# taz.de -- Übergriffe auf linke Aktivist*innen: Mölln auf der Kippe
       
       > Rechtsextreme drängen junge linke Aktivist*Innen in Mölln in die
       > Defensive. Am Samstag wollen sie öffentlich gegen die Zustände
       > demonstrieren.
       
 (IMG) Bild: Wollen gegen Rechtsextreme nicht klein beigeben: junge linke Aktivist*innen in Mölln
       
       HAMBURG taz | Es ist eine Gasse [1][in der Altstadt von Mölln], die im
       Sommer besonders idyllisch wirkt: Bunte Blumen schmücken die Häuser in der
       Mühlenstraße, die kleinen Fachwerkhäuser erstrahlen in warmen Farben, über
       die gepflasterte Straße rattern die Reifen der vorbeifahrenden Fahrräder.
       Wer jedoch etwas aufmerksamer durch die Gasse spaziert, entdeckt an einer
       Hauswand eine Gedenktafel.
       
       Wer noch genauer hinschaut, sieht daneben rechte Sticker kleben, deren
       Botschaften zu Hass gegen Ausländer*innen und Andersdenkenden aufrufen.
       Die Gedenktafel hingegen erinnert an die Folgen rechter Gesinnung: Auf
       dieses Haus gab es 1992 einen rassistischen Brandanschlag, drei Menschen
       starben.
       
       Jährlich finden seither Gedenkveranstaltungen statt, die Tat hat sich
       bundesweit als Mahnung ins Gedächtnis gegraben. Und dennoch beklagen
       jugendliche linke Aktivist*innen nun, dass rechtsextreme Aktivitäten
       seit einiger Zeit wieder zunehmen und die jungen Aktivist*innen in die
       Defensive drängen.
       
       Lena* ist eine der linken Möllner Aktivst*innen. Sie ist 21 Jahre alt und
       in Mölln aufgewachsen. „Rechte Sticker gab es hier schon immer, aber seit
       August letzten Jahres hat die rechte Gewalt zugenommen“, sagt sie. Sie
       sieht sich einer wachsenden Gefahr von Onlinehetze, Einschüchterungen bis
       hin zu körperlicher Gewalt ausgesetzt.
       
       ## Rechte Tradition vor Ort
       
       Die Möllner Aktivist*Innen haben die Vorfälle rechter Gewalt in einer
       Liste gesammelt. Sie reicht von tätlichen Angriffen über zerschlagene
       Heckscheiben privater Pkws bis hin zur Brandstiftung an der örtlichen
       Moschee. „Die Brandstiftung an der Moschee im vergangenen September erhielt
       zwar mediale Aufmerksamkeit, war jedoch kein Einzelfall“, sagt Lena. „Es
       gab auch mehrere Angriffe auf Beratungsstellen, Hakenkreuzschmierereien und
       rassistische Übergriffe.“
       
       Auf offener Straße seien Aktivist*innen wie Lena bedroht, bespuckt oder
       gar tätlich angegriffen worden. Das habe Folgen gehabt: Um der Bedrohung zu
       entkommen und weiterhin effektiv gegen die rechten Triebe vorgehen zu
       können, haben einige Antifaschist*Innen begonnen, ihr Aussehen zu
       verändern. Sie haben ihre Frisuren geändert, Haare gefärbt und ihren
       Kleidungsstil gewechselt.
       
       Der Landkreis Herzogtum Lauenburg ist schon lange ein Zentrum rechter
       Umtriebe, auch wenn das vor dem Hintergrund pittoresker Fassaden und
       verträumter Gassen selten sichtbar ist. Aber die rechtsextreme Gewalt hat
       in den letzten Jahren zugenommen, teilt der Verein Zebra mit. Er sammelt
       und dokumentiert rechte Vorfälle und veröffentlicht jedes Jahr ein
       landesweites Monitoring für Schleswig-Holstein.
       
       „Menschen, die rassistische Gewalt erlebt haben, stellen die größte
       betroffene Gruppe dar, gefolgt von politischen Gegner*innen wie
       antifaschistischen Aktivist*innen“, sagt Felix Fischer, der bei Zebra
       rechte Übergriffe auswertet.
       
