# taz.de -- Aufklärung in Benin: Über Sex sprechen
       
       > In Benin sind Verhütung und Sexualität Tabuthemen. Die Zahl an
       > Teenagerschwangerschaften ist hoch. Die 24-jährige Hermione Quenum will
       > das Schweigen brechen.
       
       COTONOU, BOHICON UND PARAKOU taz | Die Metalltür des kleinen weißen
       Containers quietscht, als Hermione Quenum sie öffnet. In roter Schrift
       steht „Oreilles Attentives“ darauf, was „aufmerksame Ohren“ bedeutet. Der
       Raum ist nur wenige Quadratmeter groß. In der Mitte steht ein Holztisch mit
       einer karierten Decke, um ihn herum drei Stühle. Auf den Tisch stellt die
       24-Jährige Plastikboxen mit Perlen in Rot, Rosa, Gelb und Weiß. Sie legt
       Scheren und Bindfäden hinzu sowie Informationsbroschüren und Grafiken. Eine
       ist besonders wichtig: In verschiedenen Farben zeigt sie den monatlichen
       Zyklus. Daneben steht geschrieben, wann die fruchtbaren Tage sind und wann
       Geschlechtsverkehr nicht zu einer Schwangerschaft führt.
       
       Die Schüler:innen können kommen. Der Container steht etwas versteckt auf
       dem Gelände der weiterführenden Schule CEG la Verdure in der Stadt Calavi,
       die an Benins Hafenmetropole Cotonou grenzt. Das hat den Vorteil, dass
       nicht gleich hunderte andere sehen, wer ihn betritt, um mit den
       Berater:innen der nichtstaatlichen Organisation Apessa über Sexualität,
       Verhütung und Liebe zu sprechen.
       
       Die NGO betreibt die Aufklärungskioske an verschiedenen
       Bildungseinrichtungen im Süden Benins. Heute übernimmt Hermione Quenum die
       Gespräche. Die ersten Interessierten lassen nicht lange auf sich warten.
       Die 19-jährige Syanath Boukart und die 17-jährige Hanniella Assah setzen
       sich zu ihr. Hermione Quenum fragt sie, ob ihre Regelblutung regelmäßig
       kommt, und erklärt, wie sie den Eisprung berechnen.
       
       In Benin, wo rund 14 Millionen Menschen leben, gibt es gerade eine
       großangelegte Kampagne für Kondome. Plakate werben für geschützten Sex, auf
       einem ist ein junges Paar auf einem Moped zu sehen. Auch in Supermärkten
       liegen Kondome verschiedener Marken sichtbar neben der Kasse aus. Apotheken
       verkaufen die Pille ohne Rezept. Auch die „Pille danach“ ist frei
       verkäuflich.
       
       ## Illegale Abbrüche eindämmen
       
       Benin verabschiedete schon 2003 ein Gesetz, in dem es heißt, dass jede:r
       das Recht hat, eine passende Verhütungsmethode auszuwählen. Zeitgleich
       kündigte die Regierung an, den Zugang zu verbessern. In der ganzen Region
       machte vor zwei Jahren die [1][Liberalisierung des Abtreibungsrechts
       Schlagzeilen].
       
       Seitdem können Frauen in ausgewählten Kliniken nicht nur dann einen
       Schwangerschaftsabbruch vornehmen, wenn ihr Leben oder das des ungeborenen
       Kindes unmittelbar in Gefahr ist oder sie vergewaltigt wurden. Auch
       psychische Probleme sowie die Angst, sich nicht um das Kind kümmern zu
       können, sind Indikatoren. Ziel war es, die hohe Zahl an „heimlichen,
       illegalen Abbrüchen einzudämmen“. Dabei sollen mindestens 200 Frauen
       jährlich gestorben sein.
       
       Kritiker:innen wie die katholische Bischofskonferenz setzten sich nicht
       durch. Das Gesetz gilt in Westafrika als beispielhaft. Allerdings gibt es
       ein starkes Gefälle zwischen Stadt und Land. Wer auf dem Dorf lebt, hat
       häufig nicht einmal genügend Geld, um im Krankheitsfall in die nächste
       Kleinstadt zu fahren. Auch ist die medizinische Ausstattung dort oft
       mangelhaft.
       
       Und nach wie vor ist [2][Sexualität in der Gesellschaft tabuisiert].
       Hermione Quenum hat die Kisten geöffnet und nimmt die kleinen Plastikperlen
       in die Hand. Sie fragt die Schülerinnen, an wie vielen Tagen sie ihre
       Regelblutung haben. Für jeden Tag gibt sie ihnen eine rote Perle. Diese
       werden zwischen jene in Weiß gefädelt.
       
