# taz.de -- Kampf in Geflüchtetenlager im Libanon: Zwischen IS- und Arafat-Postern
       
       > Islamist*innen und Anhänger der Fatah bekämpfen sich in einem Lager
       > für palästinensische Geflüchtete. Die Perspektivlosigkeit befeuert die
       > Eskalation.
       
 (IMG) Bild: Bewaffnete der Fatah bei Auseinandersetzungen im libanesischen Flüchtlingslager Ain al-Hilweh
       
       BEIRUT taz | Rauch zog am Montag über dem größten Lager palästinensischer
       Geflüchteter im Libanon auf, rund 2.000 Menschen waren bis
       Dienstagvormittag vor den Schüssen geflohen. In dem Camp im Süden des
       Landes, nahe der Küstenstadt Saida, bekämpfen sich Mitglieder der
       Palästinenserorganisation Fatah und Anhänger islamistischer Gruppen.
       
       Bereits am Samstag brach der Konflikt aus, als bei einem versuchten
       Anschlag auf einen Extremisten dessen Begleiter getötet wurde.
       Islamistische Kämpfer erschossen daraufhin einen palästinensischen General
       der Fatah-Organisation des Palästinenser-Präsidenten Mahmud Abbas und drei
       weitere Personen. Bis Dienstagmittag starben mindestens elf Menschen.
       
       Eine militärische Quelle der Fatah [1][sagte] gegenüber der libanesischen
       Zeitung L’Orient-Le Jour, die Partei koordiniere sich mit den
       palästinensischen Sicherheitskräften, um „mit aller Kraft gegen die Quellen
       der Schüsse vorzugehen“ und „die Schlinge um die extremistischen Gruppen
       enger zu ziehen“.
       
       Eine am Sonntag vereinbarte Waffenruhe hielt aber nicht lange an. Ein
       Bewohner des Lagers sagte L'Orient-Le Jour, Familien mit Kindern hätten
       ihre Häuser am Sonntagnachmittag verlassen und Taschen mit ihren
       Habseligkeiten mitgenommen. Rund 800 Menschen suchten Schutz in einer nahe
       gelegenen Moschee, [2][berichtete] der Nachrichtensender Al Jazeera am
       Dienstag.
       
       Der Name des Lagers ist Ain al-Hilweh, es ist das größte der zwölf Camps
       für [3][palästinensische Geflüchtete im Libanon]. Auf nur anderthalb
       Quadratkilometern leben laut den Vereinten Nationen mehr als 54.000
       Menschen. 2012 nahm Ain al-Hilweh außerdem mindestens 11.000
       Palästinenser*innen und syrische Staatsangehörige auf, die aus dem
       palästinensischen [4][Viertel Jarmuk] in Damaskus fliehen mussten, nachdem
       in Syrien im Vorjahr der Krieg begann.
       
       ## Um Ain al-Hilweh: Eine Mauer und Kontrollpunkte der Armee
       
       Teils unverputzte Häuser stehen in dem Lager gedrängt aneinander, durch die
       engen Gassen zieht sich ein Gewirr von Stromkabeln. Poster des ehemaligen
       Palästinenserführers Jassir Arafat hängen zwischen Flaggen der
       salafistischen Gruppe Asbat al-Ansar und denen der Terrororganisation
       „Islamischer Staat“ (IS).
       
       Die herrschenden Kräfte im Lager sind die Palästinensische
       Befreiungsorganisation (PLO) und prosyrische Gruppierungen, die ihre
       eigenen politischen Institutionen und Sicherheitskräfte betreiben.
       Gemeinsam wollen sie verhindern, dass Verbündete des IS sowie der
       islamistischen Terrorgruppe Al-Nusra-Front das Lager in einen Krieg ziehen.
       
       Das Gebiet ist von einer Mauer und Kontrollpunkten der libanesischen Armee
       umgeben. Doch das libanesische Militär darf die Siedlung nicht betreten –
       eine Lehre aus Kämpfen im Jahr 2007. Damals wurde das [5][Lager Nahr
       al-Bared] im Nordlibanon durch Kämpfe zwischen dem Militär und der
       Dschihadistengruppe Fatah al-Islam zerstört. Als Konsequenz gilt die
       Übereinkunft, dass Palästinensergruppen sich um die Sicherheit in ihren
       Lagern kümmern.
       
       Seit Juli 2014 gibt es eine gemeinsame palästinensische Sicherheitstruppe
       in Ain al-Hilweh. Daran sind siebzehn bewaffnete Gruppierungen von
       Kommunisten bis Dschihadisten beteiligt. Trotzdem kommt es zwischen den
       Gruppierungen immer wieder zu Kämpfen. Vor zwei Monaten tötete ein Mitglied
       der Asbat al-Ansar ein Fatah-Mitglied. Im Jahr 2017 kämpften die
       palästinensischen Gruppierungen in den Lagern fast eine Woche lang gegen
       eine militante Gruppe, die mit dem IS verbunden ist.
       
       ## Keine libanesische Staatsbürgerschaft für Palästinenser
       
       Die Menschen leben in Armut und auf engstem Raum – ein Nährboden für
       islamistische Extremisten. Die extremistischen Netzwerke von Ain al-Hilweh
       haben sich darauf spezialisiert, wütende Jugendliche anzusprechen. Diese
       Jugend hat wenig Vertrauen in die Behörden des Lagers und wenig Chancen,
       sich eine Zukunft im Libanon aufzubauen.
       
       Palästinenser*innen können im Libanon weder die Staatsbürgerschaft
       beantragen noch Immobilien oder Land besitzen. Ihr Zugang zum Arbeitsmarkt
       ist beschränkt, sie dürfen nur in bestimmten Berufen im Niedriglohnsektor
       arbeiten. Hinzu kommt seit 2019 eine starke Wirtschaftskrise. Für Menschen
       im Libanon generell, aber besonders für benachteiligte Minderheiten wie
       Palästinenser*innen ist es kaum möglich, legale Arbeit zu finden, mit
       der sich das Leben finanzieren lässt.
       
       Um die Situation zu deeskalieren, kam der palästinensische Botschafter im
       Libanon, Aschraf Dabbur, am Montagmorgen nach Saida. Er besuchte die
       Verletzen im Al-Hamschari-Krankenhaus und versuchte, verschiedene Kontakte
       mit den rivalisierenden Fraktionen zu knüpfen.
       
       Angaben einer anonymen Quelle zufolge sollen die palästinensische und die
       libanesische Führung miteinander kommunizieren, um einen Waffenstillstand
       zu erreichen, so L’Orient-Le Jour. Die Quelle bestätigte der Zeitung, dass
       der Brigadegeneral der Fatah-Bewegung und der Generalsekretär der
       PLO-Fraktionen ihre Bemühungen um eine sofortige Beendigung der Kämpfe
       fortsetzen.
       
       1 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://today.lorientlejour.com/article/1344881/one-dead-in-lebanon-palestinian-refugee-camp-clashes-fatah-official.html
 (DIR) [2] https://twitter.com/ZeinakhodrAljaz/status/1686277259672305664?s=20
 (DIR) [3] /Syrische-Gefluechtete-im-Libanon/!5933181
 (DIR) [4] /Anwalt-ueber-Verbrechen-in-Syrien/!5911825
 (DIR) [5] /Geberkonferenz-fuer-palaestinensische-Fluechtlinge/!5180103
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Neumann
       
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