# taz.de -- Panel zu Istanbul-Konvention: Das Private ist politisch
       
       > Die Istanbul-Konvention gilt der Bekämpfung geschlechtsspezifischer
       > Gewalt. Feministische Projekte beleuchten Potentiale des Übereinkommens.
       
 (IMG) Bild: Protestaktion nach dem Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention
       
       BERLIN taz | Es ist eine überwältigende Vielfalt an Emotionen, die den
       kleinen Kellerraum in Prenzlauer Berg an diesem Donnerstagabend
       durchströmt. Es ist Ärger und Frustration, Ohnmacht, aber auch Stolz und
       Stärke. Schließlich ist es ein Gefühl der Verbundenheit – ein unheimlich
       kraftvolles Gefühl der Verbundenheit der Unterdrückten.
       
       Zuständig für das Gefühlschaos sind die feministischen und
       bildungspolitischen Projekte Die Frauenkreise und Space2groW. In familiärer
       Stimmung wird an diesem Vorabend des Internationalen Tages gegen Gewalt
       gegen Frauen in einer Panel-Diskussion über das Europarat-Abkommen zur
       Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen diskutiert. Unter der Überschrift
       „Istanbul-Konvention: Was steckt da alles drin?“ untersuchen sie, was das
       Abkommen zu bieten hat. Zu Gast sind die frauenpolitische Sprecherin der
       Grünen, Bahar Haghanipour, und die ehemalige Staatssekretärin für Vielfalt
       und Antidiskriminierung, Saraya Gomis.
       
       „Warum müssen wir eigentlich über Gewalt sprechen?“, eröffnet Niki Drakos,
       die Moderatorin des Abends, die Gesprächsrunde. „Ja, ist doch eigentlich
       alles super!“, witzelt Haghanipour. Das ist es beim besten Willen nicht.
       Jeden Tag versucht ein Mann in Deutschland seine Partnerin oder
       Ex-Partnerin zu töten. [1][Und jeden dritten Tag gelingt es ihm]. Um dieser
       Gewalt ein Ende zu setzen, ratifizierte Deutschland 2017 die
       [2][Istanbul-Konvention]. 2018 trat sie in Kraft.
       
       ## Gesellschaftliches Umdenken gefordert
       
       Eingeleitet wird der Abend mit der Betonung der positiven Aspekte des
       Abkommens. Es unterscheide sich von anderen Konventionen, indem es
       Geschlecht nicht binär, sondern FLINTA* denke, so Gomis. Zudem verfüge es
       über einen breit ausgefächerten Gewaltbegriff. Gewaltformen, wie
       wirtschaftliche oder rassistische Gewalt, die in anderen Abkommen nicht
       aufgelistet sind, werden in der Istanbul-Konvention anerkannt. Ein breiter
       Gewaltbegriff bietet einen vielversprechenden Anfang. Seine Wirkung
       entfaltet sich jedoch nur, wenn diesen Gewaltformen auch aktiv
       entgegengetreten wird. [3][Davon kann jedoch bislang nicht die Rede sein.]
       
       Die Panelistinnen beklagen, dass die Gewalt gegen FLINTA* strukturell und
       institutionell sei. „Produziert wird sie von Kapitalismus, Kolonialismus
       und dem Patriarchat“, erklärt Cintia Ferreira. Sie ist Projektleiterin bei
       Space2groW, einem Beratungsprojekt der Frauenkreise von und für geflüchtete
       und migrierte Frauen. Rassismus und Sexismus gingen Hand in Hand. „Je
       weniger privilegiert die Frauen sind, desto gewalttätiger wird der Staat“,
       beklagt auch Gomis. „Wir erleiden Gewalt, weil wir Frauen sind“, kritisiert
       Ferreira. „Aber nicht nur, weil wir Frauen sind, sondern weil wir migrierte
       und geflüchtete Frauen sind.“
       
       Sie berichtet von gewaltvollen Drohungen und Inobhutnahmen von
       Jugendämtern, die Frauen die „Pistole auf die Brust legen“ und ihnen
       vermitteln, dass sie auf sich allein gestellt seien. Auch für
       Richter*innen spiele die Gewalt des Täters oftmals keine Rolle. „Der
       FLINTA* Rassismus in den Behörden ist eine Katastrophe“, beklagt Drakos.
       
       ## Forderungen nach mehr Ressourcen für Präventionsarbeit
       
       Daher müsse die institutionelle Ebene adressiert werden, so Haghanipour.
       Auch wenn die Istanbul-Konvention die institutionelle und strukturelle
       rassistische Gewalt gegen BIPoC Frauen* und Queers anerkennt, sei keine
       Besserung in Sicht, wenn diese in der Praxis nicht anerkannt würde. „Das,
       was gesetzlich verankert ist, muss in Verwaltung und Institutionen
       durchgesetzt werden“, fordert Haghanipour.
       
       Damit die Gewaltperspektive endlich ernst genommen werde, brauche es
       weiterhin Sensibilisierung, Bildungsarbeit und Beratung. „Prävention ist
       eine Hauptsäule der Konvention, die in der Umsetzung jedoch nicht genügend
       berücksichtigt wird“, sagt Haghanipour. Die Umsetzung scheitere oftmals an
       mangelnden finanziellen Mitteln.
       
       Feministische Projekte wie die Frauenkreise oder das Frauenzentrum
       Schokofabrik bemängeln, dass sie für ihre Präventionsarbeit weder genügend
       Wertschätzung noch finanzielle Unterstützung von der Senatsverwaltung
       bekämen. Ständig würden ihnen die Mittel gekürzt. Dabei seien sie
       „Pflichtprogramm“. „Wir setzen Recht um“, klagt Niki Drakos.
       
       Neben ihren Forderungen nach der Anerkennung struktureller und
       institutioneller Gewalt gegen FLINTA* und dem Bedarf eines „grundlegenden
       gesellschaftlichen Umdenkens“, werden die Frauen konkret. Es brauche Geld.
       „Geld, Geld, Geld und Anwälte“, sagt Drakos und lacht mit einem Verweis auf
       ihr gelbes „hungriges Sparschwein“, das sie neben Tee und Spritzgebäck für
       uns bereitgestellt hat.
       
       24 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lilly Schröder
       
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