       Hanniella Assah blickt kurz auf. „Im Schnitt komme ich dreimal im Monat
       her“, erzählt sie. Für sie ist es der einzige Ort, an dem sie Fragen zur
       Sexualität stellen kann. „Bei meinen Eltern ist das nicht möglich. So etwas
       machen wir nicht. Wenn ich es doch machen würde, würde es heißen: Du bist
       verdorben.“ Die Eltern würden vermuten, dass die Schülerin
       Geschlechtsverkehr hatte und möglicherweise schwanger sei.
       
       Bei Hermione Quenum ist das anders. Sie trägt Jeans, ein weißes T-Shirt und
       ermuntert die Jugendlichen, Fragen zu stellen. Auch fordert sie immer
       wieder dazu auf, ihre Erklärungen zu wiederholen. Sie will sicher gehen,
       dass die Informationen verstanden werden. Studiert hat sie
       Erziehungswissenschaften. Ihr Ziel war es, für eine nichtstaatliche
       Organisation zu arbeiten.
       
       Mit dem Aufklärungsunterricht identifiziert sie sich. „Ich war schließlich
       auch mal eine Jugendliche und erinnere mich gut: Sexualität ist ein Tabu
       gewesen.“ Hermione Quenum fand es frustrierend, mit niemandem sprechen zu
       können. „Ich habe Freundinnen gefragt, gelesen, im Internet geschaut. Aber
       nicht immer waren alle Informationen korrekt. Manchmal ist man ziemlich
       verloren.“
       
       Apessa wurde im Jahr 2013 von Christelle Assogba gegründet. Damals
       [3][stand HIV-Prävention im Vordergrund]. „Ich merkte allerdings, dass es
       so viele Tabus um Sexualität gibt, und entschied, dass wir darüber sprechen
       müssen. Dafür war es nötig, geschützte Räume zu schaffen.“ Die Schulkioske
       entstanden. Das Modell nutzen auch andere NGOs, etwa im Nachbarland Togo.
       Christel Assogba wollte aber noch mehr: Sexualkunde sollte Teil des
       Schulprogramms werden. „Die Jugendlichen sind die Erwachsenen von morgen.
       Wenn wir eine moderne, sachkundige Nation haben wollen, dann muss diese
       auch über alles Bescheid wissen“, lautet ihre Position.
       
       Für diesen Plan hat sie Epiphane Azone gewinnen können. Er ist der
       Präsident der Elternvertreter:innen von Benin. Den eher
       ungewöhnlichen Plan, im Klassenzimmer über Sexualität zu sprechen, hat er
       schnell unterstützt. „Nichtstaatliche Organisationen haben die Relevanz des
       Themas entdeckt. Seit einigen Jahren spricht auch die Regierung darüber.“
       
       ## In den Nachbrländern ist es anders
       
       Ein eigenes Schulfach ist die „Sexuelle Gesundheit“ nicht geworden. An den
       ersten Schulen im Land wird aber im Französischunterricht sowie in der
       Naturwissenschaftskunde darüber gesprochen. Landesweit sind dafür
       Lehrer:innen ausgebildet worden. Die Kritik hält sich in Grenzen. In
       Nachbarländern war das anders.
       
       In Ghana sagten beispielsweise Kirchenvertreter:innen, Sexualkunde würde
       Homosexualität fördern. Auch [4][in Nigeria gab es Forderungen, nicht im
       Unterricht über Sexualität] zu sprechen. Mitunter heißt es auch: Der
       globale Norden wolle Einfluss nehmen. Für Sexualkunde setzt sich auch die
       Unesco ein. Laut der Organisation wissen südlich der Sahara nur 37 Prozent
       der jungen Menschen, wie HIV übertragen wird und wie man sich davor
       schützt. Sie betont auch: „Frühe Heirat sowie zeitige und ungewollte
       Schwangerschaften stellen weltweit ein Problem für die Gesundheit und
       Bildung von Mädchen dar.“
       
       Das kleine Armband von Hanniella Assah ist fertig, die Schülerin streift es
       über die Hand. „Ich habe Angst, schwanger zu werden. So etwas wollen unsere
       Eltern gar nicht sehen. Wir sind doch noch gar nicht erwachsen“, sagt sie.
       Eine Teenagerschwangerschaft bedeutet für viele Mädchen das Ende ihrer
       beruflichen Karriere, bevor diese überhaupt angefangen hat. Dass der Vater
       regelmäßig Unterhalt für das Kind zahlt, lässt sich kaum durchsetzen.
       
