# taz.de -- Nach den Unruhen in Frankreich: Aus Angst wird politisches Kapital
       
       > In Frankreich sammelt ein rechter Politiker Spenden für den Polizisten,
       > der den 17-jährigen Nahel erschoss. Marine Le Pen hält sich auffällig
       > zurück.
       
 (IMG) Bild: Eric Zemmour besucht die Stadt Sannois am 01.07.2023, nach dem das Rathaus bei nächtlichen Krawallen angegriffen wurde
       
       PARIS taz | Eine Meldung aus Marseille am frühen Mittwoch weckt schlimmste
       Befürchtungen. Nachdem seit Montag in den Quartieren wieder etwas Ruhe
       eingekehrt war, wurde nun aus lokalen Medien bekannt: In der Nacht auf den
       Sonntag wurde im Zentrum von Marseille ein 27-jähriger Mann auf seinem
       Roller offenbar von einem Hartgummigeschoss getroffen und so schwer
       verletzt, dass er anschließend im Krankenhaus mit Herzstillstand starb.
       
       In dieser Nacht fanden in der Nähe [1][Konfrontationen zwischen
       jugendlichen Plünderern und der Polizei] statt, bei der die Ordnungskräfte
       vermutlich auch Hartgummigeschosse einsetzten. Die Staatsanwaltschaft hält
       einen Zusammenhang mit den Krawallen daher für plausibel und hat die
       interne Polizeiinspektion IGPN mit der Aufklärung des Todesfalls
       beauftragt.
       
       Bemerkenswert ist dabei, dass dieser Vorfall der Öffentlichkeit mit
       mehrtägiger Verspätung mitgeteilt wird. Das hat dazu geführt, dass in den
       Netzwerken sogleich der Verdacht aufkommt, dass da etwas vertuscht würde.
       Die Untersuchung der IGPN soll so rasch als möglich Licht in die Sache
       bringen. Nur haben viele Menschen in Frankreich nicht alle viel Vertrauen
       in diese Polizeibehörde, die gegen Beamtenkollegen ermitteln muss.
       
       Sollte der Todesfall durch einen absichtlichen Schuss oder einen
       Querschläger verursacht worden sein, könnte die gegenwärtige Beruhigung nur
       ein trügerischer Waffenstillstand sein.
       
       ## Polemik vonseiten Eric Zemmour und Jordan Bardella
       
       Die Spannung bleibt. Dies belegt auch die politische Polemik, die rasch
       eskalierte. Das führte vor allem zu einer Polarisierung: Während die Linke
       sich mit den Opfern der Polizeigewalt solidarisiert, sammelt die Rechte,
       die sich kritik- und bedingungslos hinter die Polizei stellt, Geld für die
       Familie des Beamten, der in Nanterre den 17-jährigen Nahel, vermutlich ohne
       Notwehr, erschossen hat. Lanciert hat diese Spendenkampagne, bei der
       bereits 1,5 Millionen Euro zusammengekommen sind, der Politiker Jean
       Messiah, ein Vertrauter des rechtsextremen Ex-Präsidentschaftskandidaten
       Eric Zemmour.
       
       Für die Linke ist diese politische wie finanzielle Unterstützung des
       Polizisten eine Provokation. Die Mutter des erschossenen Nahel ist
       schockiert. Sie will laut ihrem Anwalt gegen Messiah eine Klage wegen
       Betrugs und Täuschung sowie Verleumdung einreichen, denn der
       Rechtsextremist habe ihren Sohn zu Unrecht als „vorbestraften
       Wiederholungstäter“ bezeichnet. Messiah konterte mit der Ankündigung, er
       werde mit einer Gegenklage wegen Verleumdung reagieren.
       
       Heftig gestritten wird auch über die Forderung der Rechten, den Familien,
       die ihren Nachwuchs nicht im Zaume halten könnten, Sozialgelder zu kürzen
       oder generell die staatlichen Subventionen für die benachteiligten
       Vorstadtquartiere – die sogenannten Banlieue – zu kürzen und das Geld für
       ländliche Regionen zu verwenden. Das regte der Parteichef des
       rechtspopulistischen Rassemblement National (RN), [2][Jordan Bardella], an.
       
       Eine hält sich bezeichnenderweise aus der Polemik heraus: die
       RN-Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen. Keinesfalls will sie sich
       sagen lassen, sie habe Öl ins Feuer gegossen. Das überlässt sie ihrem
       Nachfolger Bardella. Der erklärte zu den Vorfällen von Nanterre, diese
       hätten bewiesen, dass Frankreich „zu viele Immigranten aufgenommen“ habe.
       
       ## Jean-Marie Le Pen: „Die Fakten sprechen für mich“
       
       Wie schon bei ihrer [3][letzten Präsidentschaftskampagne] möchte Le Pen
       nicht als Extremistin dastehen, sondern als verantwortungsvolle
       Staatspolitikerin, die nicht Furcht, sondern Vertrauen einflößt. In einer
       Videobotschaft beschwor sie ihre Anhänger aus der Sorge um den Rechtsstaat,
       „nichts zu tun, was die für die Ordnung zuständigen Behörden behindern
       könnte“.
       
       Diese Taktik hat Tradition. Wie die Zeitung Le Monde im Kontext der
       neuesten Welle von Gewalt von jugendlichen Randalierern in Erinnerung ruft,
       hatte bei den Krawallen in den Banlieue von 2005 Jean-Marie Le Pen – damals
       Chef des rechtsextremen Front National und Vater der heutigen Anführerin
       der extremen Rechten in Frankreich – erklärt: „Die Fakten sprechen für
       mich.“ Die anschließenden Umfragen bestätigten, dass sich aus der Angst für
       Extremisten politisches Kapital schlagen lässt.
       
       Schon die vorläufige Bilanz der Krawalle tönt wie ein zukünftiges
       Wahlargument in Marine Le Pens Ohren: Laut französischem Innenministerium
       sind (bisher) mindestens 5.000 Fahrzeuge und 1.000 Gebäude verbrannt oder
       verwüstet worden, 250 Polizei- und Gendarmerieposten wurden angegriffen,
       700 Beamte verletzt.
       
       5 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) Rudolf Balmer
       
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