# taz.de -- Tagebuch von der Frankfurter Buchmesse: Wieso sind Österreicher cooler?
       
       > Am dritten Tag findet der Österreich-Empfang statt. Eine gute
       > Gelegenheit, um darüber nachzudenken, was an der dortigen Literaturszene
       > so toll ist.
       
 (IMG) Bild: Der Autor bei der Recherche: Auf der Buchmesse wird gern Weißwein getrunken
       
       Es ist der richtige Messetag, die Messehallen haben auf, und ich bin auf
       direktem Wege zum Österreich-Stand.
       
       „Ich will wissen, was die österreichische Literaturszene von der deutschen
       unterscheidet“, sage ich dort zu Benedikt Föger, dem Präsidenten des
       Hauptverbandes des Österreichischen Buchhandels.
       
       Zugegeben, in diesem Moment ist diese Frage noch ein Vorwand, um heute
       Abend zum Österreich-Empfang [1][im Städel-Museum] zu können, weil der in
       der Buchmesseszene offenbar sehr beliebt ist. Aber dann passiert Folgendes:
       Der Präsident lächelt, sieht zur Seite und erklärt, dass er jetzt schon
       einigen Leuten absagen musste für heute Abend und gerade eben erst jemanden
       weggeschickt hätte.
       
       Dann greift er in seine Tasche, sieht noch einmal mit ernst vorsichtigem
       Blick um sich, sagt: „Aber nit herzeigen!“ und zieht eine weiße Karte mit
       den magischen Worten „Österreichempfang 19.30 Uhr“ darauf heraus und gibt
       sie mir.
       
       Und erst jetzt auf dem Rückweg aus den Messehallen beginnt es in mir zu
       arbeiten, und zwar so, wie ich es kenne, wenn ich irgendwie mit Leuten aus
       der österreichischen Literaturszene zu tun habe: Ich denke automatisch,
       dass die einfach cooler sind als Deutsche.
       
       Aber warum?
       
       ## Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek
       
       Vielleicht war es die Art und Weise, wie der Präsident diese Karte gehalten
       hat, der Dialekt. Dieser besondere Humor in seinem Blick, von dem ich nicht
       genau sagen kann, was den ausmacht.
       
       Oder liegt es doch mehr an dem Schreiben?
       
       In meiner Berliner Bubble lieben alle Thomas Bernhard und [2][Elfriede
       Jelinek.] Wenn ich Autor:innen aus Österreich vor der Messe gefragt
       habe, was gerade gegenwärtig so angesagt ist, fiel immer der Name Barbi
       Marković. Jetzt habe ich mir ihr jüngstes Buch „Die verschissene Zeit“
       gekauft.
       
       Es braucht zwei Sätze vom Anfang, um mich zu überzeugen.
       
       „Zehn Jahre sind vergangen, die Kindheit ist weiterhin verwirrend und
       entwürdigend verlaufen. Kein Silvester erträglich, und jede einzelne
       Entwicklungsphase die Hölle.“ Und immer wenn ich dann sagte, dass ich mir
       einen solchen Humor wünschte, wissen die Österreicher:innen gar nicht,
       was ich meine.
       
       Fern von allen diesen Beispielen hat der Wiener Tonio Schachinger den
       Deutschen Buchpreis gewonnen. Den Roman muss ich aber noch lesen. Jetzt
       will ich wissen, warum wir die österreichische Literaturszene überhaupt so
       super finden. Irgendetwas muss es geben, das anders ist, und das suche ich
       hier.
       
       ## Im Städel-Museum
       
       Ich betrete den Empfang im Städel-Museum.
       
       Draußen beim Rauchen hilft mir ein Zeitungsherausgeber aus der Steiermark
       sofort bei meinen Forschungen und erklärt den Unterschied von
       konfliktpräventiver Aggression in Österreich und Deutschland: „Es gibt in
       Österreich die hohe Kunst, Dinge extrem höflich zu sagen, so dass doch
       beide Seiten wissen, dass es so überhaupt nicht gemeint ist“, sagt er, und
       als er das erklärt, denke ich an eine Saalszene vorhin:
       
       Ein Kellner steht vor einem silbernen Buffet, davor eine Frau mit leerem
       Teller. Das klingt banal, man muss aber dazu wissen, dass jede deutsche
       Person folgenden ersten Satz sagt, wenn man sie fragt, was sie am
       Österreich-Empfang reizt: „Da gibt es einfach gutes Essen.“ 
       
       Die Frau steht also erwartungsaufgeladen vor dem Kellner, und der erklärt
       das Buffet: „Erdäpfelsalat, steirischer Bohnensalat, gebratene Hühnerbrust
       mit Jus sowie drei Sorten Knödel: Käse, Spinat und Rote Beete …“
       
       „Ich will aber ein Wiener Schnitzel!“, unterbricht sie ihn hektisch. Der
       Kellner grinst gelassen. „Gnädige Frau“, sagt er. „Wir haben aber leider,
       leider heute kein Wiener Schnitzel!“
       
       Wenn jemand so etwas in Deutschland in dieser höflichen Sprache sagt, dann
       wirkt das einfach passiv-aggressiv, denke ich. In Österreich wirkt alles so
       altertümlich adrett-herausgeputzt wie bei einem Spaziergang in der Wiener
       Innenstadt. Und irgendwie weiß ich gar nicht so viel mehr von Österreich,
       denke ich. Auch nicht über die Besonderheit der Literatur, außer dass sie
       mich catcht und es gut ankommt, „Heldenplatz“ und „Die Klavierspielerin“ zu
       kennen, wenn man mit jemandem ausgeht.
       
