# taz.de -- Franz Beckenbauer ist tot: Die Lichtgestalt leuchtet nicht mehr
       
       > Franz Beckenbauer war ein ganz und gar undeutsches Glückskind: Elegant,
       > leger, schnoddrig und beinah immer erfolgreich. Am Sonntag ist er
       > gestorben.
       
 (IMG) Bild: Franz Beckenbauer am 7. Januar 1986
       
       Wie krank und wie einsam Franz Beckenbauer schon seit sehr geraumer Zeit
       gewesen sein muss, wurde deutlich, als sogar seine Spezeln von der
       Bild-Zeitung sich auf Lothar Matthäus berufen mussten, um etwas über den
       Kaiser vermelden zu können. Von einem sehr schlechten Gesundheitszustand
       des früheren Weltklassefußballers, National- und Bayern-München-Trainers,
       Fifa-Funktionärs und WM-Organisators, berichtete Matthäus.
       
       Ausgerechnet die Bild-Zeitung hatte keine weiteren Infos! Dabei war der
       Kaiser über Jahrzehnte ihr Mann gewesen. Exklusives über den Franz gab's
       nur hier. Und das war gefragt, denn Beckenbauer war von den 1970er Jahren
       bis vor wenigen Jahren medial omnipräsent: Experte, Werbefigur,
       Dampfplauderer, auch die Qualitätspresse kümmerte sich um Scheidungs- und
       Vaterschaftsgerüchte.
       
       Franz Beckenbauer war, wie es der Fernsehjournalist Marcel Reif einmal
       formuliert hatte, die „Lichtgestalt“ des deutschen Fußballs. Da mag es
       Fritz Walter oder [1][Uwe Seeler], [2][Günter Netzer], Lothar Matthäus oder
       Toni Kroos gegeben haben – der einzige richtige und wirkliche Weltstar des
       deutschen Fußballs war der Franz.
       
       Er war ein ganz und gar undeutsches Glückskind, dem scheinbar aller Erfolg
       zufiel, wo andere ihn sich erarbeiten müssen. Vizeweltmeister 1966,
       Europameister 1972, Weltmeister 1974, Vizeweltmeistertrainer 1986,
       Weltmeistertrainer 1990 – das sind nur die wichtigsten mit der
       Nationalmannschaft. Mit seinen Vereinen, am wichtigen und längsten der FC
       Bayern, hatte er noch mehr Erfolge – als Spieler, als Trainer, als
       Präsident.
       
       ## Die Geste des Weltbürgers
       
       Bei alldem trat er mit der seriösen Geste des Weltbürgers auf, lächelte
       elegant alles weg, aber auf sein gesprochenes Wort gab man besser nichts:
       Das war gerne zum Belächeln, zum Verspotten oder, nicht gerade selten, zum
       Fremdschämen.
       
       [3][Fünf Autobiografien] hat Beckenbauer vorgelegt: „Dirigent im
       Mittelfeld“ (1966), „Gentleman am Ball“ (1969), „Einer wie ich“ (1981),
       „Meine Gegner – Meine Freunde“ (1987), „Ich. Wie es wirklich war“ (1992).
       Die erste erschien, da war er erst 21 Jahre alt, die letzte schon mit 47
       Jahren.
       
       Da mag man ihm vorhalten, dass er später, als es noch sehr viel zu
       berichten und aufzuarbeiten gegeben hätte, sich nicht mehr zu Wort gemeldet
       habe. Aber zur Wahrheit über Beckenbauer gehört auch, dass er sich der
       Mitarbeit an einer durchaus kritischen Biografie von Torsten Körner („Franz
       Beckenbauer – der freie Mann“, 2005) nicht verweigert hatte.
       
       ## Per Ohrfeige zu den Bayern
       
       1945 wurde Beckenbauer in München-Giesing geboren, sein Vater war
       Postobersekretär. Der „zum Kaiser aufgestiegene Kleinbürger“ nannte ihn der
       Kulturhistoriker Horst Bredekamp einmal. Das Fußballspielen lernte er beim
       SC München 06 in Giesing, als Jugendlicher war er Fan des TSV 1860 München.
       Mit 14 Jahren wechselte er zum FC Bayern, weil er bei einem Jugendturnier
       von einem Sechziger geohrfeigt worden war.
       
