# taz.de -- Hugenottengemeinde feiert 300 Jahre: Stets getreue Untertanen
       
       > Vor 300 Jahren wurde die Hugenottengemeinde in Potsdam gegründet. Die
       > kleine Gemeinde begeht das Jubiläum mit Festgottesdienst und Ausstellung.
       
 (IMG) Bild: Der „Große“ Kurfürst empfängt aus Frankreich geflohene Hugenotten, Holzstich, um 1890
       
       POTSDAM taz | Es waren nur vier Buchstaben am Giebel, aber sie waren
       Hebräisch: יהוה. Sie standen für das Wort Jehova – Gott. Das war beim Bau
       der französischen Kirche in Potsdam 1752 schon so, und es blieb auch so
       nach 1933, obwohl es dagegen aus den Reihen der Nazis Protest gab.
       
       Ausgerechnet der Potsdamer Bürgermeister [1][Hans Friedrichs], eine
       Führungsfigur der örtlichen NSDAP, verhinderte die Entfernung der
       Buchstaben in einer Anwandlung preußisch-konservativen Denkmalschutzes. In
       einem vom Potsdamer Kirchenbauhistoriker Andreas Kitschke im Stadtarchiv
       aufgefundenen Vermerk schreibt Friedrichs, „dass diese gemeinsame Schöpfung
       des Jahres 1752 der beiden grossen Menschen Knobelsdorff und Friedrich der
       Grosse schon an sich wegen der Einmaligkeit der Persönlichkeiten tabu ist.“
       
       Das Wort Jehova in hebräischer Schrift gehöre zum Typ der
       französisch-reformierten Kirche. „Mit anderen Worten, der Grosse König
       baute, was das Herz seiner Menschen, die er ins Land zog, begehrte.“ Er
       fertigte den Vorgang ab mit den Worten: „Rasuren an diesen
       kulturhistorischen Dokumenten der Stadt liegen mir nicht. Die Sache ist
       abzulegen.“
       
       So stehen die vier Buchstaben auch heute noch über dem Eingang jener vom
       Sanssouci-Architekt [2][Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff] entworfenen und
       dem holländischen Potsdam-Baumeister [3][Jan Boumann] ausgeführten Kirche
       an der Einmündung der Französischen Straße. Sie ist – aufgrund der
       Kriegszerstörung anderer Kirchen – heute das älteste Gotteshaus der Stadt.
       Doch sie ist es nur höchst selten zugänglich. Die vor 300 Jahren gegründete
       Gemeinde hat nicht die Mittel und nicht die Leute, um ihren temple, wie die
       Kirche der Hugenotten früher genannt wurde, kontinuierlich öffnen zu
       können.
       
       Gut 100 Mitglieder sind es noch, und mit größter Wahrscheinlichkeit feiern
       sie dieses Jahr ein letztes Mal als unabhängige Gemeinde die Wiederkehr
       ihrer Gründung 1723. Schon zum Jahresende könnte es die Fusion mit der
       Berliner Gemeinde vom Gendarmenmarkt geben.
       
       ## Gemeindegründungen fast im Monatstakt
       
       1723 – das war vergleichsweise spät. Die Berliner Gemeinde wurde bereits
       1672 gegründet, und nach dem Edikt von Potsdam, mit dem der Große Kurfürst
       1685 seinen in Frankreich bedrohten Glaubensbrüdern Zuflucht und allerlei
       Privilegien gewährte, gab es Gemeindegründungen fast im Monatstakt: Kleve
       noch im selben Jahr, Brandenburg, Brodowin, Magdeburg, Rheinsberg, Schwedt
       1686, Angermünde, Prenzlau, Schmargendorf 1687, Buchholz, Pankow und
       Stendal 1688. Potsdam aber hatte sich nur langsam entwickelt, war, bevor es
       zweite Residenzstadt wurde neben Berlin, eher mickrig als prächtig und die
       Anwerbung von Franzosen gestaltete sich zäh.
       
       Bernd Krebs, der am kommenden Sonntag den Festgottesdienst halten wird,
       weist auch darauf hin, dass sich etwa in Stettin die 1721 gegründete
       Gemeinde weit besser entwickelte. Aber was heißt Gemeinde? Es ging damals
       keineswegs nur um die Organisation von Religionsfreiheit. Toleranz war nur
       ein Aspekt von vielen. Schon der Große Kurfürst hing dem reformierten
       Glauben an, die allermeisten seiner Untertanen aber waren Lutheraner. Also
       stärkte ihm der Zuzug der Reformierten aus Frankreich den Rücken.
       Mindestens so wichtig war, dass Brandenburg in Folge von Pest und
       30-jährigem Krieg weitgehend entvölkert war.
       
       Matthias Asche, Historiker an der Uni Potsdam, erinnert in der Festschrift
       zum 300. Gründungstag daran, dass die Kriegshandlungen „je nach Region
       Bevölkerungsverluste zwischen 40 und 80 Prozent“ nach sich zogen. Auch die
       Wirtschaft brauchte Belebung. Die oft gut ausgebildeten und mit den
       moderneren Produktionsweisen der Manufaktur vertrauten Hugenotten sorgten
       dafür. So ging es nicht nur um reformierten Glauben und französische
       Kirchen, es ging um regelrechte Kolonien, denen die Obrigkeit weitreichende
       – und nicht selten Neid und Missgunst auslösende – Privilegien gewährte:
       eigene Schule, eigene Sozialfürsorge, eigene Gerichtsbarkeit und sogar
       einen eigenen Gendarm.
       
