# taz.de -- Kuratorin über Brüste in der Kunst: „Verhüllen und Zeigen“
       
       > Auch weil die Sexualisierung der Frauenbrust so bald nicht enden wird:
       > Zum Jahresende ein thematisch fokussierter Rundgang durch die
       > Kunstgeschichte.
       
 (IMG) Bild: Damals ein Verkaufsschlager: Lucas Cranach d. Ä., „Quellnymphe“ (nach 1537)
       
       Maler sind auch nur Männer: triebgesteuerte Wesen mit sexualisiertem Blick
       fürs Weiche, Runde, Schöne der Frauen. Und mit dem Privileg ausgestattet,
       [1][ihr Begehren ausdrücken] zu dürfen – etwa im Nachbilden der weiblichen
       Brust auf der Leinwand – und das auch noch zum nüchternen Studium der Natur
       verklären zu können. Wie sich gemalte Haut, der Voyeurismus der
       Betrachtenden und, ganz konkret, die Darstellung der Brust selbst
       [2][verändert hat]: Das war Thema, als die taz mit der Kunsthistorikerin
       Dorothee Hansen durch die Bremer Kunsthalle gegangen ist. 
       
       taz: Frau Hansen, in Florida wurde eine Schulleiterin entlassen, weil sie
       ihren Schülern [3][die Abbildung des „David“ von Michelangelo (1501/04)
       gezeigt] hat. Setzt Nacktheit in der Kunst auch in Europa solche Emotionen
       frei? 
       
       Dorothee Hansen: Spätestens seit der sexuellen Revolution in den
       1960er-Jahren kann sie kein Problem mehr sein – denkt jemand aus meiner,
       der damals geborenen Generation. Aber heute schwingt das Pendel wieder ein
       bisschen zurück. Es gibt viel größere Rücksichtnahmen auf andere kulturelle
       Hintergründe, in denen Verhüllung noch sehr wichtig ist. Vielleicht gibt es
       bald Triggerwarnungen „Vorsicht nackt!“ in den Museen, wo schon jetzt immer
       häufiger Schilder mit dem Hinweis auftauchen: Achtung, hier sind
       [4][möglicherweise das ästhetische oder ethische Empfinden verletzende
       Bilder] zu sehen. Gerade bei Schülerführungen mit vielen muslimischen
       Kindern werden Nacktbilder schnell als unsittlich empfunden, die Augen
       verdreht und es wird viel mehr gekichert als früher.
       
       Und das im Zeitalter praktisch allgegenwärtiger Pornografie? 
       
       Das sind zwei Seiten einer Medaille. Gerade ist die Spannung extrem groß
       zwischen totalem Exhibitionismus in den sozialen Medien und dem Hochlegen
       der Schamgrenze.
       
       In Sachen erotischer Inszenierung und Kommerzialisierung ist die weibliche
       Brust ganz vorne mit dabei, ob in der Werbung, im Film oder in der
       bildenden Kunst. 
       
       Das ist im Verhältnis von Mann und Frau so angelegt: die Urinstinkte des
       Menschen, der Fokus auf die erogenen Zonen. Daher spielen Künstler gern mit
       Verhüllen und Zeigen. In der Antike gibt es die Venus pudica, die ihren Arm
       vor die Brust hält, aber so, dass man trotzdem was sehen kann. Das
       Verhüllen ist ein Aufmerksammachen auf das, was dahinter versteckt ist.
       
       Noch früher war das anders. Nehmen wir die 30.000 Jahre alte [5][„Venus von
       Willendorf“]: gesichtsloser Kopf, gedrungen-rundliche Gestalt und –
       voluminöse Brüste. 
       
       Sie verweisen auf die nährende Mutter. Die Gebärerin, Behüterin wird hier
       verehrt. Wie auch bei der vorchristlichen Artemis von Ephesos, eine
       archaische Skulptur, über und über bedeckt mit Brüsten – oder Stierhoden,
       das weiß man nicht genau. Allein schon aufgrund dieser Doppeldeutigkeit
       kann man sehen, es geht ursprünglich bei der Brustdarstellung um
       Fruchtbarkeit. Das ist der keusche Blick auf die weibliche Brust.
       
       Den gibt es auch in der christlichen Kunst. 
       
       Da ist es Maria, die hat sonst immer ihr Kleid und ihren Mantel an, aber
       bei einem bestimmten Ikonentyp, der Maria lactans, ist die Brust zu sehen,
       an der das Jesuskind saugt. Die lugt meist aus einem Schlitz des Kleides
       raus und wird eher schematisch dargestellt, stilisiert, geradezu
       abstrahiert. Nur im biblischen Kontext waren überhaupt Brustandeutungen
       möglich.
       
       In der Renaissance wurde es dann realistischer? 
       
       Etwa auf [6][„Madonna mit Kind umgeben von Engeln“] des französischen
       Hofmalers Jean Fouquet. Hier kommt erstmals auch eine körperliche Anziehung
       für den männlichen Betrachter mit ins Spiel: höchst anziehend die Linie des
       Nackens, das Gesicht, die zarte Haut, das Zurschaustellen einer Brust.
       Diese Madonna ist Himmelskönigin und Gottesnährerin, aber auch eine
       verführerische Frau. Das macht das Bild zu einem Starstück der
       Kunstgeschichte.
       
