# taz.de -- Bereichernde Stadtbesichtigung: Das polierte Spiegelstück
       
       > Ich willigte ein, dem mir kaum bekannten jungen Mann die Stadt zu zeigen.
       > Und entdeckte sie durch seine Augen neu.
       
 (IMG) Bild: Kein Bild des Besuchs aus der Geschichte, aber Ort und Zeit kommen hin: Övelgönne im Juli 2023
       
       Das größte Geschenk ist es, Personen zu treffen, die dem eigenen Leben
       einen neuen Spiegel vorhalten. Es ist sonst, als würde man sich selbst
       jeden Morgen in dem gleichen Spiegelstück betrachten. Dieses Spiegelstück
       hat eine gewisse Größe, ist durch ein bestimmtes Licht geprägt und hat eine
       Struktur. Durch diesen Spiegelausschnitt blicken wir auf uns selbst und
       unser Leben. Und plötzlich trifft man Personen und das Spiegelstück
       verändert sich. Als würde die Person daran reiben, es putzen und neu
       polieren.
       
       Kinder können das. Durch Reisen passiert es. Und Menschen, die in den
       eigenen Alltag kommen.
       
       Es ist wichtig, diesen Menschen zu begegnen, sie sind das Beste, was uns
       passieren kann. Der Cousin eines guten Freundes aus Sri Lanka nimmt an
       einer Fortbildung für zwei Monate in Süddeutschland teil. Ich habe ihn dort
       kennengelernt und seine unbändige Lust, das Land und das Leben zu
       entdecken.
       
       Mitte zwanzig ist er, voller Pläne. Jedes Wochenende nutzt er, um
       verschiedene Städte in Deutschland zu bereisen. Als er hört, dass ich in
       [1][Hamburg] wohne, fragt er mich, ob ich ihm etwas von der Stadt zeigen
       könne, als er an einem Wochenende auch Hamburg entdecken will.
       
       Wir treffen uns an einem Sonntagmorgen an den Landungsbrücken. Eigentlich
       passt mir der Termin nicht besonders gut. Ich bin noch müde und habe nur
       ein paar Stunden Zeit. Ich sehe ihn schon von Weitem, wie er an der Brücke
       steht, mit den Händen leicht das Geländer berührt und auf den Hafen hinaus
       schaut. Ich rufe ihn, doch zuerst reagiert er gar nicht. Er ist ganz
       versunken in den Anblick der Elbe.
       
       ## Auf der Fähre packt er eine Kompaktkamera aus
       
       Dann begrüßen wir uns. Wir kennen uns gar nicht besonders gut, aber es ist
       zu spüren, dass er viel reist, vielen Menschen offen begegnet. Wir nehmen
       eine Fähre nach Övelgönne.
       
       Auf der Fähre packt er eine Kompaktkamera aus, in die ein Film eingelegt
       ist. Begeistert steht er an der Reling, blickt um sich und macht ab und zu
       ein Bild. „Es ist besonderer, mit einem analogen Film Fotos zu machen“,
       sagt er. Das Bild bannt sich auf Film, ohne dass es sich [2][sofort digital
       äußert]. Sein Fotografieren hat etwas Symbolisches. Für ihn ist hier alles
       so besonders, dass er den Motiven ein Stückchen Filmabschnitt schenkt. Ein
       riesiges Containerschiff zieht vorbei. Klick. Ein Bild.
       
       Während wir auf der Fähre stehen, sieht er zum Fischmarkt. „Haben die
       Häuser hier alle Backstein?“, fragt er. „Diese Stadt ist so schön aus einem
       Guss gebaut, mit dem Stahl. Sie gefällt mir.“ Von ihm geht eine
       Begeisterung, ein Leuchten aus. Durch seine Augen entdecke ich die
       Besonderheiten Hamburgs noch einmal ganz neu. Als wir in Övelgönne
       aussteigen, bleibt er vor den Holz-Segelschiffen am Steg stehen. Ein Motiv,
       das ich schon gar nicht mehr wahrnehme, so oft laufe ich daran vorbei.
       Klick. Er fotografiert die Schiffe.
       
       Als wir oberhalb einer Strandbar den schmalen Elbweg an den Häusern
       vorbeigehen, bleibt er immer wieder stehen und fragt nach. Er macht Bilder
       von den Rosen, riecht an ihnen, bestaunt die verzierten Türen und alten
       Fenster. „Leben die Menschen hier wirklich oder machen sie Urlaub?“, fragt
       er.
       
       Es war Regen für den Tag angekündigt, aber er bleibt auf der anderen Seite
       der Elbe. Als würde die Sonne die Wolken für ihn wegdrücken. Während wir
       umhergehen, ist der Weg in flirrendes Licht getaucht. Auch ich nehme alles
       um uns ganz besonders wahr. Als wir die Blumen in den Gärten betrachten,
       Schiffe vorbeiziehen, vor uns die Kräne, der Strand und die glitzernde Elbe
       liegt, spüre ich eine neue Dankbarkeit, in dieser Stadt zu wohnen. Ein
       stilles [3][Glück] im Jetzt.
       
       Ein paar Wochen später schickt er mir Abzüge von den Fotos, die er
       mittlerweile entwickelt hat. Das Material ist körniger, es zeigt den
       Elbstrand in besonderem Kontrast. In den Bildern spiegelt sich die
       Begeisterung wider, die auch mein Spiegelstück verändert hat.
       
       29 Aug 2023
       
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