       Die Entscheidung gegen 1860 München war eine typische
       Beckenbauer-Entscheidung: Das Glückskind landete intuitiv bei dem Verein,
       der zu ihm und zu seinem späteren Image am besten passte: der weltläufige,
       eher künstlerisch-schlamperte Verein und nicht der als proletarisch
       geltende Club.
       
       Bei Bayern war das Talent gut aufgehoben: 1963 gibt er sein Debüt in der
       Jugendnationalmannschaft. Weil er aber als Halodri galt – mit 18 Jahren war
       er Vater eines unehelichen Sohnes geworden –, musste er dort bei Trainer
       Dettmar Cramer im Zimmer schlafen.
       
       ## Der Auftsteiger
       
       Als Hobbys gab der junge Spieler an: schlafen, fernsehen, Bücher lesen,
       sein Lieblingsautor sei [4][Erich Maria Remarque]. Acht Jahre Volksschule
       und eine Lehre bei der Allianz AG zum Versicherungskaufmann absolvierte er.
       Zur Bundeswehr musste er nicht – untauglich wegen einer Sportverletzung.
       Glückskind eben.
       
       Und Aufsteiger. Sein Debüt im bezahlten Fußball gab Beckenbauer im Juni
       1964 in der Regionalliga, damals Zweite Liga, gegen den FC St. Pauli – und
       zwar als Linksaußen. Im Sommer 1965 stieg er mit Bayern in die Bundesliga
       auf, im September 1965 erlebte er seine Premiere als Nationalspieler, doch
       der junge Beckenbauer blieb vorsichtig.
       
       Die Allianz gab ihm keinen Sonderurlaub für den Fußball, also
       unterzeichnete er einen Vertrag beim Münchner Tuchgroßhändler Gottfried
       Dresbach. Der förderte ihn und stellte in Aussicht, dass Beckenbauer später
       bei ihm einsteigen könnte. Seine finanziellen Verhältnisse waren gut. Ein
       Zwei-Millionen-Mark-Angebot des AC Mailand, damals eine sensationell hohe
       Summe, lehnte er ab, denn als Bundesliga-Lizenzspieler verdiente er mit
       einer Versicherungsagentur, die er gemeinsam mit seinem Manager Robert
       Schwan betrieb, genügend Geld. Zudem war Beckenbauer Herausgeber des
       Stadionprogramms des FC Bayern.
       
       Mit 21 fuhr er schon einen Mercedes 230 SL, in dem er sich stolz
       fotografieren ließ. Eine Affäre mit einer verheirateten Sekretärin, aus der
       ein weiteres Kind hervorging, halfen mit, den Ruf des Lebemanns zu
       begründen. Damals bekam der Fußball seine Popstars: die Günter Netzers und
       George Bests liefen mit langen Haaren über den Platz. Beckenbauer kam das
       zupass.
       
       Bei der WM 1970 stieg er zum Weltklassespieler auf, auf seine Empfehlung
       holt Bayern 1970 den jungen und unerfahrenen Trainer Udo Lattek. 1972
       verkündete Beckenbauer, dass er eventuell nach Beendigung seiner Laufbahn
       Politiker werden wolle – „wegen der Leere“, die ihm drohte. Ein anderes Mal
       sagte er, er könne sich ein Leben als Heilpraktiker vorstellen. Schon 1973
       wird Beckenbauers Leben verfilmt, mit ihm in der Hauptrolle, in den
       Nebenrollen Klaus Löwitsch und Harald Leipnitz, das Drehbuch schrieb
       übrigens Bernt Engelmann.
       
       ## Der Kleinbürger in der Weltstadt
       
       Ein unglaublicher Aufstieg des Sohns eines Postobersekretärs, der aber
       seine kleinbürgerliche Sozialisation nie ablegte. In einem Interview wurde
       er nach seinen Ängsten befragt und antwortete: „Krankheit und Kommunismus“.
       1974 konkretisierte er: „Wir werden alle enteignet und Bayern heißt bald
       Roter Stern München.“
       
       Mit dem WM-Titel 1974 und etlichen Gewinnen des Europapokals der
       Landesmeister hatte er als aktiver Fußballer den Zenit erreicht. Ein
       Angebot aus den USA, das er 1975 noch abgelehnt hatte („Die wissen nicht,
       wie Fußball aussieht“), kam 1977 wie gerufen. Er wechselte zu Cosmos New
       York. Gemeinsam mit seiner neuen Freundin, der Fotografin Diana Sandmann,
       zog er in die Weltstadt. „New York hat mir die Welt geöffnet. Ein bisserl
       Fußball gab's noch dazu.“ Der Kaiser lernte Englisch, und er lernte, mit
       internationalen Medien umzugehen.
       