       Schon bei den Griechen gab es erotische Venus-Figuren, die Darstellung der
       Brüste strebte nach universeller Schönheit. 
       
       Aber mit der Antike endet auch erst mal ihre Darstellung als sinnliches
       Motiv.
       
       Gab es danach keine Ausnahmen? 
       
       Doch, an der Schwelle zur deutschen Renaissance zum Beispiel die
       „Quellnymphe“ nach 1531 von Lukas Cranach dem Älteren: Da sehen wir ein
       Burgfräulein, das sich in einem paradiesischen Gärtchen nackt zur
       Mittagsruhe gelegt hat, die Brust wird deutlich präsentiert, als
       Semiverdeckung fungiert ein durchsichtiger Schleier. Da ist wieder das
       Changieren von Verhüllen und Zeigen.
       
       Aber es geht nicht einfach um eine Onaniervorlage – der Künstler prunkt mit
       Bildungshintergrund. 
       
       Zu sehen ist ja noch eine Quelle, um das Bild mythologisch als Darstellung
       einer Quellnymphe zu verbrämen, weil man zu dieser Zeit niemals eine nackte
       Burgfräuleinbrust hätte malen dürfen. Absolut unmöglich!
       
       Die Quellnymphen hingegen … 
       
       … waren für die humanistisch gebildeten Zeitgenossen hocherotisch, weil sie
       von lüsternen Satyrn verfolgt und begehrt werden und sich ständig
       verwandeln müssen, um nicht vergewaltigt zu werden. So ist die Figur auch
       ein sexuelles Objekt. Die Darstellung von Pfeil, Bogen und Rebhühnern
       deuten zudem an: Ist sie vielleicht eine Diana? Wer die nackt sah, wurde in
       einen Hirsch verwandelt, den die Hunde der Göttin dann zerrissen haben. Es
       stirbt also, wer sie nackt sieht. Die erregende Gefahr des Verfolgtseins
       schwingt hier mit. Über all das konnten Gelehrte am Hof diskutieren beim
       Betrachten der weiblichen Brüste. Es ist eines der ersten Bilder nördlich
       der Alpen, auf dem ein weiblicher Körper nackt dargestellt ist. Es gibt 17
       Varianten davon und es gab sicherlich noch mehr, das Gemälde hat also einen
       Nerv getroffen, war ein Verkaufsschlager der Cranach-Werkstatt. Malerei für
       Männer, die endlich einmal einen schönen weiblichen Körper entblößt sehen
       wollen.
       
       Sind diese Brüste authentische Abbilder? 
       
       Der Künstler hat sie wohl etwas idealisiert, geglättet. Im 16. Jahrhundert
       waren diese kleinen, kugeligen Brüste das Schönheitsideal der Zeit.
       
       Verträumt, verschlafen wirkt der Blick der Quellnymphe durch die nicht ganz
       geschlossenen Augen. 
       
       Das heißt: Vorsicht! Wenn sie ganz fest schlafen würde, könnte der
       Betrachter ja einfach Voyeur sein. Hier muss er sich beim Anstarren ertappt
       fühlen.
       
       Kommen wir zum Barock, da wird die Brust wieder üppiger und konkreter,
       oder? 
       
       Wie bei Antonio Belucci, „Cimon und Pero“ (um 1685). Schon an der Hand, die
       die Brust hält, spürt man die Weichheit des schwellenden Fleisches, aber
       die Brust ist das Wichtigste in diesem Bild. Auch wenn sie nicht in voller
       Rundung zu sehen ist, wirkte und wirkt das Gemälde extrem anzüglich.
       
       Die gezeigte Frau biegt ihre Brust als Lebensspenderin wie einen Strohhalm
       in den saugenden Mund eines Mannes. 
       
       Der zum Hungertod im Gefängnis verurteilte Cimon wird von seiner Tochter
       Pero besucht, die ihn mit ihrer Brust nährt, so dass er überlebt.
       
       Und wenn die Kirchenoberen schimpfen, kann der Künstler immer noch sagen,
       er stelle eine christliche Kardinaltugend dar: die Caritas, Nächstenliebe. 
       
       Aber es geht eindeutig um die Darstellung des Sinnlichen, enorm betont wird
       das auch durch die Modellierung des Busens. Auch das Geschlechtsmerkmal des
       Babys, der Penis, ist deutlich ins Bild gerückt.
       
       Es guckt seine Mama empört an, so als wolle es sagen: „Hey, da klaut jemand
       mein Mittagsessen!“ 
       
       Schauen wir auf [7][Jean Baptiste Deshays „Schlafende Frau“ (um 1757/58)]:
       Ein Oberschenkel ist den Blicken preisgegeben, die Hände liegen direkt im
       Schoß. Eine sehr realistisch ins Bild gerückte, plastisch gestaltete Brust,
       entsprechend dem Schönheitsideal eher mädchenhaft klein, ist frei von allen
       Verpackungen zu sehen. Bei der anderen schimmert die Brustwarze rosa durch
       ein dünnes Baumwolltuch.
       