       ## Katja Gasser steht am Tisch
       
       E., ein Autor und Freund aus Wien, hat mir mal gesagt, dass Autor:innen
       wie Jelinek und Bernhard besonders dann Erfolg haben, wenn in Österreich
       viel Mist passiert und sie dort durch rechts-konservative
       Politiker:innen zu Netzbeschmutzer:innen werden. Und mir fällt
       ein, dass sein letztes Buch über einen jung-konservativen Politiker aus
       Österreich in Deutschland richtig erfolgreich wurde, als der Skandal um den
       stockkonservativen Bundeskanzler Sebastian Kurz begann. Und daran, was die
       [3][ORF-Journalistin Katja Gasser] anlässlich der letzten Buchmesse in
       Leipzig gesagt hat, als Österreich Gastland war: „Der durchschnittliche
       deutsche Feuilletonist hat es gerne, wenn österreichische Autorinnen ihr
       Land hassen, lustig sind und dazu formal avanciert. Das trifft zwar oft zu,
       gleichzeitig wird es der Literatur simplifizierend und erstickend um den
       Hals geschnürt.“
       
       Katja Gasser steht auch an einem weißen Tisch im Saal des Städel-Museums.
       Aber leider finde ich dieses Zitat erst am nächsten Morgen. Der Abend
       besteht ausschließlich aus Gelächter, Gesprächen und sehr viel Spritzwein,
       was einfach viel toller klingt als „Weinschorle“. Und als es für mich Zeit
       zu gehen wird, kommt der Präsident vorm Ausgang auf mich zu. „Und: hat’s
       geklappt?“, fragt er. Die Forschungsfrage, richtig. „Ja“, sage ich nur und
       zum Glück will der Präsident gar keine Ergebnisse sehen, sondern antwortet:
       „Dann wissen Sie es ja jetzt: Wir sind einfach sehr gern in Gesellschaft.“
       
       Vielleicht erklärt der Satz erst, was genau wir, oder zumindest ich, an der
       österreichischen Literaturszene so gut finde. Eine echte Antwort habe ich
       noch nicht, aber die Suche hier auf der Messe macht Spaß.
       
       Und, ach ja, das Essen, glaubt mir, das ist phänomenal.
       
       Nächstes Jahr bitte wieder!
       
       Aron Boks, 1997 geboren, lebt als Autor in Berlin. Er schreibt für diverse
       Zeitungen und Magazine. Zuletzt erschien das Buch „Nackt in der DDR“ über
       seinen Urgroßonkel, den Maler Willi Sitte (Verlag HarperCollins). Das
       Messetagebuch wird finanziert von der taz Panterstiftung.
       
       19 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Ausstellung-im-Frankfurter-Staedel-Museum/!5867832
 (DIR) [2] /Buch-von-Elfriede-Jelinek/!5893421
 (DIR) [3] /Feministische-Literatur-in-Oesterreich/!5927513
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Aron Boks
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2023
 (DIR) Literatur
 (DIR) Österreich
 (DIR) Elfriede Jelinek
 (DIR) Wiener Schnitzel
 (DIR) GNS
 (DIR) Österreich
 (DIR) Paarbeziehungen
 (DIR) Wien
 (DIR) Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2023
 (DIR) Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2023
 (DIR) Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2023
 (DIR) Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2023
 (DIR) Lesestück Recherche und Reportage
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Preise der Leipziger Buchmesse: Über den alltäglichen Horror
       
       Die Autorin Barbi Marković bekommt den Preis der Leipziger Buchmesse für
       ihren Roman „Minihorror“. Er handelt vom Alltag im Spätkapitalismus.
       
 (DIR) Neuer Roman von Marković: Menschen im Spätkapitalismus
       
       „Minihorror“ ist ein urkomischer Roman über den Arbeits- und
       Beziehungsalltag. Die Autorin erhielt 2024 den Belletristik-Preis der
       Leipziger Buchmesse.
       
 (DIR) Götz Kubitschek spricht in Wien: Ein Fall fürs Hausrecht
       
       Die FPÖ-Studentenorganisation hat den neurechten Verleger Götz Kubitschek
       eingeladen. Er darf in Räumen des österreichischen Parlaments sprechen.
       
 (DIR) Tagebuch von der Frankfurter Buchmesse: Zum Abschluss über Liebe sprechen
       
       Bevor die Messe schließt, hat unser Autor viel vor. Er ist bei der
       Hot-List, fällt fast auf das Peng! Kollektiv rein und ist Gast einer
       Sendung.
       
 (DIR) Tagebuch von der Frankfurter Buchmesse: Red mal über Ostdeutschland!
       
       Die deutsche Literatur schaut gern gen Osten, damals wie heute. Auch unser
       Autor tut das, obwohl – oder gerade weil – er nach der Wende geboren wurde.
       
 (DIR) Tagebuch von der Frankfurter Buchmesse: Literaturdinner, wenn Krieg ist
       
       Slavoj Žižek sorgt mit seiner Rede bei der Eröffnungsfeier für Aufregung –
       und Gesprächsstoff. Wichtig ist aber trotzdem, wie man angezogen ist.
       
 (DIR) Tagebuch Frankfurter Buchmesse: Geil, Messe!
       
       Unser Autor ist zum ersten Mal auf der Frankfurter Buchmesse. In diesem
       Tagebuch berichtet er von seinen Eindrücken. Tag 1: Deutscher Buchpreis.
       
 (DIR) Baseballschlägerjahre in Wernigerode: „Das waren die 90er Jahre, ja?“
       
       Kurz nach der Wende war Wernigerode eine rechtsextreme Hochburg. Unser
       Autor wurde 1997 dort geboren und wusste lange nichts über diese Zeit. Eine
       Spurensuche zu den Punks und Nazis von einst.