# taz.de -- Schweden will Atomenergie ausbauen: AKW-Chaos in Schweden
       
       > Die Umweltministerin hat stolz „mindestens“ zehn neue Atomkraftwerke
       > angekündigt. Allerdings wusste die Regierungskoalition nichts davon.
       
 (IMG) Bild: Die schwedische Klima- und Umweltministerin Romina Pourmokhtari
       
       STOCKHOLM taz | Romina [1][Pourmokhtari] ist mit 27 Jahren die jüngste
       Ressortchefin, die Schweden je hatte. Derzeit sorgt Schwedens Klima- und
       Umweltministerin für jede Menge Schlagzeilen. „Mindestens zehn“ [2][neue
       konventionelle Atomreaktoren] sollten in Schweden gebaut und zwischen 2030
       und 2040 in Betrieb genommen werden, kündigte sie unlängst per
       Pressekonferenz an. Damit ließe sich die Atomstromproduktion des Landes
       verdreifachen und die gesamte Stromproduktion etwa verdoppeln. Was den
       mutmaßlichen Bedarf für 2045 decken würde.
       
       Nachfragen von JournalistInnen zu Standorten, Sicherheit, Atommüll,
       Finanzierung, technischen und politischen Details beantwortete Pourmokhtari
       vage. Sie wolle nicht spekulieren, erklärte die Ministerin. Jedenfalls gehe
       sie davon aus, dass es genügend Unternehmen geben werde, die in neue
       Reaktoren investieren wollen – selbst wenn der Staat Neubauten nicht
       subventioniere und auch keinen festen Preis für den Strom zusichern werde.
       Immerhin gebe es Kreditgarantien für Atomenergie.
       
       Die Ankündigung hatte jedoch einen Haken: Der [3][Rest der schwedischen
       Regierung] wusste nichts davon. Dass Pourmokhtari offenbar einen Alleingang
       hingelegt hatte, fiel zuerst der Tageszeitung Aftonbladet auf. Als einer
       ihrer Redakteure in der vergangenen Woche nach der Presseerklärung zu
       diesen zehn neuen Reaktoren suchte, war diese von der Website des
       Ministeriums spurlos verschwunden – und stillschweigend durch eine
       Neufassung ersetzt worden. Darin war keine Rede mehr von 16 statt bislang 6
       Atomreaktoren oder von Pourmokhtaris Ankündigung von dreimal soviel
       Atomkraft binnen 20 Jahren.
       
       Daniel Liljeberg, Staatssekretär im Wirtschafts- und Energieministerium,
       dem Schwedens Klima- und Umweltministerium organisatorisch untersteht,
       erklärte die verschwundene Presserklärung damit, dass es für Pourmokhtaris
       Ankündigungen keine Grundlage gebe: „Die Regierung hat keine Ziele oder
       Bewertungen in dieser Detailtiefe festgelegt.“ Ministerin Pourmokhtari
       gehört zur liberalen Partei, ihre „Chefin“, Wirtschaftsministerin Ebba
       Busch, ist Vorsitzende der Christdemokraten.
       
       ## Ministerpräsident Ulf Kristersson schweigt
       
       Auf Antrag der oppositionellen grünen Miljöpartei wird sich nun ein
       Parlamentsausschuss mit dem Vorgang beschäftigen. „Über Regierungskanäle
       wird irgendetwas präsentiert, was überhaupt nicht durch Fakten gestützt
       wird. Das ist sehr schädlich für das Vertrauen in die Politik“, sagt Linus
       Lakso, Energieexperte der Grünen: „Man muss darauf vertrauen können, dass
       das, was ein Minister auf einer Pressekonferenz vorträgt, eine Grundlage in
       der Realität hat.“
       
       Die Sozialdemokraten forderten, Ministerpräsident Ulf Kristersson müsse
       erklären, was eigentlich Sache sei. Doch der Chef der Rechtskoalition
       schweigt. MinisterInnen, die „einfach mal so aus der Hüfte schießen“: Das
       illustriere die konzeptionslose Klima- und Energiepolitik der Regierung
       sehr gut, kommentierte Aftonbladet.
       
       Es bleibt tatsächlich das Geheimnis der schwedischen Regierung, [4][wie
       sich neue Atomstromproduktion eigentlich rechnen soll]. Sogar die längst
       abgeschriebenen Altreaktoren des Landes könnten mit Kosten von 2,1 bis 3,3
       Eurocent pro Kilowattstunde zeitweise nur mit Verlust produzieren, rechnete
       Svenska Dagbladet vor. Eine Studie aus dem Jahre 2021 habe für schwedische
       AKW-Neubauten Produktionskosten von 4,2 bis 5,5 Eurocent pro Kilowattstunde
       errechnet, bei Neubauprojekten in Frankreich und Großbritannien werde sogar
       von über 10 Eurocent ausgegangen. Im Juli lag der durchschnittliche
       Strompreis in Schweden bei 3,2 Eurocent pro Kilowattstunde.
       
       31 Aug 2023
       
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