# taz.de -- Akzeptanz von trans Personen in Mexiko: Tradition, Romantisierung und Hass
       
       > Muxes, indigene trans Frauen, gelten in Oaxaca als gesellschaftlich
       > akzeptiertes „drittes Geschlecht“. Doch paradiesisch ist ihre Situation
       > nicht.
       
 (IMG) Bild: Muxes bei einem Fest in Mexiko City (Archivbild)
       
       Fröhliche Partys, bunte Umzüge, aufwändig geschminkte Gesichter und
       farbenfroh bestickte Blusen: Muxes, Musches gesprochen, liefern zweifellos
       den Stoff für gute Fotoshootings und Reportagen. Wohl deshalb sind die
       indigenen trans Frauen aus dem [1][Isthmus von Tehuantepec] in aller Welt
       bekannt. Die biologisch als Männer Geborenen aus dem südmexikanischen
       Bundesstaat Oaxaca gelten gesellschaftlich akzeptiert als „drittes
       Geschlecht“. So jedenfalls die Legende. Zugleich übernehmen sie alte
       Frauenrollen: Sie kümmern sich um den kranken Vater, kochen und nähen.
       
       Seit wann die „Muxiedad“ – das Muxentum – als [2][zapotekische Tradition]
       existiert, ist umstritten. Außer Zweifel steht jedoch, dass die trans
       Frauen seit Langem Fotograf*innen und Reporter*innen anziehen. Auf
       der [3][Plattform „Humboldt“ des Goethe-Instituts] beschäftigt sich der
       Performer Lukas Avendaño mit den Herausforderungen des Muxe-Daseins und
       bebildert seinen Text mit perfekt inszenierten erotisch anmutenden Fotos.
       Das Modemagazin Vogue widmete der Muxe [4][Estrella Vásquez] ihre
       Titelseite, für den NDR ging Sara Nuru nach Juchitán, um die „Stadt der
       drei Geschlechter“ entlang von Vásquez zu porträtieren.
       
       Vásquez hat es mittlerweile noch weiter gebracht: Vor wenigen Wochen wurde
       sie wegen der zapotekischen Kleidung, die sie für den Film Finlandia von
       Horacio Alcalá entwarf, für Mexikos wichtigsten Filmpreis Ariel nominiert.
       
       Nuru zeigt in farbintensiven Bildern, wie sie, nah bei ihrer Mutter,
       Blumenornamente stickt und sich auf dem quirligen Markt ihrer Heimatstadt
       bewegt. Beinahe so, als ob die Region tatsächlich ein „Paradies für Muxe“
       sei, wie sie oft genannt wird. Beinahe, denn Nuru lässt Vásquez immerhin
       ein wenig Raum, um über ihre Diskriminierung zu sprechen.
       
       ## Traumatische Kindheit, stigmatisiert, verarmt
       
       Redet man mit Joseline Sosa oder Deysi Lobo, zwei in der Region
       aufgewachsene trans Frauen, bleibt rein gar nichts von
       Blumen-Schnickschnack und familiärer Eintracht. Beide haben eine
       traumatische Kindheit hinter sich, arbeiteten wie viele trans Personen im
       Isthmus von Tehuantepec als Prostituierte und sind heute HIV-positiv.
       Stigmatisiert werden dafür nicht die männlichen Freier, sondern sie. „Das
       ist kein Paradies, wir leben in der Hölle“, sagt Joseline und erinnert
       daran, dass erst vergangenes Jahr in der Region der LGBTQ-Aktivist Edgardo
       Santiago López ermordet wurde.
       
       Die 37-jährige Deysi begann mit 13 Jahren, in Bordellen zu arbeiten.
       Nachdem ihr HIV attestiert wurde, änderte sie ihr Leben. Heute lebt sie mit
       ihrem Partner in einer ärmlichen Hütte am Rande der Kleinstadt San Blas
       Atempa und bestreitet ihren Unterhalt mehr schlecht als recht durch
       Mango-Ernten und andere Jobs.
       
       Koko Lozada, Transaktivistin, lächelt zynisch, wenn jemand versucht, die
       Verhältnisse zu beschönigen. „Wenn du in weiblicher Aufmachungen auf die
       Straße gehst, macht man sich über dich lustig, du kannst geschlagen
       werden“, erzählt sie. Koko ist überzeugt, dass sich das Muxe-Konzept
       überleben wird: „Was ihre sexuelle Orientierung betrifft, haben junge Leute
       mittlerweile ganz andere Visionen.“ Jenseits von klassischen Frauenrollen,
       bestickten Kleidern und traditionellen Festen.
       
       ## Ob sich Muxiedad und LGBTQ-Kulturen bald mischen?
       
       Vielleicht amalgamiert die Muxiedad tatsächlich langsam mit anderen
       LGBTQ-Kulturen und modernisiert sich. Performer Avendaño, der zu dieser
       Hybridisierung arbeitet, stellt das Muxentum wertfrei in Kontrast zur sonst
       existierenden „verwestlichten Moral der restlichen mexikanischen
       Gesellschaft“. Außerhalb der zapotekischen Gemeinschaft, so schreibt er,
       „ist man kein Muxe mehr und wird zur x-beliebigen Schwuchtel, zu einem
       abartigen Perversen“.
       
       Zweifellos erleben Schwule, Lesben und Transgender im machistischen Mexiko
       brutale Diskriminierung und Gewalt. Über 450 LGBTQ-Personen wurden in den
       letzten fünf Jahren ermordet. Aber auch der Isthmus von Tehuantepec macht
       da keine Ausnahme. Mehr als zwei Dutzend Muxes starben dort eines
       gewaltsamen Todes. Hassverbrechen nehmen zu. Daran ändert auch die
       vermeintlich traditionelle gesellschaftliche Einbindung nichts.
       
       Der Autor ist taz-Korrespondent in Mexiko.
       
       15 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Megaprojekt-in-Mexiko/!5715234
 (DIR) [2] /Neue-Nachrichtenagentur-in-Mexiko/!5406919
 (DIR) [3] https://www.goethe.de/prj/hum/es/gle/21587404.html
 (DIR) [4] https://www.vogue.mx/estilo-de-vida/articulo/estrella-vazquez-muxe-de-oaxaca-entrevista-mes-del-orgullo
       
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 (DIR) Wolf-Dieter Vogel
       
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