# taz.de -- Mikrobiologische Forschung: Ur-Enzyme fressen Plastik
       
       > Ein Forschungsteam hat Enzyme entdeckt, die Plastik effektiver zerlegen
       > können, als bislang bekannt. Die entstehenden Moleküle sind unschädlich.
       
 (IMG) Bild: Zum Zersetzen ist genug da: Plastikmüll-Deponie in Hannover
       
       HAMBURG taz | Eine Welt ohne Plastik – kaum vorstellbar. Noch vor 70 Jahren
       schleppten Menschen Milch in Glasflaschen herum, roch es in neuen Autos
       nicht nach parfümiertem Kunststoff, und Kinder spielten mit Holz statt mit
       glattem Polyethylen. Damals suchte die Welt nach einem unzerstörbaren
       Material, mit der Folge, dass in den Weltmeeren nun [1][Abermilliarden
       winzige Plastikstückchen] treiben.
       
       Etwa 360 bis 450 Millionen Tonnen [2][synthetischer Polymere] werden pro
       Jahr hergestellt. Zum Vergleich: Eine Boeing 747 wiegt etwa 200 Tonnen. Das
       Plastik kann weder zerstört noch wiederverwendet werden und reichert sich
       somit immer weiter an.
       
       Aber es gibt Hoffnung: kleinste Teilchen, die vor Milliarden von Jahren
       entstanden sind. Sogenannte Archaeen (gesprochen: Ar-chä-en) zersetzen
       Plastik und können künstlich hergestellt werden. Ein Forschungsteam der
       Universitäten Kiel, Hamburg und Düsseldorf hat jetzt einen
       vielversprechenden Mikroorganismus-Kandidaten entdeckt.
       
       „Entdeckt“ ist eigentlich nicht das richtige Wort, um zu beschreiben, was
       die Wissenschaftler*innen gemacht haben. Um verschiedene
       Mikroorganismen in einer Probe zu finden, gibt es zwei Methoden, erklärt
       Ruth Schmitz-Streit. Sie ist Mikrobiologin an der
       [3][Christian-Albrechts-Universität Kiel] und hat die Studie maßgeblich
       geleitet.
       
       Die klassische Methode sei es, in einer Probe verschiedene Organismen zu
       testen. So könne man einer heißen Quelle Wasser entnehmen, in dieses Wasser
       Plastikteilchen geben und dann gucken, ob es abgebaut wird. Danach könne
       man einzelne Mikroorganismen in der Probe testen, indem man sie vermehrt
       und wieder das Ergebnis betrachtet – Trial-and-Error sozusagen.
       
       Das ist zeitaufwendig, und deshalb hat das Forschungsteam jetzt einen
       anderen Weg gewählt: die metagenom-basierte Methode. Auch ihr liegt eine
       Probe zugrunde. In diesem Fall wurde sie von einem anderen Team vor der
       Küste Venezuelas entnommen. Statt nach einzelnen Organismen zu suchen,
       wurde die gesamte Probe zusammengekocht, sodass nur noch die DNA-Stränge
       erhalten blieben.
       
       Das Ergebnis dieses Zusammenkochens ist das Metagenom. In der Abfolge aus
       Thymin, Cytosin, Adenin und Guanin – den desoxy- Ribonukleinsäuren, aus
       denen alle Erbinformationen bestehen – suchten die Forscher*innen dann
       nach bestimmten Abfolgen oder Motiven. Welche Motive auf plastikfressende
       Enzyme hindeuten, wussten sie aus vorherigen Studien. Sind die richtigen
       Motive gefunden, kann man sie künstlich in Bakterien übertragen. Die nehmen
       dann die gewünschten Eigenschaften an und können geklont, getestet und
       benutzt werden.
       
       Das gefundene Enzym tauften sie PET46. Es baut Plastik effektiver ab als
       [4][zuvor gefundene Enzyme] und ist vermutlich uralt. Es existierte lange
       vor McDonalds-Happy-Meal-Spielzeugen, Frischhaltefolie und verschmutzten
       Meeren.
       
       „Es gibt nichts auf der Welt, was nicht von solchen Enzymen abgebaut werden
       könnte“, sagt Ruth Schmitz-Streit. Es dauere nur manchmal lange. Enzyme
       sind biologische Strukturen in Organismen, die Substanzen abbauen können.
       Im menschlichen Körper zersetzen Enzyme zum Beispiel Nahrung, sodass wir
       aus einer Karotte das Vitamin A aufnehmen können.
       
