# taz.de -- Die Zukunft der Männer: Darf er so?
       
       > Das gesellschaftliche Bild von Männlichkeit schadet allen Geschlechtern.
       > Was Männer tun können, um sich davon zu emanzipieren.
       
 (IMG) Bild: Harry Styles auf dem roten Teppich bei den Internationalen Filmfestspielen in Venedig, September 2022
       
       Bruder, die Frauen stehen nicht mehr auf männliche Männer“, sagt ein Typ
       vor dem Späti zu mir. Ich bin mit meinen Friends unterwegs. Wir sind in
       Berlin-Neukölln und es ist kurz nach 22 Uhr. Der Typ sitzt auf einer Bank,
       ist vielleicht Mitte 20, trägt Bart und eine Bomberjacke. Aus seinem
       Tonfall schließe ich, dass er mich zwar als Mann, aber nicht als
       „männlichen“ Mann sieht. Er will Antworten von mir, warum „die Frauen“ ihn
       nicht mehr wollen.
       
       Was [1][ein männlicher Mann für ihn] ist, kann ich mir ausmalen.
       Traditionelle Erwartungen an Männlichkeit zeichnen sich unter anderem durch
       körperliche Stärke, Dominanz, Selbstständigkeit, logisches Denken, einen
       ausgeprägten Sexualtrieb und emotionale Kontrolle aus. Wir alle sind mit
       diesen [2][traditionellen Erwartungen an Männlichkeit] aufgewachsen. Alle
       tragen diese Rollenbilder und Verhaltensweisen in sich, leben sie aus,
       wiederholen und verfestigen sie damit weiter.
       
       Das passiert bereits im Kleinen – unter Brudis. Schon auf dem Schulhof
       tragen Jungen ihre Gefühle vor allem in Form von Gerangel und Gewalt nach
       außen. Sie profilieren sich untereinander anhand ihrer Genitalien oder
       ihrem Sexleben. Andere Menschen werden abgewertet, etwa mit
       Diskriminierungsformen wie Frauen-, Fett- oder Queerfeindlichkeit oder
       Rassismus. So wird der eigene männliche Status gefestigt. Auch ich habe
       mich schon so verhalten. Oft bleiben diese Machtkämpfe unerkannt oder
       werden nicht benannt.
       
       Wie dem Typen am Kiosk geht es vielen Männern: Wir haben das Gefühl, uns
       wird etwas weggenommen – schließlich geht es hier um Macht, Identität und
       Privilegien. Wie gefährlich das männliche Rollenbild auch für Männer selbst
       ist, damit beschäftigen wir uns selten.
       
       ## Das Patriarchat ist schuld
       
       Laut dem Männertherapeuten Björn Süfke wird Jungen bereits im Kindesalter
       der Zugang zu Emotionen abtrainiert: Jungen dürfen nicht weinen und müssen
       „stark“ sein. Nach dem traditionellen Rollenbild dürfen Männer keine Angst
       haben, brauchen keine Hilfe und müssen möglichst risikobereit sein.
       
       Die Folgen sind eine hohe Kriminalitätsrate und eine höhere
       Wahrscheinlichkeit, eine Sucht zu entwickeln, weil Männer eher Drogenkonsum
       riskieren. Unter anderem deswegen ist die Lebenserwartung bei Männern
       niedriger. Wir Männer verkörpern den Aggressor – nicht nur für alle
       anderen, auch für uns selbst. Dafür können wir nichts, alle wurden in das
       Patriarchat hineingeboren.
       
       Dennoch stehen Männer in der dominanten Position und sind verantwortlich,
       das Rollenbild aufzuarbeiten. Aber was braucht eine solche Veränderung? Zum
       einen den Ausbau der körperlichen und emotionalen Zuwendung, um
       traditionelle [3][Männlichkeitsbilder aufzuarbeiten].
       
       Eine Verhaltenstherapie würde allen helfen. Aber auch sogenannte
       Befindlichkeitsrunden im eigenen Umfeld trainieren das Sprechen über
       Gefühle. Regelmäßiges Wiederholen stärkt den Zugang zu den eigenen
       Empfindungen. Ein Freund und ich haben neulich darüber gesprochen, wie
       ungewohnt sich das anfangs anfühlt und wie bereichernd es gleichzeitig ist.
       
       ## Schulfach für Emotionen
       
       Ohne Reflexionsprozesse geht es nicht. Sie beginnen, wenn wir Situationen
       und Dynamiken aktiv beobachten, dokumentieren und hinterfragen. Mir helfen
       da ein kleines schwarzes Notizbuch oder auch die Notizen-App auf meinem
       Handy. Wir müssen Menschen zuhören, die andere Lebensrealitäten haben und
       uns mit ihren Perspektiven auseinandersetzen. So können wir nicht nur
       besser mitfühlen, sondern auch viel über unsere eigene gesellschaftliche
       Position lernen.
       
       Auch auf der Systemebene müsste sich einiges ändern: Beispielsweise sollte
       der Zugang zu Emotionen und Zuwendung bereits in der Schule vermittelt
       werden. Zudem müsste die Gesellschaft das Konkurrenzdenken und das
       Leistungsprinzip hinterfragen.
       
       Ziel ist es, traditionelle Männlichkeit sowie die bestehende
       Geschlechterideologie aufzuarbeiten und so eine tatsächliche
       Gleichberechtigung aller Geschlechter zu gestalten. Denn ganz ehrlich, wer
       hat bei alldem schon Lust, ein „männlicher Mann“ zu sein?
       
       26 Oct 2023
       
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 (DIR) Paul Ninus Naujoks
       
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