# taz.de -- Schlafen in der Bauhaus-Stadt Dessau: Eine Nacht im Weltkulturerbe
       
       > Hier hat das Zimmer keinen Fernseher und kein WLAN, die Toilette ist auf
       > dem Flur. Dafür schläft man aber im Dessauer Bauhaus stilecht historisch.
       
 (IMG) Bild: Alles formschön, sachlich und bauhausschlicht: Übernachten im Weltkulturerbe
       
       DESSAU taz | Delitzsch, Bitterfeld, Wolfen: Ich klemme im Regionalexpress
       zwischen Schüler*innen, Chipstüten, Rucksäcken. Tief hängen Regenwolken
       über den Elbauen, über Schafherden und Chemieparks. In Dessau steige ich
       aus, gehe die Bauhausstraße entlang. Vorbei am Campus der Hochschule
       Anhalt, an rau verputzten Wohnhäusern mit Zahnarztpraxen und
       Ferienwohnungen. Da hinten funkelt sie, die gläserne Fassade des Bauhauses.
       1925 von Walter Gropius entworfen, 1925 bis 1926 erbaut.
       
       Noch immer ist der Himmel grau, aber Wetter und Welt fühlen sich plötzlich
       viel leichter an. Hier, wo Marcel Breuer seine ikonischen Stahlrohrmöbel
       entwarf und Marianne Brandt ihre legendären Pendelleuchten. Hier, im
       Ateliergebäude, werde ich übernachten. Historisch und puristisch: Ohne
       Fernseher, ohne WLAN, ohne Minibar. Und, so informiert die Webseite,
       „[1][mit Etagendusche und Etagen-WC wie zu Bauhauszeiten]“. Ich freue mich
       wie verrückt. Seit Monaten habe ich es geplant: „Wohnen im Weltkulturerbe –
       Schlafen wie die Bauhäusler*innen.“
       
       ## Weiße Wände, bauhausschlicht
       
       Im Designshop – Zitate-Postkarten, Magnete, Klee-Schals und
       Detox-Kochbücher – bekomme ich meinen Schlüssel. Das vierte, oberste
       Geschoss des Atelierhauses war einst den angehenden Architekten
       vorbehalten. Heute gehört es mir – und ein paar anderen Gästen, denen ich
       jedoch nicht begegnen werde. Glastüren, ein schmaler Gang, eine Teeküche,
       daneben mein Zimmer.
       
       Ich öffne die Tür und bin im Glück. Noch nie war rotes Linoleum so
       behaglich. Noch war sein Geruch, der sonst die Erinnerung an schier endlose
       Schultage assoziiert, so warm und wohlig. Mein Zimmer: ein etwa 20
       Quadratmeter großer, heller Raum mit Bett, Waschbecken, einem grau-gelben
       Sideboard, zwei Freischwingern, einem roten Schreibtisch, zwei schwarzen
       Lampen. Leere weiße Wände. Alles ist formschön, sachlich und
       bauhausschlicht.
       
       Gegenüber der Tür ein riesiges Atelierfenster. Da reißt die Wolkendecke auf
       und die Sonne wirft ein Schattengitter an die Wand. Ein Gänsehautmoment aus
       Stahl, Glas und Beton. Einfache geometrische Formen. Minimalismus! Kunst!
       Die Balkontür klemmt. Ich wage einen halben Schritt auf das freischwebende
       Halbrund, dessen historisches Geländer kaum übers Knie reicht. Zwischen
       Herbstlaub und Himmel blicke ich über Dessau, eine „shrinking city“, die
       keine 90.000 Einwohner*innen mehr zählt.
       
       Der Bühnenturm des 1938 eröffneten Anhaltischen Theater ragt aus der
       Stadtsilhouette, ein Kirchturm, ein Kran und immer wieder Plattenbauten.
       Mit einem Durchschnittsalter von 50,6 Jahren ist Dessau rekordverdächtig
       überaltert, lese ich später und auch, dass die Stadt von manchen
       „Depressau“ genannt wird. Das Umweltbundesamt hat hier seinen Sitz.
       Außerdem: das Technikmuseum Hugo Junkers, das klassizistische Schloss
       Georgium und das Gartenreich Dessau-Wörlitz, eine Parkanlage, die zu den
       schönsten der Welt zählen soll.
       
       Schöner als das Bauhausensemble kann sie nicht sein. Schon gar nicht
       schöner als die Siedlung der Meisterhäuser, die ich im golden
       aufschimmernden Herbstlicht besuche. Ist das noch Sachsen-Anhalt oder schon
       Südfrankreich? Zart tanzen die Schatten der Kiefern über die weiß
       verputzten Fassaden. „Weiß als Farbe der Ruhe und Reinheit“, erklärt Ellie.
       Der Impuls von Gropius.
       
       Ellie leitet eine der Führungen. Ihre Stimme ist eindringlich, ihre
       Expertise unerschütterlich. Ein todesmutiger Teilnehmer fordert sie dennoch
       zum Wissensduell rund um die unterschiedlichen Verarbeitungen des B 3, B 9,
       den B 55 und den S 32 N. Eine Art „Schiffe versenken“ mit
       Marcel-Breuer-Entwürfen.
       
       ## Alles Bauhaus bis zum Salat
       
       Kaum lieblich ist das Stadtzentrum. Immerhin: Zwischen Rathaus-Center und
       Marienkirche laufe ich Dieter Hallervorden – ein Kind der Stadt – über den
       Weg, der die Kirche seit gut einem Jahr als Theaterspielstätte belebt. Zum
       Abendessen bestelle ich in einem Restaurant einen „Bauhaus-Salat“. Warum
       der so heiße, frage ich den Kellner völlig gropiusverstrahlt und heimlich
       auf einen kulinarischen Design-Sinn hoffend. Nachdenklich betrachtet der
       Kellner den Teller. „Der Käse fehlt noch“, murmelt er und verschwindet in
       der Küche.
       
       Zurück im Atelierhaus schlüpfe ich unter mein Bettlaken, ziehe die
       kuschelige Wolldecke bis ans Kinn. Aus dem Nachbarzimmer dröhnt lautes
       Schnarchen. Egal. Hier ist es wunderherrlich. Ich schlafe kurz und tief. Am
       nächsten Morgen wirft das Atelierfenster erneut seinen Schatten an die
       Wand. Da ist er wieder: Der Gänsehautmoment aus Stahl, Glas und Beton.
       Einfache geometrische Formen. Minimalismus! Kunst! Beseelt starte ich in
       den Tag, mit einer Dusche im Etagenbad.
       
       28 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.bauhaus-dessau.de/de/service/uebernachten.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Ullmann
       
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