# taz.de -- Rücktritt von Annette Kurschus: Der Glaube fehlt
       
       > Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche wollte die
       > Missbrauchs-Aufarbeitung selbst angehen. Jetzt fällt sie über dieses
       > Thema.
       
 (IMG) Bild: Annette Kurschus ist als EKD-Chefin zurückgetreten
       
       Es ist ein Kreuz: Gerade einmal zwei Jahre war Annette Kurschus
       Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Jetzt ist
       sie mit sofortiger Wirkung zurückgetreten – nicht nur von diesem Amt,
       sondern auch als Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen. Auslöser
       für diesen Schritt ist der Vorwurf, einen Verdachtsfall sexualisierter
       Gewalt vertuscht zu haben.
       
       Es ist äußerst müßig, darüber zu spekulieren, was Kurschus wann wusste, ob
       ihr diese Causa überhaupt zur Kenntnis gelangt ist und, falls ja, sie
       infolgedessen eine Unterlassungssünde begangen hätte.
       
       Die Frage ist vielmehr, ob sie in dieser Situation hätte anders entscheiden
       können. Die Antwort lautet: Wohl kaum. Zum einen ist sie bereits jetzt
       massiv in ihrer Glaubwürdigkeit beschädigt – für die höchste Repräsentantin
       der EKD eine schwere Bürde, die ihre Handlungsspielräume massiv
       einschränkt.
       
       Zum anderen hat sie die Aufarbeitung von [1][„Missbrauch“] zur
       Chef*innensache erklärt. Wer einen solch hohen moralischen Anspruch
       formuliert, muss sich auch daran messen lassen – eine Erkenntnis, die
       vielen Politiker*innen, so überhaupt jemals vorhanden, schon längst
       abhanden gekommen ist.
       
       Dessen ungeachtet entbehrt [2][Kurschus’ Abgang], der einem kleinen
       Erdbeben gleichkommt, nicht einer gewissen Tragik. Schließlich war ihre
       Wahl bei vielen Lutheraner*innen auch mit Hoffnungen auf Reformen in
       der EKD verbunden, die als [3][gewichtige und ernst zu nehmende Stimme] in
       diesen von Krisen und Kriegen gezeichneten Zeiten vernehmbar sein sollte.
       
       ## Es geht an die Grundfesten der Kirche
       
       Welche Auswirkungen die jüngsten Ereignisse haben, ist nicht abzusehen.
       Tatsache ist jedoch, dass der EKD (wie auch der katholischen Kirche) immer
       mehr Mitglieder davonlaufen. Es gibt offensichtlich zu viele Baustellen –
       das Thema „Missbrauch“ ist nur eine davon, wenn auch eine hoch sensible.
       
       Es geht an die Grundfesten der Institution Kirche – schon seit Langem. Bei
       der Aufarbeitung und Bekämpfung sexualisierter Gewalt habe es Erfolge
       gegeben, heißt es in der Rücktrittserklärung von Kurschus. Welche Erfolge
       genau das sein sollen, erschließt sich nicht so recht.
       
       Von außen betrachtet drängt sich vielmehr der Eindruck auf, die Kirche habe
       nach wie vor ein strukturelles Problem. Der 2020 gegründete Beirat von
       Missbrauchsbetroffenen war ein Flop. Ob eine entsprechende
       Expert*innenstudie, die bis Januar 2024 vorliegen soll, zu einem Motor für
       Aufklärung und Aufarbeitung wird – unklar. Dasselbe gilt für den/die
       Nachfolger*in von Kurschus. Man will es sich wünschen – allein der
       Glaube fehlt.
       
       20 Nov 2023
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Oertel
       
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