       In einigen westafrikanischen Ländern wurden schwangere Schülerinnen sogar
       aus den Klassenzimmern verscheucht. In Sierra Leone galt ein Schulverbot
       für schwangere Mädchen fünf Jahre lang, bis der Gerichtshof der
       Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) im Jahr 2020
       feststellte, dass die Regierung das Recht auf Bildung verletze. Entstanden
       war das Verbot ausgerechnet während der Ebola-Epidemie. An dem Virus
       starben offiziellen Angaben zufolge knapp 4.000 Menschen. Das öffentliche
       Leben stand lange still, worunter Mädchen gleich mehrfach litten: Schulen
       blieben lange geschlossen. Das Risiko, minderjährig verheiratet zu werden,
       stieg ebenso wie die Gefahr von sexuellem Missbrauch.
       
       Um den Aufklärungskiosk in Calavi stehen auch ein paar Jungs herum, die das
       Beratungsangebot ebenfalls nutzen. Darunter ist der 19-jährige Maël
       Gangnon. „Uns geht es nicht anders: Auch wir haben Angst davor, dass ein
       Mädchen schwanger wird.“ Seine Freunde nicken. Das traditionelle
       Familienbild spielt eine entscheidende Rolle. „Bevor ich heirate und Kinder
       habe, muss ich einen Beruf haben, damit ich für eine Familie sorgen kann.“
       
       Verlässliche Zahlen über Teenagerschwangerschaften gibt es nicht. In einer
       vor zehn Jahren veröffentlichten Untersuchung von Unicef und dem nationalen
       Institut für Statistik und Wirtschaftsanalyse heißt es, dass jedes dritte
       Mädchen vor der Volljährigkeit schwanger geworden ist.
       
       Zwischen 2016 und 2020 wurden vom Ministerium für weiterführende,
       technische sowie berufliche Bildung mehr als 9.000 Fälle von
       Schwangerschaften an öffentlichen und privaten Schulen registriert. Die
       Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. Häufig bleiben die Betroffenen
       einfach dem Schulunterricht fern, ohne dass nach den Gründen gefragt wird.
       
       Die wirtschaftlichen Konsequenzen sind enorm. Minderjährige Mütter haben
       kaum Chancen auf eine Berufsausbildung, für die üblicherweise die Lehrlinge
       eine Gebühr an die Ausbilder:innen zahlen. Ein Studium aufzunehmen und
       abzuschließen, ist noch schwieriger.
       
       Dabei will der [5][2016 zum Präsidenten gewählte Patrice Talon] aus Benin
       einen modernen Staat machen. Das Programm „Bénin Révélé“ soll der
       ökonomische Wendepunkt werden. Nach Angaben der Weltbank lag das
       Wirtschaftswachstum 2022 bei 6,3 Prozent und die Inflation im Juli bei 3,9
       Prozent. Talon setzt auf Industrialisierung, wozu die Sonderwirtschaftszone
       45 Kilometer nördlich von Cotonou beitragen soll. Auf politischer Ebene
       gilt Benin nach Bewertung der nichtstaatlichen Organisation Freedom House
       allerdings nur noch als „teilweise frei“. In den vergangenen Jahren wurden
       mehrere Oppositionspolitiker:innen zu langjährigen Haftstrafen
       verurteilt.
       
       Ein paar Tage später ist die Aufklärerin Hermione Quenum mit dem Auto von
       Cotonou in das nördlich gelegene Bohicon unterwegs. Die Stadt mit rund
       150.000 Einwohnern ist deutlich ländlicher als die Wirtschaftsmetropole
       Cotonou. Die Autofahrt dauert rund drei Stunden. Hermione hat wieder ihre
       Kisten mit den Perlen dabei und zwei Nähmaschinen. Ihr Ziel: der
       „Friseursalon Anna“, den Anne-Marie Zinzindohoue vor fast 30 Jahren
       aufgebaut hat.
       
       ## Wir nähen uns eine Binde
       
       Im Salon angekommen, geht Hermione Quenum in einen kleinen Nebenraum. An
       den Wänden hängen hunderte künstliche Haarsträhnen in zahlreichen Blond-,
       Braun- und Schwarztönen. Gelockt, gewellt, glatt, die Kundinnen haben eine
       große Auswahl für ihre geflochtenen Zöpfe. Hermione bekommt einen Tisch,
       rund 20 junge Frauen in knallpinken T-Shirts mit dem Namen des Salons
       drängeln sich mit Stühlen rundherum.
       
