# taz.de -- Regisseur Sebastián Silva über Überdruss: „Es gibt viele Versionen von mir“
       
       > Der Regisseur Sebastián Silva spricht über Existenzkrisen und die Komik
       > von Misanthropie. Im Film „Rotting in the Sun“ inszeniert er seinen Tod.
       
 (IMG) Bild: Sebastián Silva in „Rotting in the Sun“
       
       Nach Festivalerfolgen mit [1][Indiefilmen wie „La Nana – Die Perle“] und
       der Satire „Nasty Baby“ nahm der chilenische Regisseur Sebastián Silva eine
       längere Auszeit in Mexiko-Stadt, um zu malen, psychedelische Drogen zu
       konsumieren und über Leben und Tod nachzudenken. Nun ist der 44-Jährige
       zurück und spielt in seinem neuen Film „Rotting in the Sun“ einen
       Filmemacher namens Sebastián Silva, der in einem abgeranzten Apartment in
       Mexiko-Stadt Drogen, Depression und Überdruss frönt – und die erste Hälfte
       dieser ebenso sarkastischen wie expliziten Satire nicht überlebt. Ein
       Gespräch über privilegierte Künstler, nervige Influencer und die Freuden
       des Nihilismus. 
       
       taz: Herr Silva, in Ihrem Film inszenieren Sie Ihren eigenen Tod. Muss man
       sich Sorgen machen? 
       
       Sebastián Silva: Die Idee entstand aus dem Bedürfnis, mich über meine
       damalige Situation lustig zu machen. Ich lebte zu der Zeit wirklich in
       diesem Haus in Mexiko-Stadt, steckte in einer Existenzkrise, hasste mich
       und alle anderen. Mir gingen die Bewohner auf den Geist, auch Vero, die
       Haushälterin. Der Hund im Film ist mein Hund, auch er hat im Park vor dem
       Gebäude menschliche Exkremente gefressen. Ich war genervt, fand es zugleich
       saukomisch. Also fing ich an, kleine Szenen aufzuschreiben, aus der bald
       eine Art misanthropisch-düstere Krimikomödie wurde, mit mir als
       Protagonisten.
       
       Ich wollte gemein sein, der ganzen Welt gegenüber, angefangen bei mir
       selbst. Nur wenn ich über mich lache, darf ich mich auch über alle anderen
       lustig machen. Meine Misantrophie, meinen Selbsthass und meine
       Todessehnsucht verpackte ich in einer Komödie, denn nur so ist das alles
       erträglich. Niemand will Leuten zuschauen, die völlig ernsthaft rumjammern.
       Und die Aussicht, einen kleinen Film in der Umgebung zu drehen, wo ich zu
       der Zeit lebte, erschien mir eine gute Idee. Also fragte ich meinen Freund
       Matteo, dem das Gebäude gehört, meinen Bruder Martin und alle anderen, ob
       ich sie als Figuren benutzen und sie zur schlimmsten Version ihrer selbst
       machen durfte.
       
       Ihre Figur begegnet dabei dem US-amerikanischen Influencer Jordan Firstman,
       der mit Comedyclips auf Instagram bekannt wurde und sich hier ebenfalls
       selbst spielt. Wie kam es dazu? 
       
       Jordan und ich begegneten uns zufällig auf der Plaza in der Nähe meines
       Hauses. Ich hing gerade mit meinem Hund herum und ein Kerl, den ich vom
       Sehen kannte, fing an, mit mir zu flirten. Und dann kam Jordan dazu, mit
       dem dieser Typ die Nacht zuvor verbracht hatte, und Jordan erkannte mich
       und geriet in Panik. Er hatte seinem One-Night-Stand ausgerechnet einen
       Film von mir gezeigt, „Crystal Fairy“, und dachte, er würde nun als totaler
       Fan bloßgestellt. Es war ihm furchtbar peinlich. Wir kamen dann ins
       Gespräch und er lud mich abends zum Essen ein.
       
       Zu dem Zeitpunkt hatte ich in meiner Geschichte zwar einen Gringo
       vorgesehen, aber ich hatte nur eine vage Vorstellung von einem dieser
       US-Amerikaner, die nach Mexiko kommen und die Sau rauslassen oder gleich
       eine billige Immobilie kaufen, diese Art von Pest. Und dann kam diese Pest
       tatsächlich in Gestalt von Jordan und ich wusste, er wäre perfekt. Weil er
       so schillernd und charismatisch und im besten Sinne nervig ist, so ein
       Oversharer, der alles von sich preisgibt und dabei wahnsinnig witzig ist.
       Als ich ihn fragte, ob er bereit wäre, in dem Film eine nur leicht
       übertriebene Version seiner selbst zu spielen, sich über sein Image als
       Instagramer lustig zu machen, nackt am Gaybeach zu cruisen, Chemsex zu
       haben, all das. Und er war wirklich zu allem bereit, wir hatten viel Spaß.
       
