# taz.de -- Friedensnobelpreisträgerin Mohammadi: Eine Frau, eine Bewegung, ein Preis
       
       > Die iranische Aktivistin Narges Mohammadi inspiriert mit ihrem Kampf
       > viele Menschen. Das Nobelkomitee erkennt aber nicht nur ihre Leistung an.
       
 (IMG) Bild: Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi
       
       BERLIN taz | „Frau, Leben, Freiheit“: Mit diesen drei Worten eröffnete das
       norwegische Nobelkomitee in Oslo am Freitag die Verleihung des
       Friedensnobelpreises 2023. In diesem Jahr ging die Auszeichnung an die
       iranische Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi, die in Teheran im
       Gefängnis sitzt.
       
       Die Begründung für die Ehrung war ebenso deutlich wie bewegend: Mohammadis
       Kampf gegen die [1][Unterdrückung von Frauen in Iran] und ihr unermüdliches
       Streben nach Freiheit und Menschenrechten hätten die Welt in ihren Bann
       gezogen.
       
       Die Komiteevorsitzende Berit Reiss-Andersen betonte, dass der Preis nicht
       nur die herausragenden Bemühungen Mohammadis würdigen solle, sondern auch
       den Einsatz der vielen Menschen in Iran, die sich für Frieden und
       Demokratie engagierten. „Dieser Preis ist in erster Linie eine Anerkennung
       der sehr wichtigen Arbeit einer ganzen Bewegung in Iran mit ihrer
       unangefochtenen Anführerin Narges Mohammadi“, so Reiss-Andersen.
       
       Die 51-jährige Mohammadi ist seit 2010 immer wieder zu einer politischen
       Gefangenen der Islamischen Republik geworden. Insgesamt wurde sie 13-mal
       festgenommen und 5-mal verurteilt. Zusammengerechnet wurde sie zu 31 Jahren
       Haft und 154 Peitschenhieben verurteilt. Zuletzt wurde sie im November 2021
       festgenommen, seitdem sitzt [2][sie im berüchtigten Evin-Gefängnis] in
       Teheran. Während ihrer Haftstrafen verlegten die iranischen Behörden sie
       immer wieder von Gefängnis zu Gefängnis, um sie und ihre Familie unter
       Druck zu setzen. Doch aufgeben kam für die Menschenrechtlerin nie infrage.
       
       ## Protest selbst im Gefängnis
       
       Für die „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung in Iran ist Narges Mohammadi
       essenziell, selbst aus dem Gefängnis heraus verschafft sie sich Gehör. Ihre
       Stimme verleiht nicht nur anderen politischen Gefangenen eine
       internationale Plattform, sondern deckt auch Missstände in den Gefängnissen
       auf. Im vergangenen Dezember schmuggelte Mohammadi einen Bericht aus dem
       Evin-Gefängnis heraus, [3][der später von der New York Times veröffentlicht
       wurde]. Darin enthüllte sie das Ausmaß des Einsatzes von Vergewaltigung als
       Waffe, als Foltermethode und als Mittel zur Einschüchterung, insbesondere
       von jungen Frauen.
       
       Wenn es einer Gefangenen nicht gut geht, verschafft Mohammadi ihr
       Aufmerksamkeit. So informierte sie die Welt im Juni über den alarmierenden
       Gesundheitszustand der deutschen Staatsbürgerin Nahid Taghavi, die seit
       Oktober 2020 ebenfalls im Evin-Gefängnis inhaftiert ist.
       
       Und erst vor wenigen Wochen, im September, protestierte Mohammadi bei den
       Gefängniswärtern gegen die anhaltende Inhaftierung einer jungen Frau, die
       mehrere Selbstmordversuche innerhalb kürzester Zeit unternommen hatte. Die
       Wärter reagierten mit Gewalt und verletzten Mohammadi – doch entmutigen
       ließ sie sich nicht.
       
       Mohammadis Protest gipfelte darin, dass sie im Gefängnishof auf das Dach
       eines Fahrzeugs stieg und die Parole „Nieder mit der Islamischen Republik“
       rief. In einem von ihren Angehörigen auf Instagram veröffentlichten Bericht
       erklärte sie: „Die Islamische Republik ist verantwortlich für alles, was
       mir widerfährt.“
       
       Vor drei Wochen, zum ersten Jahrestag der Ermordung von Jina Mahsa Amini
       durch die iranische Sittenpolizei, organisierte Mohammadi zusammen mit
       anderen politischen Gefangenen einen Sitzstreik im Innenhof des
       Evin-Gefängnisses. Während des Protests nahmen die Frauen ihre Kopftücher
       ab und verbrannten sie im Gefängnishof.
       