       Auch hier [6][erzählt Quenum zunächst über den Zyklus]. Die angehenden
       Friseurinnen sind zwischen 16 und 23 Jahre alt, trotzdem ist es für viele
       das erste Gespräch über das Tabuthema. Manchen ist es peinlich, sie
       kichern, gucken verschämt zu Boden, andere stellen viele Fragen. Wie auch
       die 22-jährige Elmine Rissèle Alladaye.
       
       Seit einem halben Jahr macht sie hier ihre Ausbildung. Sie weiß jetzt, wie
       sie ihren Zyklus berechnen kann, in der Schule hat sie das nicht gelernt.
       Mit ihrem Freund spricht sie nicht über das Thema, um die Verhütung kümmert
       sie sich selbst. „Ich muss nicht mit ihm darüber reden, denn er weiß schon,
       dass ich geschützt bin, also ist alles in Ordnung.“ Sie nutzt die
       hormonelle Dreimonatsspritze, ein Verhütungsmittel, bei dem schwere
       Nebenwirkungen auftreten können, in Deutschland wird sie selten
       verschrieben. In vielen afrikanischen Ländern wird sie deutlich häufiger
       angeboten.
       
       Hermione Quenum erklärt geduldig, manchmal wechselt sie von Französisch in
       die Regionalsprache Fon. Sie will, dass wirklich jede versteht, was sie
       sagt. Schließlich kann ihre Zukunft von dem Wissen abhängen. Die
       Salonbesitzerin Anne-Marie Zinzindohoue guckt kurz in das Hinterzimmer
       herein. Sie arbeitet seit fünf Jahren mit der Organisation Apessa zusammen.
       Derzeit machen 43 junge Frauen ihre Ausbildung bei ihr. „Früher gab es
       jedes Jahr mindestens vier Schwangerschaften; seit wir mit dem Projekt
       begonnen haben, keine mehr. Für mich ist es wichtig, dass sie ihre
       Ausbildung abschließen, damit sie später einen Beruf finden, das ist sehr,
       sehr wichtig.“ Dafür lässt sie die Aufklärungsarbeit auch während der
       Arbeitszeit stattfinden.
       
       ## Ein Tabu fördert Klischees
       
       In der Zwischenzeit hat Hermione Quenum die beiden Nähmaschinen aufgebaut
       und zahlreiche Stoffe auf dem Tisch verteilt. Sie zeigt eine selbstgenähte
       Binde, die sie jetzt mit den Frauen anfertigen will. Auch Hygieneprodukte
       sind für viele neu. In den Supermärkten sind zwar Binden verschiedener
       Marken erhältlich, doch die Preise der Einwegprodukte sind so hoch, kaum
       eine Frau kann sich sie leisten. In Benin nutzen die meisten alte
       Stoffreste während der Periode.
       
       Die waschbaren Mehrwegbinden sind nicht nur umweltschonend, wie die
       angehenden Friseurinnen erfahren, sondern auch sehr hygienisch, dank der
       verschiedenen Stofflagen. Jede schnappt sich eine Schere und beginnt nach
       der Vorlage die Bindenteile auszuschneiden. Ein bisschen ist die
       Erleichterung zu spüren, dass das Tabuthema Sexualität nun erst einmal
       abgeschlossen ist.
       
       Schneiden, ausmessen, zusammenlegen und mit Nadeln sichern. Dann geht’s ans
       Nähen. Hermione zeigt, wie es geht: Schön gleichmäßig an den Seiten nähen,
       dann die Rundungen. Viele der jungen Frauen sind geschickt beim Nähen. Sie
       helfen sich gegenseitig. Am Schluss sind nicht alle Binden fertig geworden,
       trotzdem muss die 24-jährige Mitarbeiterin von Apessa ihre Nähmaschinen
       wieder einpacken. Sie rät den Mädchen, die restlichen Nähte beim Schneider
       machen zu lassen. Selbst das ist günstiger, als Einwegbinden zu kaufen.
       
       Für Hermione Quenum war es ein langer Tag. Rund sechs Stunden hat sie in
       dem Friseursalon verbracht, die Fahrt nach Hause dauert noch einmal drei
       Stunden. Doch obwohl der Tag sehr anstrengend war, bleibt sie fröhlich.
       „Ich liebe meinen Job. Ich erkläre gerne Dinge, die mich begeistern, und
       mache das mit Leidenschaft, weil ich weiß dass ich etwas zurückgeben kann.“
       
       Eine so intensive und öffentliche Debatte über Verhütung, Regelblutung und
       Sexualität wünscht sich auch Hebamme Lahanatou Bio Mama, die in der Stadt
       Parakou im Norden Benins lebt. Die Stadt ist muslimisch geprägt. Menschen
       leben von der Landwirtschaft. Frauen verkaufen auf Märkten Gemüse und Obst
       sowie Gegenstände des alltäglichen Bedarfs: Zahnpasta, Seife, Waschmittel,
       manchmal Plastikschüsseln. Doch manche haben nicht mal 1.000 CFA –
       umgerechnet 1,50 Euro – übrig. So viel kostet die Dreimonatsspritze, wie im
       Wartezimmer ihrer Privatklinik „Beau Bebe“, einer Mischung aus
       gynäkologischer und Kinderarztpraxis, auf der Preisliste zu lesen ist.
       