       Wie entstand dann die Geschichte, bei der Ihre Figur plötzlich verschwindet
       und Jordan dem Rätsel auf die Spur zu kommen versucht? 
       
       Ich bezog ihn beim Schreiben stark mit ein, fragte ihn dauernd nach
       Details, weil ich seine Art von Influencer so genau wie möglich hinbekommen
       wollte. Nichts schlimmer, als etwas zu karikieren, von dem man keine Ahnung
       hat. Das Drehbuch schrieb ich dann mit meinem langjährigen Co-Autor Pedro
       Peirano. Er weiß nicht nur viel besser als ich, wie Krimi und Mystery
       funktionieren, er war vor allem nicht ich. Diese Distanz brauchte ich,
       während ich mich selbst als Figur schrieb. Ich wollte vermeiden, dass
       daraus eine peinliche, egozentrische und humorlose Selbstbespiegelung wird.
       Kein eitles Projekt, sondern hoffentlich ein Gesellschaftskommentar, in dem
       ich mich selbst als Beispiel nehme für einen bestimmten Typ privilegierter
       Menschen und dieses Verhalten kritisiere.
       
       Wie nah ist diese Figur Sebastián Silva am realen Sebastián Silva? 
       
       Das ist schon verdammt nah dran. Ich bin vielleicht nicht ganz so eine
       Niete, nicht ganz so nervig, rede nicht dauernd davon, mich umbringen zu
       wollen. Aber ich hatte in meinem Leben Suizidgedanken, schon seit meiner
       Jugend. Die Welt macht mich sehr müde. Und ich liebe Psychedelika. Der Tod
       erschien mir als ultimativer Trip, bei dem man seinen Körper verlässt und
       in einen anderen Zustand übergeht. Auch viele andere Details sind Silva in
       Reinkultur. Es gibt so viele Versionen von mir. Das hier ist eine davon.
       
       Im Film liest Sebastián Silva „Vom Nachteil, geboren zu sein“ des
       rumänischen Nihilisten Emil Cioran. Welches Verhältnis haben Sie selbst zu
       dessen Lebensphilosophie? 
       
       Cioran bringt mich immer wieder zum Lachen, weil er so ein Misanthrop ist.
       Niemand schreibt derart pessimistisch über die Menschheit, das hat großen
       Witz. Ohne Distanz kann man ihn leicht als verbitterten Menschen mit sehr
       extremen Ansichten sehen. In seinen Augen verdienen wir Menschen alle zu
       sterben. So düster seine Aphorismen sind, muss ich darin etwas Komisches
       finden, sonst wäre ich selbst tot. Er hätte sicher nie zugegeben, eine Art
       Komödiant zu sein, aber für mich ist er es. Im Film zitiere ich ihn: „Es
       lohnt nicht die Mühe, sich zu töten, denn man tötet sich immer zu spät.“
       
       Wenn das kein böser Witz ist! Vor allem, wenn es jemand wie meine Figur im
       Film ernst nimmt, die selbst gar keine echten Probleme hat. Dieser
       Sebastián Silva ist ein Künstler, der es super findet, über Suizid zu
       fantasieren, weil er das Leben nicht mehr erträgt. Dabei besteht seines nur
       aus Malen und den schicken Hund in einer coolen Stadt Gassi zu führen. Ich
       muss mich darüber lustig machen, auch wenn ich selbst diese Existenzkrisen
       hatte und es sich gar nicht gut anfühlte. Aber das sind wirklich
       Luxusprobleme im Vergleich zu anderen Menschen, die echte Not leiden.
       
       Woher kommt dieser schwarze Humor bei Ihnen? 
       
       Den hatte ich gefühlt schon immer. Als alter schwuler Mann, ich bin jetzt
       44, hatte ich wie die meisten meiner Generation einen Teil meines Lebens
       ungeoutet verbracht. Durch dieses Verstecken der eigenen Identität, durch
       dieses Geheimnis, entwickelt man ein Talent, mit dem man ein bisschen zum
       Manipulator wird, um sich selbst zu schützen. Das Umfeld kann sehr
       feindlich sein und sich dem nicht auszusetzen, hat nicht nur mit Angst zu
       tun, es kann auch eine Form der Selbstliebe sein.
       
       Mein Sarkasmus ist vielleicht eine Reaktion auf homophobe Menschen, weil
       ich immer wusste, dass mein Schwulsein völlig natürlich ist und sie alle
       nicht recht haben. Daraus kann leicht ein Gefühl der Überlegenheit
       entstehen, weil man es ja besser weiß als die Hälfte der Menschheit. Man
       entwickelt eine Form von [2][Misanthropie, die sich im besten Fall durch
       sehr schrägen Humor ausdrückt]. Um leicht verzeihen zu können, müsste man
       schon ein Heiliger sein.
       
       14 Sep 2023
       
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