# taz.de -- Neue Mystery-Serie „Oderbruch“: Genre-Experiment in der ARD
       
       > Die ARD-Serie „Oderbruch“ erinnert mit düsterer Wortkargheit an
       > Nordic-Noir-Krimis und überrascht mit einem Mystery-Narrativ.
       
 (IMG) Bild: Haskel (Leonard Kunz, r.) und Sebastian (Sebastian Urzendowsky) machen einen erschütternden Fund
       
       Es ist ein selbst für Thriller-Verhältnisse reichlich grausamer Fund, der
       zu Beginn der [1][achtteiligen Serie] „Oderbruch“ (ab 19.1.,
       ARD-Mediakthek) im Morgengrauen gemacht wird. Mitten auf einem Feld
       stolpern zwei Angler im Nebel über einen meterhohen Leichenberg, auf dem
       sich dutzende tote Menschen und tierische Kadaver stapeln.
       
       Schnell verwandelt sich das kleine, fiktive Örtchen Krewlow nahe der
       polnischen Grenze in einen weltweit für Aufsehen sorgenden Tatort: Mit
       einem Großaufgebot und jeder Menge Container und Zelte rückt das LKA an –
       und tappt trotzdem erst einmal lange im Dunkeln.
       
       „Der Boden im Oderbruch ist mit Blut getränkt“, heißt es in der ersten
       Folge mit Blick auf die dünn besiedelte Region an der Oder, wo nicht
       zuletzt auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs oder später beim
       verheerenden Hochwasser von 1997 viele Menschen ihre Leben verloren.
       
       Doch die Toten auf dem längst nicht mehr bewirtschafteten Acker sind weder
       gefallene Soldaten noch Flutopfer. Stattdessen deutet schnell alles auf
       Mord hin, mit Leichen aus verschiedenen Jahrzehnten, teilweise offenkundig
       ihres Blutes beraubt.
       
       [2][Nach „Sløborn“] hat sich der umtriebige Christian Alvart – Regisseur,
       Produzent, Autor und sogar Kameramann in Personalunion – für seine neuste
       Serie einmal mehr mit Adolfo Kolmerer (Regie) und Arend Remmers (Drehbuch)
       zusammengetan.
       
       ## Grummelige Wortkargheit
       
       „Oderbruch“ erinnert dabei zunächst an so genannte Nordic-Noir-Krimis:
       brutale Taten eines mutmaßlichen Serien- oder Ritualkillers, Bilder und
       Stimmung sind düster und kalt, und die Verdächtigen werden in Sachen
       grummeliger Wortkargheit fast noch von den Ermittler*innen übertroffen.
       
       Von denen stehen hier drei im Zentrum der Geschichte: Stanislaw Zajak
       (Lucas Gregorowicz), der aufgrund seiner Zweisprachigkeit aus Polen
       dazugeholt wird, Roland Voit (Felix Kramer), der für den Fall in seinen
       Heimatort zurückkehrt, und seine ebenfalls längst weggezogene
       Jugendfreundin und Ex-Kollegin Magdalena Kring ([3][Karoline Schuch]), die
       bis heute nicht davon überzeugt ist, dass ihr jüngerer Bruder 1997 dem
       Hochwasser zum Opfer fiel.
       
       In den ersten paar Folgen bewegt sich die Serie auf bewährtem Terrain: Das
       Setting solcher scheinbar von jeglichen Modernisierungsentwicklungen
       abgehängten Dörfer, in denen jeder jeden kennt und trotzdem alle
       Geheimnisse haben.
       
       Dazu Ordnungshüter*innen, die in die Ermittlungen sehr viel persönlicher
       involviert sind als angebracht, und natürlich die langen Schatten der
       deutschen Vergangenheit. All das ist aber nur selten so stimmig und
       hochwertig umgesetzt wie in „Oderbruch“.
       
       Von der Kameraarbeit bis zu Sounddesign und Score spielt die Serie visuell,
       atmosphärisch und technisch in der gleichen Spitzenliga wie etwa „Der
       Pass“. Das Ensemble, zu dem auch Jan Krauter, Volkmar Kleinert, Winfried
       Glatzeder sowie – besonders überzeugend – Sebastian Urzendowsky und
       Newcomer Julius Gause gehören, ist nicht immer überraschend besetzt, gibt
       sich aber kaum eine Blöße.
       
       ## Anders als andere Serien
       
       Und vor allem ist das Ganze verdammt packend! Dass Christian Alvart sich
       wie kaum jemand sonst im deutschen Film auf Spannung versteht, ist nichts
       Neues. Doch wie er und seine Mitstreiter sie hier konstant zu halten
       wissen, selbst wenn das Tempo mal ins Stocken gerät, die Erzählung sich
       zwischen all den Figuren und Zeitebenen sowie dem Subplot in einem
       polnischen Internat zu verzetteln droht und der Wissensvorsprung des
       Publikums immer größer wird, ist bemerkenswert.
       
       Wirklich von der Konkurrenz hebt sich „Oderbruch“ allerdings mit einem
       Twist ab, der die Serie ab spätestens Episode 4 in Richtung eines
       übernatürlichen Mystery-Narrativs abbiegen lässt, ohne dass sich am –
       übrigens vollkommen humorfreien – Tonfall irgendetwas ändert. All die
       historischen und geopolitischen Kontexte treten dadurch in den Hintergrund.
       
       Manche mag das vor den Kopf stoßen, doch dass sich eine
       öffentlich-rechtliche Produktion überhaupt ein solches Genre-Experiment
       traut, ist eine große Freude.
       
       Und die Beteiligung der US-amerikanischen CBS-Studios, die früh das
       internationale Potenzial des Projekts erkannten, nur die logische
       Konsequenz.
       
       19 Jan 2024
       
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