       Was hat sich da getan? 
       
       Der Maler versteckt sich nicht mehr hinter einer antiken oder biblischen
       Geschichte, sondern inszeniert hochgradig aufreizend eine elegante Dame der
       Pariser Gesellschaft.
       
       Die Brust als Inbegriff der Weiblichkeit scheint Lustobjekt zu werden.
       Immerhin ist die nackte Brust bedeutungsvoll in der Bildmitte platziert. In
       heutigen sozialen Medien könnte Deshays Bild kaum gezeigt werden – wegen
       der Nippel würde es gelöscht. 
       
       Der weibliche Akt war durchgängig ein wichtiges Thema, aber ab Mitte des
       19. Jahrhunderts erscheinen sinnliche Brüste wieder verstärkt auf der
       Leinwand. Eindrückliches Beispiel ist der [8][„Liegende weibliche Akt“
       (1899) von Lovis Corinth,] ein Impressionist mit barocken Neigungen. Diese
       fetten Striche, diese wilde Gestaltung passen zur haptischen Lust, die das
       Bild auslöst. Das ist wirklich Pin-up: Die Frau hat nur noch schwarze
       Strümpfe an, räkelt sich auf einem Bett, ist vollbusig, hat üppige Schenkel
       – und das Gesicht spielt eigentlich keine Rolle. Die Brüste sind ein
       erotischer Appell, stehen für sinnliche Lust und werden offensiv
       präsentiert.
       
       Schamlos? 
       
       Die Frau sieht nicht aus, als hätte sie sich gerade privat ins Bett gelegt,
       sondern gibt sich lasziv.
       
       Eine Fetischisierung? 
       
       So kommt es bei mir an. Künstlerinnen malen Frauen in ähnlichen Situationen
       häufig viel stiller. Schon bei [9][Paula Modersohn-Beckers „Selbstbildnis
       am 6. Hochzeitstag“ (1906)], der erste gemalte Akt einer schwangeren Frau,
       sind die Brüste ein gleichwertiges Detail unter vielen.
       
       Der Expressionismus geht dann nochmal ganz anders um mit dem Blick auf den
       Körper. 
       
       Ernst Ludwig Kirchner beginnt in „Liegender Akt mit Fächer“ (1909) eine
       neue Art von Malerei. Das Künstlerische rückt ganz klar in den Vordergrund.
       Hier denke ich nicht an Erotik, Sex, Fleisch, sondern an herrlich
       komponierte Farbe. Provokant sind die Vereinfachungen, die weichen
       Konturen, nicht die nackten Brüste. Selbst wenn die Brustwarzen leuchtend
       rot dargestellt sind, geht es nicht um sie, sondern sie sind Teil einer
       leuchtenden Farbpolyphonie. Wie auch auf der Rückseite des Gemäldes, wo die
       [10][„Schlafende Milly“ (1909/11)] zu sehen ist: ein dunkleres Bild,
       eckigere Konturierungen, kantig zugespitzt die Darstellung der Brust eines
       Schwarzen Modells.
       
       Da geht es nicht mehr um die Darstellung eines klassischen
       Ideal-Körperteils und seiner Verführungskraft. Nacktheit könnte ein Zeichen
       lebensfreudiger Freiheit von bürgerlichen Moralvorstellungen sein. Wann
       wird die gezeigte Brust zum politischen Statement? 
       
       Mir fällt die Wiener Aktionskünstlerin Valie Export ein, sie hatte sich
       Ende der 1960er-Jahre einen Karton um ihren nackten Oberkörper gebastelt,
       ein Loch hineingeschnitten, einen Vorhang davor gehängt und in
       Fußgängerzonen so [11][eine Art Tastkino] angeboten, das zum Kopfkino
       werden konnte. Jedenfalls lud sie ein, dort hinein-, also ihre unsichtbare
       Brust tatsächlich anzufassen. Das ist super provokativ gewesen, weil sie
       die Objekthaftigkeit, die Opferrolle der Frau thematisiert.
       
       Dass die Brust mal nicht prachtvolle Projektionsfläche, formschönes
       Lockmittel, Symbol erotischer Potenz ist, sondern wie in der Realität auch
       mal runzelig, schief, ausgezehrt oder als Last daherkommt: Das ist bis
       heute kaum Thema in der Kunst. Zeitgenössisch wird vielmehr wieder ihre
       Renaissance-Erscheinung gefeiert: harmonisch gerundet, knubbelklein. Aber
       nicht mehr so reizvoll-glamourös in Szene gesetzt. 
       
       Schauen wir auf Wolfgang Tillmans Foto [12][„Corinne on Gloucester Place“
       (1993)]: Da steht eine rauchende Frau, gelangweilt und stolz, mitten auf
       einer Straße in London ohne Oberteil. Was völlig selbstverständlich wirkt,
       die Brust ist natürlich schön, sie ist einfach da. Nichts Besonderes mehr.
       Das ist schon eine Präsentation von selbstbewusster Emanzipation.
       
       29 Dec 2023
       
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