Cent“, sagt die Verkäuferin. „Das sollte aber fünfundzwanzig
       kosten“, sagt der Mann, „und das?“ Die Verkäuferin blickt ihn ausdruckslos
       an. „Das stand da“, sagt der Mann und deutet irgendwohin. Jeden einzelnen
       seiner Artikel geht er auf dem Kassenzettel durch. „Wenn die Dame einfach
       mal mitkommt.“ Erst an diesem Punkt fühle ich eine Reizung meiner Nerven.
       Bis dahin habe ich für diesen Mann mit seinen Plastikteilen all das
       Verständnis aufgebracht, das in mir für solche Situationen vorhanden ist,
       jetzt ist es damit vorbei.
       
       „Die Dame“ habe ich in den letzten Tagen ein paarmal zu oft gehört
       beziehungsweise gelesen. In früheren Zeiten ist „die Dame“ vielleicht
       einmal etwas Gutes gewesen, jetzt aber steckt in diesem Ausdruck nichts als
       höhnische Verachtung, (außer wenn ein alter österreichischer Kellner ihn
       benutzt). Ich las „die Dame“ hundertfach, leider, denn ich hätte das ja
       nicht tun müssen, in Kommentaren zu Artikeln über [2][die Vorkommnisse im
       Backstagebereich der Band Rammstein]. „Das hätten die Damen aber …“, „Wenn
       diese Damen …“, „So, wie die Damen angezogen …“. Diese
       Lindemann-Kommentarstränge sind voller „Damen“.
       
       Aus irgendwelchen Gründen hat „die Dame“ heute eine ziemliche Abwertung
       erfahren. Es gibt zum Beispiel den bescheuerten Ausdruck, „Damen des
       horizontalen Gewerbes“. Was soll das heißen? Warum redet man da von
       „Damen“? Aus dem gleichen Grund, aus dem man in Lindemann-Kommentarsträngen
       von Damen redet. Die Frau ist das, was man zu Hause hat, aber „die Dame“,
       die sich vielleicht auch noch für was Besseres hält, mit der hat man nichts
       zu tun. Originell und ironisch will man sein, der Begriff wird eigentlich
       nur noch genutzt, um Frauen zu demütigen.
       
       Der Mann an der Kasse indessen verlangt, dass die „Dame“ ihn irgendwohin
       begleitet, wo er ihr beweisen kann, dass sein Plastikteil nicht dreißig,
       sondern fünfundzwanzig Cent kostet (abzüglich siebzig Prozent), aber „die
       Dame“ bleibt hart. Müde sieht sie ihn an, nächste Woche ist sie arbeitslos,
       und schiebt ihm seine Plastikteile entgegen: „Fünf Euro sechzig.“ Ich
       bezahle an der Nebenkasse, und als ich gehe, ist er immer noch am Streiten.
       Draußen ist es heiß, viel zu heiß. Der Beton glüht. Ich öffne meinen
       Regenschirm und spaziere in seinem Schatten davon.
       
       27 Jun 2023
       
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