       Lahanatou Bio Mama kämpft seit Jahrzehnten für Familienplanung und sexuelle
       Aufklärung. In Benin ist die Geburtenrate in den vergangenen Jahren zwar
       deutlich gesunken. Trotzdem bekommt jede Frau statistisch gesehen weiterhin
       5,3 Kinder, und der Bevölkerungsanstieg ist hoch. Benin liegt im weltweiten
       auf Platz sieben und wächst jährlich um 3,3 Prozent. Der Hebamme geht es
       bei ihrer Arbeit rund um die geplante Familie aber nicht um Statistiken:
       „Es geht um die Gesundheit von Mutter und Kind.“
       
       Am Samstagmorgen ist das Wartezimmer leer. Eigentlich hätte eine Patientin
       einen Termin für ihre Dreimontagsspritze gehabt. Doch sie hat ihn nicht
       einmal abgesagt, was häufiger passiert. „Frauen schämen sich, weil ihnen
       das Geld fehlt.“
       
       Eine Patientin kommt dann doch noch. Angelle Adjedemim trägt ihre
       eineinhalbjährige Tochter Oussomiatou auf dem Rücken, während der
       fünfjährige Sohn zu Hause geblieben ist. Auch ihr Termin ist längst
       überfällig. Dabei ist ihr eins klar. Im Moment möchte sie nicht schwanger
       werden. Sie sitzt der Hebamme gegenüber und erklärt: „Wenn man schnell nach
       der Geburt wieder schwanger wird, birgt das Probleme. Man kann das Kind
       nicht richtig stillen.“
       
       Vor allem hat sie aber Angst, im Moment nicht genügend Geld für ein
       weiteres Kind zu haben. In Benin sind die staatlichen Schulen zwar
       gebührenfrei. Doch wer es sich leisten kann, schickt den Nachwuchs auf eine
       Privatschule, die Geld kostet. Auch Krankheitsfälle stellen Familien vor
       Herausforderungen. Eine Krankenversicherung haben höchstens Menschen, die
       angestellt sind. Laut Weltbank sind rund 90 Prozent im informellen Sektor
       beschäftigt. „Wir wollen unseren Kindern auch etwas bieten können“, sagt
       Adjedemim. Zwei bis drei weitere sollen es trotzdem noch werden.
       
       Dass Sexualität und Verhütung so lange Tabuthemen geblieben sind, begründet
       Lahanatou Bio Mama mit Vorurteilen und Klischees. Als sie in den 1990er
       Jahren anfing, nicht nur in Parakou, sondern auch in den Dörfern darüber zu
       sprechen, sagten Männer: „Wenn wir unseren Frauen Verhütung erlauben,
       werden sie untreu. Wir können nicht mehr kontrollieren, von wem die Kinder
       stammen“, erinnert sie sich. Die Vorurteile werden weniger. Doch bis heute
       haben junge Frauen Schwierigkeiten, wenn sie Kondome kaufen, obwohl diese
       überall verfügbar sind. Sie werden als Prostituierte abgestempelt.
       
       Über Sexualität zu sprechen sei richtig, sagt Hebamme Lahanatou Bio Mama.
       Eine generelle Verbesserung bringt aber nur eins: „Verhütungsmethoden
       müssen endlich kostenfrei werden, in privaten wie öffentlichen
       Krankenhäusern und Kliniken.“
       
       Hinweis: Dieser Artikel ist im [7][Rahmen des Medienpreises
       „Weltbevölkerung“ der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW)] entstanden.
       Die DSW finanziert Recherchereisen nach Afrika südlich der Sahara zu den
       Themen Bevölkerungsentwicklung, globale Gesundheit und
       Geschlechter(un)gerechtigkeit. 
       
       Andrea Wojtkowiak und Katrin Gänsler [8][gehören zu den diesjährigen
       Preisträger:innen]. Sie wurden für ihre hier stehende Arbeit zu
       Sexualität, Aufklärung, Familienplanung in Benin ausgezeichnet.
       
       24 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [8] https://www.dsw.org/medienpreis/praemierte-beitraege/
       
       ## AUTOREN
       
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