# taz.de -- Ausstellung mit Medienkunst zu KI: Der Klang seltener Erden
       
       > Geht es nur noch um Algorithmen? Eine Ausstellung in der Galerie Nord |
       > Kunstverein Tiergarten untersucht die Rolle der menschlichen Stimme bei
       > KI.
       
 (IMG) Bild: Ein Still aus Kyriaki Gonis Video „Not allowed for algorithmic audiences“ (2021)
       
       Es ist ein typisches Phänomen der Jetztzeit, dass Sätze, die vor gar nicht
       allzu langer Zeit noch wie ferne Dystopie klangen, mittlerweile nur mit
       Schulterzucken quittiert werden: „Wir kaufen Mikrofone, die stets
       angeschaltet sind, und installieren sie in unseren Häusern“ gehört dazu,
       oder: „Es gibt vieles anzuhören – also wurde das Zuhören industrialisiert.“
       
       Es sind Aussagen wie diese, mit denen Sean Dockrays Videoarbeit „Learning
       from YouTube“ (2018) aufzuklären versucht, wie uns neuronale Netzwerke
       zuhören und zu welchen Zwecken Künstliche Intelligenz eingesetzt werden
       kann: „Predictive Policing“, vorhersagende Polizeiarbeit gehört etwa dazu,
       bei der unter anderem Audiodaten ausgewertet werden, „bevor aus einem
       Zwischenfall ein Gewaltausbruch wird“, wie Dockray erklärt.
       
       Es ist ebenso ein typisches Phänomen der Jetztzeit, dass künstlerische
       Videoarbeiten von 2018 aus heutiger Sicht fast schon medienarchäologisch
       wirken, wie Zeugnisse aus einer fernen, womöglich besseren Zeit, die der
       heutigen vorangegangen sein muss.
       
       Aufgrund der Geschwindigkeit technologischer Entwicklungen – nicht nur,
       aber auch [1][auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz] – wirken fünf
       Jahre manchmal schon wie fünfzehn. War „Predictive Policing“ 2018 wirklich
       noch das Topthema, wenn es um den Zusammenhang von sprachlicher Information
       und KI ging? Angesichts eines mit seinem KI-unterstützten
       Deep-Fake-Doppelgänger vor der Weltöffentlichkeit sprechenden russischen
       Machthabers wirkt Dockrays Arbeit bereits wie aus der Zeit gefallen.
       
       Bei den älteren Arbeiten anfangen 
       
       [2][Die in Dortmund und Berlin lebende Kuratorin Inke Arns] hat diesen
       Umstand treffsicher erkannt. In der von ihr in der Galerie Nord |
       Kunstverein Tiergarten kuratierten Gruppenausstellung „v01ces – Die
       menschliche Stimme im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz“ hat sie den
       hinteren Ausstellungsraum für die älteren Arbeiten reserviert, und es lohnt
       sich, den Besuch in der Galerie dort beginnen zu lassen, bevor man sich der
       künstlerischen Gegenwart nähert.
       
       Neben Dockrays Arbeit trifft man dort auch auf das Video „See a Dog, Hear a
       Dog“ (2016) von Jesse McLean, in dem Reflexionen über
       Mensch-Tier-Kommunikation einerseits, [3][das 1966 von Joseph Weizenbaum
       entwickelte Computerprogramm ELIZA] andererseits ein historisches
       Grundgerüst für unser heutiges Verständnis von
       Mensch-Maschine-Kommunikation liefern.
       
       „A Lecture on Schizophonia“, eine ältere Videoarbeit von Erik Bünger, geht
       noch weiter zurück in die Zeit. Der Berliner Künstler zeigt mit einer
       faszinierenden Analyse des „His Master’s Voice“-Logos, auf dem ein Hund vor
       einem Grammofon der Stimme seines verstorbenen Herrchens lauscht (im 20.
       Jahrhundert bekannt als Signum diverser Plattenfirmen), eine Urszene der
       Trennung von organischem Stimmapparat und menschlicher Stimme, wie sie auch
       für heutige Sprachassistenten gültig ist, aber kaum mehr als solche
       wahrgenommen wird.
       
       Versorgt mit dem Wissen aus Büngers Video, erschließt sich nun etwa die
       raumgreifende Arbeit „Not Allowed for Algorithmic Audiences“ (2021) von
       Kyriaki Goni am anderen Ende der Ausstellung umso besser. Die Athener
       Künstlerin lässt hier in einem Video einen Sprachassistenten-Avatar
       aufgrund von dessen bevorstehender Abschaltung zum Widerstand gegen
       KI-Sprachsysteme aufrufen.
       
       Extrahierte Fragmente alter Steine 
       
       Man erfährt in poetischer Wendung, dass Sprachassistenten „aus dem Klang
       seltener Erden bestehen“ (die ihrerseits so klingende Namen wie Lanthanum,
       Cerium, Praseodyum, Neodymium oder Promethium hätten und in einer Vitrine
       im Raum aufgereiht sind), dass sie also aus extrahierten Fragmenten alter
       Steine und so auch aus menschlicher Arbeit bestünden. Aber nicht nur dies
       sei bei der Benutzung von Sprachassistenten unsichtbar, sondern auch die
       Anwendung gesellschaftlicher Stereotype und Voreingenommenheiten beim
       Trainieren von KI-Systemen mit Daten.
       
       Der Avatar verweist auf Studien, nach denen Spracherkennungssoftware
       größere Probleme beim Verstehen von Stimmen Schwarzer Menschen hätte oder
       auf den Umstand, dass beim KI-Training biometrische Daten (etwa die Form
       von Mund oder Zähnen) herangezogen werden, um stimmliche Feinheiten besser
       differenzieren zu können.
       
       Doch nicht nur das, menschliche Daten erscheinen bei alldem nur als ein
       notwendiger technologischer Zwischenschritt, denn mittlerweile sei „die
       Mehrheit der Zuhörer auf dem Planeten Algorithmen“. Und plötzlich wird
       klar, warum die warnenden Sätze aus Sean Dockrays Video so antiquiert
       klingen: Wenn beim industrialisierten Zuhören nur noch Algorithmen
       Algorithmen zuhören, geht es am Ende gar nicht mehr um uns.
       
       26 Dec 2023
       
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