       Bereits früh hat Narges Mohammadi damit begonnen, sich für Menschenrechte
       und Freiheit einzusetzen. Schon während ihres Physikstudiums in den 90er
       Jahren schrieb sie Artikel, in denen sie sich für Frauenrechte engagierte.
       Im Jahr 2003 schloss sie sich dem Defenders of Human Rights Center an,
       einer Organisation unter der Leitung der Menschenrechtlerin [4][Schirin
       Ebadi], die genau vor 20 Jahren die erste iranische Frau war, die mit dem
       Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Später ernannte die Organisation
       Mohammadi zu ihrer Vizepräsidentin.
       
       Mohammadi wurde immer wieder zu Haftstrafen und Peitschenhieben verurteilt,
       auch andere Maßnahmen sollen ihr Engagement für Menschenrechte unterbinden.
       So darf sie seit acht Jahren ihre Zwillingskinder Ali und Kiana weder
       sprechen noch sehen – und aktuell keinen Besuch im Gefängnis empfangen.
       
       ## Eine Stütze für andere
       
       Auch in den seltenen Zeiten, in denen sie nicht inhaftiert war, war
       Mohammadi eine Stütze für politische Gefangene. Wenn jemand eine Haftstrafe
       antreten musste, begleitete sie die Person bis vor die Tore des
       Gefängnisses und sang für sie, obwohl das Singen für Frauen in der
       Öffentlichkeit in Iran verboten ist.
       
       In der Haft führte Mohammadi Interviews mit anderen politischen Gefangenen,
       während eines Hafturlaubs entstand daraus ein Buch. Ein anderes Mal drehte
       sie einen Dokumentarfilm über die sogenannte Weiße Folter, als sie für
       kurze Zeit entlassen wurde. Beide Werke enthüllen die brutalen Praktiken
       der Islamischen Republik in der Isolationshaft.
       
       Gemeinsam mit anderen Aktivist*innen und Jurist*innen startete
       Mohammadi vor einigen Jahren eine Petition zur Abschaffung der
       Isolationshaft, was erneut zu ihrer Verhaftung führte. Im vergangenen
       Januar schließlich [5][veröffentlichte sie einen umfangreichen Bericht aus
       dem Gefängnis], in dem sie darlegte, wie lange die Frauen des
       Evin-Gefängnisses Weißer Folter ausgesetzt waren und wie gravierend die
       bleibenden Schäden sind.
       
       Der Friedensnobelpreis ist nicht die erste Auszeichnung für Mohammadi. Erst
       im Februar wurde sie mit dem schwedischen Olof-Palme-Preis geehrt, wenig
       später folgte der Preis für Pressefreiheit der Unesco. Nach der Bekanntgabe
       des Nobelkomitees am Freitag sprach Mohammadis Familie von einem
       „historischen Moment für den Kampf des Irans für Freiheit“. Die Ehre
       gebühre allen Iranern, „insbesondere den mutigen Frauen und Mädchen“,
       welche die Welt „mit ihrem Mut im Kampf für Freiheit und Gleichheit
       inspiriert haben“, erklärte sie auf Instagram.
       
       ## Die 19. Friedensnobelpreisträgerin
       
       Auch aus Deutschland kamen Reaktionen: „Mein Respekt gilt der diesjährigen
       Friedensnobelpreisträgerin – für ihren Mut und ihren Kampf für die Rechte
       der iranischen Frauen“, schrieb Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf der
       Plattform X, ehemals Twitter. Außenminister Annalena Baerbock schrieb:
       „Mohammadis furchtlose Stimme lässt sich nicht wegsperren, die Zukunft des
       Irans sind seine Frauen.“
       
       Mohammadi ist die 19. Frau, die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet
       wird, seit die Auszeichnung 1901 zum ersten Mal vergeben wurde. Im letzten
       Jahr war der Preis an den inhaftierten belarussischen Menschenrechtsanwalt
       Ales Bjaljazki sowie die Menschenrechtsorganisationen Memorial aus Russland
       und Center for Civil Liberties aus der Ukraine gegangen. Sie waren für
       ihren Einsatz für die Zivilgesellschaften in ihren Heimatländern, das Recht
       auf Machtkritik und den Schutz der Grundrechte geehrt worden.
       
       Überreicht werden soll der Friedensnobelpreis wie immer am 10. Dezember,
       dem Todestag des schwedischen Dynamiterfinders und Preisstifters Alfred
       Nobel. Dass Mohammadi den mit fast einer Million Euro dotierten Preis wird
       persönlich entgegennehmen können, ist unwahrscheinlich – auch wenn das
       Nobelkomitee am Freitag forderte, Mohammadi noch vor der Preisvergabe
       freizulassen.
       
       6 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [4] /Shirin-Ebadi-ueber-die-Proteste-im-Iran/!5888438
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniela Sepehri
       
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