# taz.de -- Polen nach den Wahlen: Mühsam zurück zum Rechtsstaat
       
       > In Polen wirken die PiS-Nationalpopulisten auch nach dem Wahlsieg der
       > liberaleren Koalition weiter. Sie besetzen Schlüsselpositionen im ganzen
       > Land.
       
 (IMG) Bild: PiS-Parteisoldat auf absteigendem Ast: Andrzej Duda
       
       WARSCHAU taz | Langsam werden Polens Wähler ungeduldig. Seit den
       Parlamentswahlen am 15. Oktober warten sie auf einen politischen Neuanfang.
       Die mit großer Mehrheit gewählte Dreiparteienkoalition aus der
       liberal-konservativen BürgerKoalition (KO), dem christdemokratischen
       Dritten Weg und der Neuen Linken steht seit zwei Monaten in den
       Startlöchern. Der Koalitionsvertrag ist unterschrieben, die künftige
       Regierung unter Donald Tusk von der KO steht. Die ersten drei
       parlamentarischen Untersuchungsausschüsse könnten schon morgen ihre Arbeit
       aufnehmen und mit der Aufklärung der Staatsaffären der letzten beiden
       Legislaturperioden beginnen.
       
       Doch den Wahlsiegern steht eine [1][Phalanx von rechten Nationalpopulisten]
       gegenüber, die den Machtwechsel so lange wie möglich hinauszögern – und der
       neuen Koalition wohl auch in Zukunft Steine in den Weg werfen werden.
       
       Zwar wurde die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) abgewählt, doch deren
       nationalpopulistische Ideologie ist weder besiegt noch verschwunden. So
       spaltet der PiS-Parteisender TVP, der einstige öffentlich-rechtliche
       Rundfunk, bis heute die Gesellschaft auf: In wahre Polen einerseits und
       verkappte Deutsche oder Russen andererseits, in Patrioten auf der einen
       Seite und in angebliche Volksverräter oder kommunistische Stasi-Spitzel auf
       der anderen.
       
       Für Jarosław Kaczyński, den nach wie vor mächtigen Parteichef der PiS,
       verkörpert der Liberalkonservative Donald Tusk das Böse schlechthin. 2010,
       als Lech Kaczyński, der Zwillingsbruder von Jarosław und damalige Präsident
       Polens, bei einer [2][Flugzeugkatastrophe] im russischen Smolensk ums Leben
       kam, ließ Tusk als Premier die Absturzursache durch Experten untersuchen.
       Kaczyński hingegen beschuldigt bis heute den russischen Machthaber Wladimir
       Putin, einen Anschlag auf Polens Präsidenten verübt zu haben – obwohl weder
       er noch die PiS-Untersuchungskommission einen belastbaren Beweis für diese
       Anschuldigung vorlegen konnten. Der abgrundtiefe Hass Kaczyńskis und vieler
       PiS-Anhänger auf die „Feinde im Innern“ hat hier seinen Ursprung.
       
       ## Gerichte in der Hand der PiS
       
       Andrzej Duda, der ebenfalls aus der PiS stammt und auf dessen Dienste sich
       die Partei immer verlassen konnte, setzte sich nach den Parlamentswahlen im
       Oktober an die Spitze der Nationalpopulisten. Indem er Mateusz Morawiecki,
       den Ex-Premier und PiS-Wahlverlierer von 2023, mit der chancenlosen
       Regierungsbildung beauftragte, zeigte er seinen Landsleuten wie auch der
       ganzen Welt, dass er endgültig den Schritt vom „Präsidenten aller Polen“
       zum Parteisoldaten gegangen ist. Duda drohte sogar schon öffentlich, jedes
       Gesetz zu blockieren, das die „Reformen“ der letzten acht Jahre rückgängig
       machen soll.
       
       Ohne die [3][Wiederherstellung von Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit]
       wird Polen aber ein illiberales Regime bleiben, in dem die Macht nicht von
       Parlament und Regierung ausgeht, sondern von Institutionen, in denen auch
       heute mehrheitlich PiS-Loyalisten sitzen.
       
       Polens Verfassungstribunal ist so ein Beispiel. Die PiS hatte mit vielen
       Gesetzen aus dem einst unabhängigen Organ einen Erfüllungsgehilfen der
       PiS-Parteizentrale gemacht. Es ist heute eine Fassade und fällt auch kaum
       noch Urteile. Das könnte sich dann ändern, wenn die PiS-Zentrale es für
       richtig hält, Gesetze der parlamentarischen Minderheit als
       „verfassungswidrig“ zu verhindern.
       
       Dass Präsident Duda, der mit seiner Unterschrift unter die PiS-Gesetze den
       Umbau des Tribunals mitgetragen hat, nun einen Sinneswandel vollziehen und
       dem Verfassungstribunal wieder zu seiner Unabhängigkeit verhelfen wird, ist
       zu bezweifeln. Ähnliches gilt für das einst renommierte Oberste
       Berufungsgericht, das kurz davor stand, zu einem Organ politischer Justiz
       zu werden.
       
       ## Eine Geduldsprobe für die Bürger Polens
       
       Aber auch die Gerichte der 16 Wojewodschaften (Bezirke) können nicht mehr
       als politisch unabhängig angesehen werden. Justizminister Zbigniew Ziobro
       hatte sich per Gesetz eine sechsmonatige Vollmacht geben lassen, um alle
       Gerichtspräsidenten durch PiS-Loyalisten zu ersetzen, die dann wiederum die
       gesamte Gerichtshierarchie neu formieren sollten.
       
       Ausgerechnet beim Landesjustizrat (KRS), dem Kernproblem des
       umstrukturierten Gerichtswesens Polens, gibt es jedoch Aussicht auf eine
       schnelle Entpolitisierung: Sobald die von Duda ernannte Regierung am 11.
       Dezember an der Vertrauensabstimmung im Sejm, dem polnischen
       Abgeordnetenhaus, gescheitert sein wird, kann die demokratische Mehrheit
       Donald Tusk zum neuen Premier wählen. Dieser wird dann auch gleich sein
       Kabinett und das Regierungsprogramm für die nächsten vier Jahre vorstellen.
       
       Nach der Vereidigung durch Präsident Duda am 13. Dezember kann die neue
       Koalition die von der PiS geschaffenen Strukturen nutzen und zunächst
       eigene Leute in den Landesjustizrat entsenden. Das ändert zwar nicht den
       politischen Charakter dieser Institution, ermöglicht es aber der
       Tusk-Koalition, die Weichen neu zu stellen. Spätestens in anderthalb
       Jahren, wenn Dudas zweite Amtszeit endet und neue Wahlen anstehen, könnte
       der Landesjustizrat wieder zu einem unabhängigen Selbstverwaltungsorgan der
       Judikative werden und alle Richter-Ernennungen oder -versetzungen in
       eigener Regie vollziehen.
       
       Die Geduldsprobe der polnischen Bürger könnte verkürzt werden. Doch dazu
       müsste sich Duda auf sein einstiges Versprechen besinnen – und wieder zum
       „Präsidenten aller Polen“ werden.
       
       3 Dec 2023
       
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       geklagt.