       Dass die Franzosen weiter Französisch sprechen durften, verstand sich in
       jener Zeit, in der auch der Hof gerne Französisch parlierte, von selbst.
       Das sollte sich allerdings ändern.
       
       ## Eine Kirche als Geschenk
       
       1723 – das war auch ein Sprung in der Geschichte: Nicht der Große Kurfürst
       führte mehr das Regiment, sondern Friedrich Wilhelm I. – genannt der
       Soldatenkönig –, nicht Brandenburg war sein Land, sondern Preußen. Und
       dieser Soldatenkönig war es auch, der dem Wunsch französischer Zuwanderer
       entsprach, in Potsdam eine Gemeinde einzurichten, der zunächst Räume im
       Stadtschloss überlassen wurden für ihre Gottesdienste. Dann aber ließ der
       König – inzwischen Friedrich II., genannt „der Große“ – den Zugewanderten
       1752 eine Kirche bauen – als Geschenk.
       
       Es waren jedoch Franzosen, die dieses Geschenk auf das Gröbste
       missbrauchten, Franzosen, die kein Kurfürst eingeladen hatte: Im Oktober
       1806 fielen Napoleons Truppen in Potsdam ein. Der Kaiser machte es sich in
       Sanssouci bequem, bevor es weiter ging nach Charlottenburg und Berlin.
       Seine Kavallerie zog er in Potsdam zusammen, die französische Kirche wurde
       zum Fourage-Magazin, zum Pferdefutter-Depot. Erst drei Jahre später konnte
       die Kirche wieder zweckgemäß genutzt werden. Doch Napoleons Überfall
       beschädigte das Verhältnis der Hugenotten zum Land ihrer Väter nachhaltig –
       und stärkte ihren von Dankbarkeit getränkten Untertanengeist gegenüber der
       preußischen Obrigkeit.
       
       Ähnliche Folgen hatte der Deutschland von Frankreich erklärte Krieg von
       1870/71, der die Tradition französischsprachiger Gottesdienste in Potsdam
       beendete. Als Deutschland 1914 seinerseits gegen Frankreich in den Krieg
       zog, führte eine Welle des Hurra-Patriotismus dazu, dass – wie Christoph
       Förste schreibt – „'wilde Nationalisten in Potsdam forderten, alle Glieder
       der Französisch-Reformierten Gemeinde als Franzosen einzusperren“.
       
       In der Nazizeit habe sich „die Gemeinde als solche wohl redlich“ gehalten –
       das Presbyterium, der Gemeindevorstand, stand dem Nationalsozialismus
       ablehnend gegenüber. In Ursula Fuhrich-Gruberts Standardwerk über
       „Hugenotten unterm Hakenkreuz“ kommt Potsdam bloß am Rande vor, aber es
       sind offenbar nur Nuancen, die die Potsdamer Gemeinde von der staatsnäheren
       Gemeinde in Berlin unterschieden.
       
       ## Keine Kreuze, keine Heiligenbildchen, kein Altar
       
       Christoph Förste, Physiker am Geoforschungszentrum und ehrenamtlicher
       Kirchenältester (Presbyter), gehört zu den historisch Versierten unter
       Potsdams Hugenotten. Er kam schon zu DDR-Zeiten in die Gemeinde, deren
       Orgel er spielt und deren reformierten Charakter und kargen Ritus er
       schätzt: keine Kreuze, keine Heiligenbildchen, kein Altar – nur eine Bibel
       auf dem Tisch. Zu dieser Gemeinde kommt nur, wer es wirklich will.
       
       Zuzügler werden von der Evangelischen Kirche automatisch an die Gemeinde am
       Wohnort verwiesen; die Reformierten aber sind nicht Parochial-, sondern
       Personalgemeinde: nicht der Wohnort zählt, sondern der persönliche Wunsch.
       Und so gibt es hier nicht nur Nachfahren der Hugenotten, sondern auch von
       außen Dazugekommene: „Beutehugenotten“.
       
       Den Luftangriff vom 14. April 1945 schien die Kirche einigermaßen
       überstanden zu haben; erst später zeigte sich das ganze Ausmaß der Schäden.
       1968 wurde das Haus baupolizeilich gesperrt, später soll sogar der Abriss
       zugunsten einer Straße überlegt worden sein. Gepredigt wurde in dieser Zeit
       schon mal in Wohnungen. Erst in den 80er Jahren kam die Sanierung in Gang:
       Eine Spende der Stiftung Tagesspiegel noch vor der Wende brachte den ersten
       Schub, mehrere Spenden des Hamburger Verlegers Ernst Naumann brachten den
       Durchbruch zur 2003 abgeschlossenen Grundsanierung des Knobelsdorffbaus.
       
       Ganz so saniert ist die Gemeinde nicht. Vor zwei Jahren hat Hildegard
       Rugenstein, Pastorin seit 1984, ihr Amt aufgegeben. Die „kantige
       Persönlichkeit“, wie Ex-Oberbürgermeister Jann Jakobs sie nennt, hat die
       Brandenburger Hauptstadthugenotten auch öffentlich im Gespräch gehalten –
       beispielsweise 2015, als erneut eine „Flüchtlingswelle“ Potsdam erreichte.
       
       Eine Nachbesetzung wird es nicht geben. Ein Kreis hoch engagierter
       Mitglieder gleicht den Verlust nach Kräften aus, doch neue Strukturen
       müssen gefunden werden. Der Zusammenschluss mit der Berliner Gemeinde
       erscheint derzeit als Option der Wahl.
       
       7 Jul 2023
       
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