# taz.de -- Verdacht auf Queerfeindlichkeit: Tod dem rosa Drachen
       
       > Die Waldorfschule Itzehoe erlebt einen Shitstorm. Bei einem Fest wurde
       > ein großer Pappmaché-Drache verbrannt, der queere Symbole trug.
       
 (IMG) Bild: Dieser Drache wurde auf dem Hof der Waldorfschule Itzehoe vor den Augen der Kinder verbrannt ​
       
       RENDSBURG taz | Gruseln in der Geisterbahn, rangeln auf dem Schwebebalken,
       sportliche Betätigung im Kletterwald – mit Mutproben und Spielen feierte
       die Waldorfschule Itzehoe in Schleswig-Holstein Ende September das
       Michaeli-Fest. Ein Höhepunkt des Tages war die [1][Verbrennung eines
       Drachen], den Schüler*innen im Kunstunterricht gebastelt hatten. Weil
       das Monster, das für „das Böse“ steht, Symbole für queeres Leben trug,
       steht die Schule nun in einem Shitstorm. Klage wurde eingereicht, der
       Landtag befasst sich mit dem Fall.
       
       Der Michaelistag am 29. September erinnert an den Kampf des Erzengels
       Michael gegen Luzifer. Waldorfschulen und -kitas feiern an diesem Tag ein
       Fest, in es um Mut geht. Auch der Drache gehört zu den üblichen
       Bestandteilen. In Itzehoe ragte in diesem Jahr eine Pappmaché-Figur mit
       zwei Köpfen auf dem Schulhof auf, die im Laufe des Tages von Feuerpfeilen
       in Brand gesetzt wurde. „Unter aller Augen ging der (sehr kreativ
       gestaltete) Bösewicht in Flammen auf. Der Sieg des Guten über das Böse“,
       heißt es [2][in einem Text, den die Schule danach veröffentlichte].
       
       Teil der „kreativen Gestaltung“ war ein rosafarbenes Trikot des
       queer-freundlichen Sportvereines Inter Miami mit der Aufschrift „Gaydidas“.
       Einer der Köpfe trug einen pinken Barbie-Hut, blondes Haar und eine
       Holz-„Zigarre“, die an Klischee-Darstellungen eines Geldsack-Kapitalisten
       erinnern.
       
       Über das stressige Making-of berichteten Schüler*innen auf der Webseite
       der Schule: „Es blieb einfach keine Zeit für längere Diskussionen und wir
       mussten schnell über unsere Fehler hinwegsehen“, schrieb eine Schülerin.
       Eine andere schilderte: „Wir wissen alle auch nicht recht wie, aber
       irgendwie haben wir es dann doch geschafft, alle Ideen in den Drachen zu
       bringen und dadurch ist er auch sehr bunt und vielseitig geworden.“
       
       ## Verband kündigt Anzeige an
       
       Dass diese bunte Vielfalt dazu bestimmt ist, in Brand geschossen zu werden,
       fand an der Schule offenbar niemand schlimm. In der Außenwelt dagegen
       schon: „Wir sind entsetzt“, kommentierte der Verband der Lesben und
       Schwulen in Schleswig-Holstein auf Facebook, nachdem der
       Anthroposophie-Blog, der sich kritisch mit der Lehre der Anthroposophie und
       ihrem Gründer Rudolf Steiner auseinandersetzt, über den Fall berichtete.
       Für den Verband ist es „ein absolutes Unding, dass in einer
       Bildungseinrichtung so etwas wieder möglich ist. Denn Schulkinder und
       Angestellte sollen sich doch gut und sicher fühlen dürfen“. Der Verband
       kündigte eine Strafanzeige gegen die Verantwortlichen an.
       
       Auch die Landespolitik reagierte. „Wir sind schockiert über die Berichte“,
       sagte die queerpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Anna Langsch.
       Birgit Herdejürgen, SPD-Abgeordnete aus Itzehoe, machte deutlich: „Weder
       ‚woke‘ noch ‚queer‘ dürfen Kindern als böse vermittelt werden, was auch
       immer von archaischen Ritualen sonst zu halten ist.“ Sie forderte einen
       Bericht des Ministeriums beim nächsten Treffen des Bildungsausschusses
       Anfang November. Das Ministerium teilte mit, sich mit dem Fall zu befassen.
       
       Die Steinersche Lehre, die Dinge wie Wiedergeburt, biodynamische
       Landwirtschaft und die Herkunft der Menschheit von Atlantis umfasst,
       [3][verurteilt Homosexualität grundsätzlich nicht]. Beispielsweise sei sie
       kein Kriterium gegen die Priesterweihe, sagte Steiner, der 1861 geboren
       wurde und 1925 starb. Laut einem anderen Zitat glaubte er, dass jüngere
       Kinder weder männlich noch weiblich seien, sondern „einen eher allgemeinen
       menschlichen Charakter haben, der noch nicht in Geschlechter unterteilt
       ist“ – das könnte für Transgender-Kinder ein ganz entspanntes Umfeld
       bedeuten.
       
       ## Nähe zu rechtem Gedankengut
       
       Gleichzeitig fallen unter den rund 250 Waldorfschulen in Deutschland mit
       ihren rund 90.000 Schüler*innen immer wieder einige wegen der Nähe zu
       rechtem Gedankengut, der Reichsbürgerbewegung oder Verschwörungstheorien
       auf.
       
       Auf die Kritik reagierte die Itzehoer Schule zunächst mit der Löschung des
       Berichts auf der Homepage, erst danach mit einer Erklärung und einer
       Entschuldigung: „Mit großem Bedauern nehmen wir zur Kenntnis, dass
       Außenstehende sich von dem Inhalt des St. Michaelis-Festes und dem
       Festverlauf getroffen fühlen“, schreibt Geschäftsführerin Antje Engel. „Es
       lag und liegt nicht in unserem Interesse, irgendeine Person oder Gruppe in
       ihren Gefühlen zu verletzen.“ Eine Entschuldigung gab es auch vom
       Bundesverband der Waldorfschulen.
       
       Dass der queere Drache nur ein Versehen war, glaubt der Steiner-kritische
       Anthroposophie-Blog nicht. Denn Instagram-Beiträge der Waldorfschule über
       den Brand der Pappmaché-Figur waren mit dem Hashtag „Diversity“, Vielfalt,
       markiert. „Sie wissen, was sie tun“, kommentierte der Autor des Blogs.
       
       17 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Waldorfschulen-und-das-Boese/!5962240
 (DIR) [2] https://web.archive.org/web/20231012090017/https:/ivk.waldorfschule-itzehoe.de/michaeli-das-fest-der-freiheit
 (DIR) [3] https://anthrowiki.at/Homosexualit%C3%A4t
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Esther Geißlinger
       
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