       Das von den Forscher*innen gefundene PET46 befindet sich nicht im
       Menschen, sondern in Archaeen. Das ist klar, weil links und rechts neben
       den Enzyminformationen in der Probensuppe entsprechende Hinweise aus
       Archaeen liegen. „Die Archaeen sind widerstandsfähig, weil sie unter
       ursprünglich extremen Bedingungen entstanden sind und auch heute noch unter
       solchen Bedingungen leben können“, sagt Schmitz-Streit.
       
       Archaeen sind mikroskopisch kleine Lebewesen. Generell kann man lebende
       Organismen in drei Klassen aufteilen: Bakterien, Eukaryoten (mehrzellige
       Lebewesen, zu denen Menschen gehören) und Archaeen. Archaeen haben keinen
       Zellkern, genau wie Bakterien, und eine ähnliche Zellmembran. Abgesehen
       davon sind Archaeen den mehrzelligen Eukaryoten sehr ähnlich: Müssen
       DNA-Stränge vermehrt werden, funktioniert das wie bei Eukaryoten mithilfe
       von mRNA.
       
       Was kleinteilig klingt, hat große Bedeutung für die Entschlüsselung der
       Geschichte unserer Erde. Wenn Archaeen sowohl Bakterien als auch Eukaryoten
       ähneln, wie sind alle drei dann entstanden? „Seit Kurzem ist bewiesen, dass
       die Eukarya sich aus den Archaeen entwickelt haben“, sagt Schmitz-Streit.
       Anders als bisher angenommen sind Menschen, Tiere und alle mehrzelligen
       Organismen nicht aus Bakterien entstanden. Archaeen sind vielmehr die
       Grundlage für alles, unsere winzigen Vorfahren.
       
       ## Künstliche Veränderung der DNA
       
       Das erklärt, warum Achaeen bei 70 Grad besonders gut Plastik zerstückeln
       können. Sie sind hier, seit die Erde von Vulkanen und warmen Ozeanen
       bedeckt war. Weil sie unter widrigen Bedingungen entstanden, können sie so
       arbeiten, sagt Schmitz-Streit. Selbst extrem schwer zu spaltende
       Plastikverbindungen können sie nicht aufhalten. Treffen sie auf ein solches
       Stück Plastik, kann PET46 es aufnehmen und hinter einem Deckel zersetzen,
       bis nur noch Monomere, also einzelne Moleküle übrig sind.
       
       Damit ist das Plastik nicht verschwunden, aber es kann wiederverwendet
       werden. Und als Monomer ist Plastik nicht mehr belastend für die Umwelt. Es
       müsste so kein neues Plastik hergestellt werden. Anstelle andauernder
       Anreicherung könnte ein Kreislauf entstehen.
       
       Wie das aussehen könnte, zeigt sich jetzt schon in Frankreich. Dort wird
       Plastik in sogenannten Fermentern mithilfe von Enzymen zersetzt und
       wiederverwendet. Fermenter kann man sich als große Tonnen vorstellen, in
       denen es warm ist, sodass die Enzyme gut arbeiten können.
       
       Der Plan ist nun, PET46 durch künstliche Veränderung der DNA weiter zu
       verbessern – es noch effektiver zu machen. Neben der praktischen Anwendung
       sei aber auch die Grundlagenforschung über Archaeen wichtig, sagt die
       Forscherin. Die zeige, wie die Erde mit dem [5][Plastik] klarkommen würde,
       auch lange nach dem Ende der Menschheit.
       
       In einer früheren Version des Textes hieß es in Absatz acht: „Das Ergebnis
       dieses Zusammenkochens ist das Metagenom. In der Abfolge aus Thymin,
       Uracil, Adenin und Guanin – den Aminosäuren, aus denen alles Leben besteht
       – suchten die Forscher*innen dann nach bestimmten Abfolgen oder Motiven.“
       Das war nicht korrekt. Wir haben den Fehler korrigiert (siehe oben) und
       Danken für den Hinweis. Die Redaktion.
       
       28 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [4] /Recycling-mit-Enzymen/!5871465
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       ## AUTOREN
       
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