# taz.de -- Tourismus in der Antike: „Wer ist denn römisch?“
       
       > Die römische Infrastruktur war ideal zum Reisen. Die Historikerin Susanne
       > Froehlich hat ein Buch darüber geschrieben, wer warum wohin unterwegs
       > war.
       
 (IMG) Bild: Heute wie zur Zeit der Römer ein beliebtes Reiseziel: die Memnonkolosse in Ägypten
       
       taz: Frau Froehlich, wir sitzen hier in Ihrem Arbeitszimmer an der Uni in
       Greifswald. Wenn Sie einem römischen Reisenden [1][Greifswald schmackhaft
       machen] wollten, würde Ihnen da was einfallen? 
       
       Susanne Froehlich: Oh, das dürfte schwierig werden. Die Römer reisen nicht
       gern nach Norden oder Westen [2][und vor allem nicht ins „Barbaricum“.]
       
       Also in Gebiete außerhalb ihrer Herrschaft wie Vorpommern. 
       
       Gegenden, wo man sich auf sehr ungewisse Reisebedingungen einlässt. Und in
       denen die Frage ist, was die eigentlich zu bieten haben. Und da müsste ich
       schon überlegen, was man einem Römer hier zum Beispiel als Naturwunder
       verkaufen könnte. Ich fürchte, die Attraktivität ist stark begrenzt.
       
       Sie sagen, die Römer reisen nicht nach Nord- und Westeuropa. Gleichzeitig
       erobern sie diese enormen Räume ja und schaffen mit Straßen, Brücken,
       Tunnels und Schiffsverbindungen eine beeindruckende Infrastruktur. Wozu das
       Ganze? 
       
       An der Verbundenheit des Imperiums, die die Infrastruktur garantiert, hängt
       unglaublich viel dran. Dass man nämlich im fernen Britannien, an der Grenze
       zu Schottland, römischen Wein trinken und von römischem Geschirr, der Terra
       sigillata, essen kann und informiert ist über Vorgänge im gesamten Reich.
       Die Konnektivität dieser Zeit ist unglaublich hoch.
       
       Es geht also in der Lebenswirklichkeit nicht darum, dass ein Römer aus
       touristischem Interesse nach Britannien reist, sondern vielmehr darum, dass
       auch jemand an der Grenze zu den Barbaren sich weiterhin als Römer fühlen
       und erleben kann? 
       
       Da steckt die Frage drin: [3][Wer ist denn römisch?] Im technischen Sinn
       ist das definiert über das Bürgerrecht der Stadt Rom. Aber man kann auch
       sagen: Ein Römer ist jemand, der dazugehören will, der Latein spricht und
       einen bestimmten Lebensstil pflegt, der römische Kulte praktiziert. Das ist
       über Jahrhunderte ungebrochen offenbar ein sehr attraktives Modell gewesen.
       Und das steht und fällt mit der Mobilität, Mobilität von Waren, aber eben
       auch von Menschen, weil es keine abstrakte Art der Kommunikation wie
       Internet gibt. Auch ein Brief, den man schreibt, muss von einer Person von
       A nach B transportiert werden.
       
       Was sind denn dann touristisch attraktive Ziele? 
       
       Die finden sich vor allem in Italien, Griechenland, Kleinasien und Ägypten;
       zum Beispiel Athen mit seinen Philosophenschulen oder Alexandria mit dem
       Leuchtturm und der Bibliothek, alte Heiligtümer wie das Apollonorakel in
       Delphi. Es gibt gewiss auch schon eine beschränkte Faszination für Fremdes,
       für Wildheit. Solche Berichte gehen aber von römischer Seite nicht einher
       mit einem ernsthaften Interesse an Land und Leuten, Sprachen und Kultur.
       Als Römer lernt man keine Fremdsprachen.
       
       Bis auf Griechisch. 
       
