# taz.de -- Parlamentswahl in Polen: Es wird sehr knapp
       
       > Die Chancen der demokratischen Opposition steigen, die
       > nationalpopulistische PiS abzulösen. Auf Koalitionspartner sind alle
       > Parteien angewiesen.
       
 (IMG) Bild: Unterstützerin der Opposition bei einer Wahlveranstaltung in Łódź am 10. Oktober
       
       WARSCHAU taz | Die Spannung in Polen steigt. Wer wird am Sonntag die
       Parlamentswahl gewinnen? Wieder [1][die regierenden Nationalpopulisten von
       der Recht und Gerechtigkeit (PiS)]? Das wäre dann ihre dritte Amtszeit und
       womöglich das Ende von Polens Mitgliedschaft in der EU. Oder die
       demokratische Opposition mit der liberal-konservativen Bürgerkoalition (KO)
       an der Spitze? Ohne zwei weitere Parteien – die Neue Linke und den Dritten
       Weg – wird die KO allerdings keine Regierung bilden können.
       
       Zur Zeit liefern sich die PiS und die KO ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit 28 bis
       35 Prozent Zustimmung der Wahlberechtigten. Doch obwohl die PiS die Nase
       vorn hat, wird auch sie einen Koalitionspartner brauchen. Infrage kommt
       eigentlich nur die rechtsextreme Konföderation. Sie ist vom dritten auf den
       fünften Platz abgerutscht und damit als Königsmacherin weniger attraktiv
       geworden.
       
       In den Wahllokalen können am Sonntag rund 29 Millionen Wahlberechtigte ihre
       Kreuzchen machen. Neu zu besetzen sind 460 Plätze im Sejm, dem polnischen
       Abgeordnetenhaus, und 100 Plätze im Senat, der zweiten Kammer des
       Parlaments, die vor allem eine Kontrollfunktion hat. Doch die
       Wahlberechtigten bekommen dieses Mal nicht nur zwei Wahlzettel
       ausgehändigt, sondern noch einen dritten Bogen über eine Volksbefragung.
       
       Zu entscheiden gibt es jedoch nicht viel. In speziellen Radio- und
       Fernsehspots mit „Informationen“ zum Referendum empfiehlt die PiS-Regierung
       vier Mal mit Nein zu antworten. Dies würden bei den suggestiv gestellten
       Fragen die meisten wohl ohnehin tun. So lautet die erste Frage: „Bist du
       für den Ausverkauf des polnischen Staatsvermögens? Die zweite lautet: „Bist
       du dafür, das Renteneintrittsalter hochzusetzen?“, wobei der Zusatz „wenn
       dadurch deine monatliche Rente um 500 bis 1.000 Zloty steigen würde“ fehlt.
       
       ## Perfide Frage
       
       Die dritte Frage soll die Wähler gegen die EU aufstacheln: „Bist du für die
       Aufnahme Tausender illegaler Immigranten aus dem Nahen Osten und aus
       Afrika, so wie es der Zwangsmechanismus der Umverteilung vorsieht, den uns
       die EU-Bürokratie aufzwingen will?“ Die Frage ist besonders perfide, da
       Polen als Erstaufnahmeland für Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine
       vom EU-Asylkompromiss gar nicht betroffen ist.
       
       Mit einem einfachen Brief an die EU-Kommission könnte Polen eine Klausel in
       Kraft setzen, die das Land von der Solidaritätspflicht ausnehmen würde,
       Asylbewerber aus Italien oder Griechenland bei sich aufzunehmen oder für
       jeden nicht aufgenommenen Geflüchteten eine Ausgleichszahlung von 22.000
       Euro zu leisten. Das aber sagt die [2][PiS] nicht.
       
       Auch die vierte Frage würden die meisten Polen mit Nein beantworten. „Bist
       du dafür, die Grenzanlage zwischen Polen und Belarus zu liquidieren?“ Denn
       der fünfeinhalb Meter hohe Stahlzaun hält zwar kaum Migranten davon ab, den
       Weg nach Westen zu suchen, doch will ihn zur Zeit – allein wegen der
       Kriegsgefahr aus Russland und Belarus – keiner abreißen.
       
       Ein Machtwechsel scheint möglich. Zwar würde die PiS letzten Umfragen
       zufolge mit 33,5 Prozent der Stimmen stärkste Partei werden, doch selbst in
       einer Koalition mit der Konföderation (9,2 Prozent) würde sie keine
       Mehrheit erreichen. Anders [3][die Bürgerkoalition mit 28 Prozent], die mit
       dem Dritten Weg (10,9 Prozent) und der Neuen Linken (10,1 Prozent) gute
       Chancen hat, die Regierung zu stellen. Allerdings ist nicht gesagt, dass
       der Dritte Weg die für Parteienbündnisse vorgesehene Achtprozenthürde
       nimmt.
       
       Zudem hat die PiS in den letzten Jahren zahlreiche Gesetze erlassen, um
       ihren Machterhalt selbst bei verlorenen Wahlen zu garantieren. So spielen
       Politologen Szenarien vom Verfassungsbruch bis hin zum Ausnahmezustand mit
       Einsatz der Armee zur „Aufrechterhaltung der Ordnung“ durch. Doch das sind
       zur Zeit nur Spekulationen.
       
       13 Oct 2023
       
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