       Die Heimat schimpfte derweil: Der CSU-Abgeordnete Dionys Jobst wollte von
       der Bundesregierung wissen, was sie unternimmt, um Beckenbauer zu bewegen,
       für Deutschland zu spielen, und Bundestagsvizepräsident Richard Stücklen
       (CSU) beraumte eine Sondersitzung an.
       
       1980, mit 35 Jahren, heuerte Beckenbauer dann tatsächlich noch einmal in
       der Bundesliga an – beim Hamburger SV. Zwei Jahre später war dann wirklich
       Schluss. Als Spieler.
       
       ## Als Teamchef nochmal zum Titel
       
       Als nach einer misslungenen EM 1984 Bundestrainer Jupp Derwall zurücktrat,
       trommelte die Bild, deren Kolumnist Beckenbauer schon lange war, für ihn
       als Retter: Er hatte zwar keine Trainerlizenz, aber als Teamchef übernahm
       er die Nationalelf. Das verpflichtende Mitsingen bei der Hymne gehört zu
       seinen ersten Maßnahmen, auch dass der Kapitän, es war Karl-Heinz
       Rummenigge, der Erste am Essenstisch sein soll. Trotz oder wegen solcher
       Vorgaben: Der [5][Kaiser], das Glückskind, hatte wieder einmal Erfolg.
       Deutschland gewann 1990 gegen Argentinien das WM-Finale in Italien.
       
       Danach hörte er auf, ging zu Olympique Marseille, ließ sich als Nachfolger
       von Erich Ribbeck von den Bayern anheuern. Später löste er dort auch Otto
       Rehhagel ab. Doch kontinuierliches Arbeiten mit einer Mannschaft war nicht
       Beckenbauers Ding. Spätestens ab 1998 begann ein [6][Lebensabschnitt] von
       Beckenbauer als Funktionär: Bayern-Präsident, DFB -Vizepräsident, Chef des
       deutschen WM-Bewerbungskomitees für die WM 2006.
       
       Und zunächst scheint es, als verließe diesen Mann das Glück nie: Er holte
       die WM nach Deutschland. Angeblich, wie damals die Saga lautete, weil er so
       fleißig um die Welt gereist war und so viele Leute kannte. Nicht einmal
       eine neue private Affäre – bei der FC-Bayern-Weihnachtsfeier hatte er Sex
       mit einer Sekretärin, und neun Monate später wurde ein weiterer Sohn
       geboren – konnte seinem Image als Lichtgestalt etwas anhaben. Später kam
       jedoch heraus, was von Beginn an vermutet wurde: Es wurde bei der
       WM-Vergabe [7][geschmiert und bestochen].
       
       Noch einen Schlag ereilte den Kaiser in den vergangenen Jahren: 2015 starb
       sein Sohn Stephan, das einzige seiner Kinder, das im Profifußball aktiv
       war, nämlich als Spieler, für den der Herr Papa persönlich die Ablöse für
       den FC Saarbrücken bezahlt hatte, und als Nachwuchstrainer beim FC Bayern.
       
       ## Golf in Kitzbühl, Ärger mit der Ethikkommission
       
       Die letzten Jahre seines Lebens war das Glückskind, die Lichtgestalt, der
       Erfolgsmensch einsam geworden. Golf in Kitzbühl, ab und zu noch
       TV-Auftritte als Fußballexperte, aber auch [8][Ermittlungen] der
       Staatsanwaltschaft, Ärger mit der Ethikkommission der Fifa – das war nicht
       mehr die Welt des Franz Beckenbauer.
       
       Ob es die für ihn völlig unbekannte Anfeindung durch die Öffentlichkeit war
       oder der tragische Tod seines Sohns, ist schwer zu beurteilen – jedenfalls
       hörte Beckenbauer auf, einer zu sein, der immer Glück hatte. Die
       Lichtgestalt leuchtete nicht mehr so hell.
       
       Am Sonntag ist Franz Beckenbauer im Alter von 78 Jahren gestorben, wie der
       Deutsche Fußball-Bund (DFB) am Montag in Frankfurt am Main mitteilte.
       
       8 Jan 2024
       
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