# taz.de -- Kopfgeld auf Aktivisten: Hongkongs langer Arm im Ausland
       
       > Mit dem nationalen Sicherheitsgesetz möchte Hongkong auch
       > Demokratie-Aktivisten im Exil verfolgen. Dabei geht es vor allem um
       > Einschüchterung.
       
 (IMG) Bild: John Lee will Anhänger der Demokratiebewegung auch im Ausland verhaften lassen
       
       PEKING taz | Als Hongkongs Verwaltungschef John Lee am Dienstag vor die
       Presse trat, machte der 61-Jährige mehr als deutlich, wie ernst ihm die
       Angelegenheit ist: „Wir werden die Kriminellen lebenslang verfolgen, bis
       sie sich ergeben“, sagte der patriotische Regierungsbeamte.
       
       Bei den „Kriminellen“ handelt es sich um acht Anhänger der Hongkonger
       [1][Demokratiebewegung], die mittlerweile im Exil in Kanada, Australien,
       den Vereinigten Staaten und Großbritannien leben. Den ehemaligen
       Parlamentsabgeordneten und Rechtsanwälten wird unter anderem Separatismus
       und Untergrabung der staatlichen Ordnung vorgeworfen. Dabei haben sie de
       facto lediglich an Peking-kritischen Demonstrationen teilgenommen.
       
       Am Montag setzten die Sicherheitsbehörden nun auf die acht Hongkonger ein
       Kopfgeld in Höhe von einer Million HK-Dollar aus. Umgerechnet sind das
       knapp 120.000 Euro. Die Summe ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil
       Hongkong selbst gegen flüchtige Mörder und Vergewaltiger nur einen
       Bruchteil davon auslobt.
       
       Doch seit die ehemals britische Kronkolonie vor drei Jahren das umstrittene
       nationale [2][Sicherheitsgesetz] einführte, ist es mit der einstigen
       Rechtsstaatlichkeit in Hongkong ohnehin vorbei. Auf Druck der chinesischen
       Zentralregierung in Peking haben die Behörden sämtliche politische
       Opposition unter Strafe gestellt: Kritische Zeitungen mussten seither
       schließen, Politiker zurücktreten und Demonstranten langjährige Haftstrafen
       absolvieren.
       
       ## Einschüchterung im Ausland
       
       Dass Hongkongs Behörden nun jedoch Kopfgeld auf Kritiker im Exil aussetzen,
       stellt allerdings eine weitere Eskalationsstufe dar. Ein Sprecher des
       Washingtoner Außenministeriums sprach unmissverständlich von einem
       „gefährlichen Präzedenzfall, der die Menschenrechte und Grundfreiheiten von
       Menschen auf der ganzen Welt bedroht“. Ähnlich kritische Worte kamen auch
       von den Regierungen in Großbritannien, Australien und Kanada.
       
       Die chinesische Regierung hingegen wertet das Thema als rein „innere
       Angelegenheit“. Wie Pekings Außenamtssprecherin Mao Ning am Dienstag
       mitteilte, solle die Welt „Hongkongs Rechtsstaatlichkeit respektieren“ und
       „aufhören, Kriminellen Schutz zu bieten“.
       
       Bereits Ende Juni veröffentlichte die chinesische Staatszeitung Ta Kung Pao
       einen Leitartikel, der sich wie eine Warnung an Demokratie-Aktivisten im
       Ausland liest: „Glauben Sie nicht, dass Sie im Ausland tun und lassen
       können, was Sie wollen. Solange es auch nur die kleinsten Anzeichen von
       Verstößen gibt, werden Sie sich dem Gesetz nicht entziehen können“.
       
       Laut Peter Dahlin, der die NGO „[3][Safeguard Defenders]“ leitet, hat die
       Strafverfolgung der Hongkonger Behörden rein rechtlich keine realistische
       Chance auf Erfolg. Die Betroffenen seien sich ohnehin darüber bewusst, dass
       sie in kein Land mehr reisen können, das ein Auslieferungsabkommen mit
       China abgeschlossen hat. „Am Ende schießen sich Hongkong und Peking wieder
       einmal selbst ins Bein“, kommentiert Dahlin.
       
       Doch die einschüchternde Botschaft der Kopfgeld-Jagd dürfte dennoch
       verfangen. Denn während einige Menschenrechtsaktivisten jede Drohung der
       chinesischen Regierung wie ein Ehrenabzeichen auf der Brust tragen, führen
       sie bei vielen anderen Chinesen im Ausland dazu, dass sie sich ins Private
       zurückziehen – insbesondere, wenn sie die Beziehung zu ihren Verwandten
       nicht gefährden wollen.
       
       [4][Chinesische Nationalisten] hingegen fühlen sich zunehmend ermutigt, die
       Sicherheitsansprüche ihres Heimatlandes auf eigene Faust umzusetzen. Der in
       Großbritannien lebende Menschenrechtsaktivist Finn Lau, der zu den acht
       verfolgten Hongkongern gehört, hat bereits Screenshots von chinesischen
       Nationalisten zugeschickt bekommen, in denen offen über seine Entführung
       diskutiert wird.
       
       4 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [4] /Chinas-Konsulat-im-britischen-Manchester/!5888407
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Fabian Kretschmer
       
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