# taz.de -- Expertenbericht über Taliban: Ein Massengrab für Träume
       
       > Die Taliban üben eine Art „Gender-Apartheid“ aus – zu diesem Schluss
       > kommt eine UN-Arbeitsgruppe. Sie stellte dazu einen Expertenbericht vor.
       
 (IMG) Bild: Afghanische Frauen lernen in einer Madrasa (Religionsschule) in Kabul, den Koran zu lesen
       
       BERLIN taz | UN-Expert*innen legen der Weltorganisation nahe, die
       systematische Unterdrückung von Frauenrechten durch die Taliban offiziell
       als „Gender-Apartheid“ einzustufen. Die weltweit einzigartige Serie
       „gnadenloser Dekrete“ und das Fehlen fast jeglicher juristischen
       Möglichkeit, Rechte einzuklagen, ließen „Frauen und Mädchen in Afghanistan
       schwere Diskriminierung erfahren“. Dies [1][„könnte genderbasierter
       Verfolgung] – einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit – gleichkommen und
       als Gender-Apartheid charakterisiert werden“.
       
       So steht es in einem gemeinsamen [2][Report von Richard Bennett],
       Menschenrechtssonderberichterstatter zu Afghanistan, und der von der
       Mexikanerin Dorothy Estrada-Tanck geleiteten UN-Arbeitsgruppe gegen
       Frauendiskriminierung. Sie greifen damit eine Forderung vieler afghanischer
       und internationaler Frauenrechtler*innen auf.
       
       Die Taliban haben Afghanistan „in ein Massengrab für die Ambitionen, Träume
       und das Potenzial afghanischer Frauen“ verwandelt, bestätige Shaharzad
       Akbar, bis 2021 Vorsitzende der von den Taliban aufgelösten Unabhängigen
       Menschenrechtskommission Afghanistans und in Genf ebenfalls auf dem Podium.
       Im Bericht heißt es, daraus resultiere massenhaftes „grausames physisches
       und psychologisches Leiden“. Akute Massenarmut verschlimmere die Situation
       der Afghan*innen noch.
       
       ## „Gender-Apartheid“ ein Begriff der 1990er
       
       Den Begriff Gender-Apartheid für Afghanistan entwickelten
       Aktivist*innen Mitte der 1990er Jahre, während des ersten
       Taliban-Regimes, in Analogie zum von Weißen dominierten Regime in
       Südafrika. Eine darauf beruhende weltweite Kampagne brachte es 1994 zu
       Fall. Ähnliches erhoffen sich jetzt die Aktivist*innen für Afghanistan.
       
       Bisher hat die UNO den neuen Begriff aber nicht adoptiert. Die
       Expert*innen schlagen jetzt vor, ihn als „internationales Verbrechen“
       einzustufen. Laut Bericht würde das die UN-Mitgliedstaaten verpflichten,
       „effektive Maßnahmen zu ergreifen, diese Praxis zu beenden“.
       
       Bei der nachfolgenden Sitzung des UN-Menschenrechtsrats in Genf gab es
       breite Unterstützung dafür. Südafrikas Vertreterin Bronwen Levy war
       besonders deutlich. Sie rief die Staaten auf, genauso gegen
       Gender-Apartheid aktiv zu werden, „wie sie Südafrikas Kampf gegen
       Rassenapartheid“ unterstützt hätten.
       
       Länder von Costa Rica bis Montenegro, auch Deutschland, verurteilten die
       „Gender-Apartheid“ beziehungsweise „Unterdrückung nach Gender-Kriterien“
       der Taliban. Griechenland nannte das ein Verbrechen gemäß dem Rom-Statut
       des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag. Andere Länder vermieden einen
       direkten Bezug auf diese Begriffe, kritisierten aber die Taliban-Politik.
       
       ## Die Taliban üben Druck auf UN und NGOs aus
       
       Die Taliban verurteilten den Bericht, der ihnen offensichtlich vorab
       zugegangen war, bereits am Freitag. Er sei „ungerecht und unbegründet“ und
       beachte „die kulturellen und islamischen Werte Afghanistans“ nicht. Dazu
       sagte Indonesiens Vertreter in Genf, „kulturelle und religiöse Sichtweisen
       sollten kein Vorwand für Frauenrechtsverletzungen sein“. Saudi-Arabien, das
       sich als Zentrum der islamischen Welt sieht, erklärte, das Verbot von
       Hochschulbildung für Frauen gehe „gegen alle unseren religiösen Edikte“.
       
       Unterdessen ziehen die Taliban die Verbotsschraube weiter an. Gegenwärtig
       üben sie Druck auf UN und ausländische NGOs aus, sich generell aus dem
       Bildungssektor – nicht nur für Mädchen – zurückzuziehen. Sie scheinen wie
       die Vorgängerregierung selbst die Kontrolle übernehmen zu wollen.
       Allerdings gelang das trotz Milliardenzuschüssen nie.
       
       Bei ihrem Sturz 2021 hatte immer noch jede zweite Schule im Land kein
       Gebäude. 500.000 Kinder, darunter 300.000 Mädchen, nehmen an
       Unicef-finanziertem und von NGOs organisiertem sogenannten Community
       Schooling in Gebieten teil, [3][wo es an Schulen fehlt]. Offenbar wird
       verhandelt, dass wenigstens afghanische NGOs solche Kurse weiterführen
       können.
       
       Zuvor gingen die Taliban in Kabul und mehreren Provinzen gegen
       außerschulische Kurse für ältere Mädchen vor, die offiziell bereits
       untersagt waren, aber noch geduldet worden waren. Das Hochschulministerium
       warnte Ende Mai alle Universitätslehrkräfte, in ihren Forschungspapieren
       das Taliban-Regime zu kritisieren.
       
       Andererseits konnte der Norwegische Flüchtlingsrat, eine der größten NGOs
       im Lande, seine Arbeit mit und für Frauen und Mädchen in der
       De-facto-Taliban-Hauptstadt Kandahar und einigen anderen Provinzen wieder
       aufnehmen. Dem waren Direktgespräche mit Taliban-Offiziellen in Kandahar
       vorausgegangen. Und einige Taliban-Behörden spüren [4][bereits den Mangel
       an weiblichen Fachkräften]. Der Chef der Gesundheitsbehörde der Provinz
       Logar, südlich von Kabul, beklagte, dass Hebammen fehlten.
       
       20 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Unterdrueckung-in-Afghanistan/!5916267
 (DIR) [2] https://www.ohchr.org/en/documents/country-reports/ahrc5321-situation-women-and-girls-afghanistan-report-special-rapporteur
 (DIR) [3] /Frauenrechte-in-Afghanistan/!5911972
 (DIR) [4] /Frauenrechte-in-Afghanistan/!5926761
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Ruttig
       
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