       Griechisch ist keine Fremdsprache im eigentlichen Sinn, weil es in der
       römischen Oberschicht wie eine zweite Muttersprache gelernt wird, mit
       griechischen Ammen und Pädagogen von Geburt an.
       
       Bleiben wir bei den Griechen. Die kulturelle Überlieferung der Antike
       beginnt mit zwei Epen, in denen viel gereist wird. Die Griechen segeln nach
       Troja, Odysseus verirrt sich auf dem Meer. Setzt hier auch das römische
       touristische Interesse an? 
       
       Das ist genau das Ding, ja. „Ilias“ und „Odyssee“ sind Texte, die in der
       Oberschicht jeder mehr oder weniger auswendig kennt. Das sind dann die
       Bezugspunkte, wenn man unterwegs ist. In Reisebeschreibungen von Römern,
       die über das Mittelmeer fahren, tauchen die Orte auf, die sie aus diesen
       Epen kennen oder zu kennen meinen. Insbesondere für Troja ist das sehr gut
       nachzuvollziehen, da [4][kommen auch Kaiser hin]. Die römischen Besucher
       wollen ganz genau wissen, wo stand denn nun der Palast des Priamos, wo war
       das Schiffslager der Griechen? In den Quellen lässt sich das Schritt für
       Schritt nachverfolgen, wie sich daraus eine lokale Tourismusindustrie
       entwickelt. Die Leute kommen und fragen, und dann wird ihnen eben auch was
       gezeigt. Die Wirklichkeit wird den literarischen Quellen angepasst.
       
       Aber die Getriebenheit, die Neugier eines Odysseus haben die Römer bei
       ihren Reisen nicht? 
       
       Man fährt dahin, wo die anderen auch alle waren. Die Dynamik liegt darin,
       dass jemand über seine Reise berichtet und dann andere hinfahren und
       ihrerseits darüber berichten. Es gibt Reiseziele, die kurzlebig sind, wie
       etwa ein zahmer Delphin in Nordafrika, der eine große Zahl von
       Schaulustigen anlockt. Das Tier wird schließlich getötet, weil es den
       Leuten zu viel wird mit den Touristen.
       
       Eine Art Tiktok-Phänomen. 
       
       Im Prinzip ja. Auch weil es dazugehört, so etwas gesehen zu haben. Man will
       mitreden können. Wer kennt sich in Athen aus? Wer hat einige von den Sieben
       Weltwundern gesehen?, das sind feste Referenzpunkte. Römische Touristen
       sind Leute, die sehr genau wissen, was sie sehen wollen, und das bekommen
       sie dann auch zu sehen. Es geht darum, einen Kanon abzuarbeiten –
       vielleicht vergleichbar damit, wie man bei uns in den 50er und 60er Jahren
       unterwegs gewesen ist.
       
       Wer kann denn sozial gesehen da überhaupt mithalten? Welche Römer reisen? 
       
       Im Unterschied zu heute sind die Leute nicht gezielt aus ausschließlich
       touristischem Interesse so weit gereist. Sondern es handelt sich um Leute,
       die aus verschiedenen Gründen sowieso dort sind, die ein Amt haben, die
       beruflich unterwegs sind, Handwerker, Künstler, Armeeangehörige. Insofern
       sind das schon Menschen aus sehr verschiedenen Schichten. Aber die vielen
       Menschen, die als Tagelöhner am Rande des Existenzminimums lebten, hatten
       gewiss keine Spielräume für Reisen.
       
       Ist der übliche römische Reisende ein Mann? 
       