       ## AfD- und NPD-Verbindungen
       
       Die beiden Verantwortlichen für den [2][Brandanschlag von 1992] wurden der
       Skinhead-Szene zugeordnet. Auch später sind im Herzogtum Lauenburg
       Nazi-Schlägerbanden immer wieder präsent. Rechte Strukturen formierten sich
       immer wieder neu. Gruppen wie die „Nationale Offensive“, die „Koberger
       Jungs“, „Ost-Block Brotherhood“ oder das „Aktionsbündnis Lübeck-Stormarn“
       haben lange Zeit eine Atmosphäre der Angst im Herzogtum Lauenburg
       verbreitet.
       
       Neonazis, die Verbindungen zu den genannten Gruppierungen hatten, sind
       heute aktiv. So etwa Leif Kulina, der heute Landesvorsitzender der „Jungen
       Alternative Schleswig-Holstein“ ist. In der Vergangenheit posierte er
       hinter Reichsfahnen zusammen mit Mitgliedern der NPD.
       
       Kulina und Dominic Rösch, führendes Mitglied der „Jungen Nationalisten“ in
       Schleswig-Holstein, sagen Aktivist*innen eine Schuld an den
       auftreibenden rechten Trieben in Mölln nach. Rösch versuche junge Menschen
       an die NPD zu binden. Und obwohl die NPD im Herzogtum Lauenburg 2016 in die
       Brüche ging, gebe es durch verschiedene Akteure immer wieder Versuche,
       Untergrund-Jugendbewegungen ins Leben zu rufen.
       
       Auch Mattheo*, der gemeinsam mit Lena in einer linken Jugendgruppe ist, hat
       sein Aussehen gewechselt: „Früher haben wir oft Kleidung mit politischen
       Statements getragen, aber das machen wir jetzt nicht mehr“, sagt er. „Zu
       oft haben wir dafür auf die Fresse bekommen.“ Lena, eine unscheinbar
       wirkende Person, erzählt, dass sie früher gern bunte Haare getragen habe,
       dies für sie aber heute nicht mehr möglich sei. „Man wird zu leicht
       erkannt. Wenn eine Person dich erkennt, kennen dich alle. Man passt einfach
       auf, wie und vor allem wann man auf die Straße geht. Oft fühlt es sich so
       an, als müssten wir uns verstecken.“
       
       ## Bürgermeister ist besorgt
       
       Noch hat die rechte Szene in Mölln nicht wieder die volle Kontrolle auf der
       Straße übernommen. Aktivist*Innen und Vereine setzen sich weiterhin für
       den antifaschistischen Protest ein. Am Samstag wollen sie mit einer
       Demonstration durch Mölln zeigen, dass sie sich nicht ohne Gegenwehr von
       den rechtsextremen Bestrebungen zurückdrängen lassen. Wie dieser Konflikt
       ausgeht, hängt allerdings auch von anderen Akteuren ab.
       
       [3][Bei den Gedenkveranstaltungen zum Brandanschlag zeigt die Stadt
       Präsenz] und positioniert sich entschieden gegen rechte Tendenzen. Darüber
       hinaus unterstützt die Stadt Vereine, die sich aktiv für die Förderung
       demokratischer Werte in Schulen engagieren und Informationsarbeit leisten.
       
       Auch Möllns Bürgermeister Ingo Schäper (parteilos) scheint zu spüren, dass
       die hübsche Kleinstadt-Idylle momentan zu bröckeln beginnt. „Man kann nicht
       ausschließen, dass es nach wie vor eine gewisse Untergrundbewegung gibt,
       von der die meisten Bürger nichts mitbekommen“, sagt er. „Auch ich habe
       schon Informationen erhalten, dass rechtsextreme Aktivitäten im Herzogtum
       Lauenburg stattfinden“, sagt Schäper. Dazu schweigen, um nicht an der
       Idylle zu kratzen, will er nicht.
       
       Er fände er es richtig, dass Jugendliche, die sich in ihrer Freizeit gegen
       Faschismus engagieren, auf die Vorkommnisse in der Region aufmerksam
       machen. Für die Demonstration am Samstag hofft er, dass sie friedlich und
       ohne rechte Gegenwehr verläuft.
       
       *Namen geändert 
       
       Hinweis der Redaktion: In einer früheren Fassung dieses Textes hatten wir
       die Parteizugehörigkeit des Möllner Bürgermeisters falsch angegeben. Wir
       haben das korrigiert.
       
       29 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
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