       Nein. Aber der übliche römische Reisende, den die männlichen Autoren in
       ihren Quellen beschreiben, ist ein Mann. Und das ist natürlich ein Problem
       für die Forschung. Wir haben nur stellenweise Zugriff auf reisende Frauen,
       weil die, etwa in Begleitung eines mächtigen Mannes, in den literarischen
       Quellen einfach nicht erwähnt werden. In Alltagsdokumenten, zum Beispiel in
       Briefen, die auf Papyrus überliefert sind, zeigt sich ein anderes Bild. Da
       sind Frauen geschäftlich unterwegs, reisen zu Prozessen oder zu
       Familienfeiern. Da sind die Frauen vollwertige Akteurinnen. Und sie reisen
       auch aus touristischem Interesse.
       
       Wer nicht in die weite Welt reisen kann oder will – zu diesen Menschen
       kommt dann die Welt aber sozusagen nach Hause, nach Rom? 
       
       Ja, Rom als Metropole der Welt wird in zeitgenössischen Texten so
       beschrieben: als ein Ort, wo Menschen, Tiere, Waren unterschiedlichster
       Hintergründe zusammenkommen, durch den Handel, aber auch etwa bei den
       Triumphzügen der Heerführer und Kaiser. Die sind genau so gedacht, dass die
       fremden Welten nach Rom geführt werden, dass Beute, dass Gefangene
       ausgestellt werden, in ihrer Wildheit und Exotik, und in ihrer Besiegtheit
       natürlich. Aber auch die Einwohner der Stadt kamen aus aller Welt. Diese
       Diversität in Rom, wie wir heute sagen würden, hat auch durchaus zu
       Abwehrreflexen geführt.
       
       Inwiefern? 
       
       Die Schaulust wird befriedigt, aber was man sieht, befremdet auch. Es gab
       Leute, die fanden, Rom sei zu sehr von Ausländern bevölkert. Gleichzeitig
       ist die Faszination riesig, was sich in den Moden der Wohnausstattung und
       Dekorationselemente widerspiegelt, nicht zuletzt die Begeisterung für
       Ägypten. Da wurden ganze Nillandschaften mit ihrer Flora und Fauna an die
       Wände gemalt.
       
       Woher kommt diese Begeisterung? 
       
       Ägypten ist einfach sehr alt. Dass etwas alt war, galt in der Antike als
       Qualitätsmerkmal. Und die Überreste dieser Kultur, Tempel und Grabanlagen,
       waren noch präsent. Zu der Sonderrolle beigetragen hat auch die ägyptische
       Natur, der Nil mit den jährlichen Überschwemmungen. Und diese Natur wird
       nicht als bedrohlich empfunden, wie etwa die Alpen, sondern als Kulturland,
       trotz der ambivalenten Faszination, die exotische Tiere wie Krokodile oder
       Nilpferde natürlich ausübten.
       
       Die ökonomische Grundlage von alledem, was wir jetzt beschrieben haben, ist
       die Arbeit von versklavten Menschen – oder ist das übertrieben? 
       
       Sklaven sind immer Teil des Gefolges reicher Reisender, sie tragen das
       Gepäck, machen die Einkäufe, kochen das Essen. Sklaven heizen die Räume der
       Raststätten und der Bäder, sie halten die gesamte Sache am Laufen. Alles
       funktioniert auf dieser Basis.
       
       Es gab zuletzt [5][einige Aufregung in den sozialen Medien, wie häufig
       offenbar viele Männer sehnsüchtig an das Römische Reich denken.] Aber ist
       der Verlust, als diese Zivilisation zusammenbricht, nicht tatsächlich
       riesig, gerade auch auf unser Thema hier, das Reisen bezogen? 
       
       Das ist eine schwierige Frage. Schon in den spätantiken Quellen spürt man
       das. Die Straßen sind unsicher, durch Kriege verwüstet und werden nicht
       repariert. Man vertraut sich eher dem Schiff an, was früher immer als die
       riskantere Reisevariante galt. Ich würde Vernetzung den folgenden Epochen
       nicht absprechen wollen. Aber in dieser Intensität konnte in Europa erst in
       der Neuzeit wieder an das römische Niveau des Reisens angeknüpft werden.
       
       5 Jan 2024
       
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