# taz.de -- Drama „Leere Netze“ über Iran im Kino: Von der Liebe zum Verbrechen
       
       > Zwischen Einfachheit und Größe: „Leere Netze“ ist das Langfilmdebüt des
       > deutsch-iranischen Regisseurs Behrooz Karamizade.
       
 (IMG) Bild: Geheime Liebe: Narges (Sadaf Asgari) und Amir (Hamid Reza Abbasi) in „Leere Netze“
       
       In der linken Hand einen Teller mit Brot und Käse, dreht Amirs Mutter das
       Gas unter der Pfanne mit dem Abendessen ab, nimmt die Pfanne und trägt sie
       ins Wohnzimmer. Der Fernseher berichtet von den internationalen Sanktionen
       gegen den Iran und verweist auf die Folgen: Inflation und Abwertung der
       iranischen Währung.
       
       Amir schaltet mit der Fernbedienung den Fernseher ab, zögert kurz und sagt
       seiner Mutter dann, dass er um die Hand von Narges bitten möchte. Amir und
       Narges treffen sich schon länger, lieben sich und schmieden in der Bauruine
       eines Hotels am Kaspischen Meer Pläne für die Zukunft.
       
       „Leere Netze“, das Langfilmdebüt des deutschiranischen Regisseurs Behrooz
       Karamizade, beginnt mit einer fast märchenhaften Liebesgeschichte. Es war
       einmal ein junger Mann aus einfachen Verhältnissen, der sich in eine
       Prinzessin verliebte … Während Amir (Hamid Reza Abbasi) aus einfachen
       Verhältnissen kommt, seine Mutter verdient ihren Lebensunterhalt mit dem
       Verkauf von selbstgemachten Lebensmittelkonserven in der Nachbarschaft,
       stammt Narges (Sadaf Asgari) aus einer gutbürgerlichen Familie.
       
       Ihre Liebe zueinander ist eine Traumblase, die zu platzen droht, als Amir
       seinen Job bei einem Caterer verliert, weil er seinem Chef widerspricht.
       Jede Aussicht darauf, den traditionell fälligen Brautpreis an Narges’
       Familie zahlen zu können, scheint in weite Ferne gerückt. Um den Traum am
       Leben zu halten, beginnt Amir nach Jobs zu suchen, klappert die Geschäfte
       der Umgebung ab, reiht sich in eine Menschentraube ein, die um
       Beschäftigung als Tagelöhner fleht. Schließlich findet er Arbeit in einer
       Fischerei, weit außerhalb der Stadt.
       
       ## Langer Weg nach Westdeutschland
       
       Regisseur Behrooz Karamizade verließ Mitte der 1980er Jahre als Kind mit
       seiner Familie den Iran und kam über die Sowjetunion und die DDR nach
       Westdeutschland. Von 2005 bis 2013 studierte er an der Kunsthochschule
       Kassel Filmregie. Mit seinem Kurzspielfilm „Bahar im Wunderland“ von 2013
       über die Flucht eines jungen Mädchens aus Syrien war er auf zahlreichen
       Festivals vertreten.
       
       „Leere Netze“ entstand als deutsch-iranische Koproduktion. Der Film feierte
       letzten Juni beim Filmfest München Deutschlandpremiere, bevor er im Monat
       darauf seine internationale Premiere beim Filmfestival in Karlovy Vary
       hatte, wo er mit dem Sonderpreis der Jury ausgezeichnet wurde.
       
       Amir findet recht schnell heraus, dass der Besitzer der Fischerei neben dem
       offiziellen Teil der Arbeit zusätzlich nachts illegal Fischen geht, vor
       allem um Restaurants und wohlhabende Kunden mit Kaviar zu versorgen. Um
       möglichst schnell möglichst viel Geld zu verdienen, versucht Amir, auch
       Teil dieser illegalen Fahrten zu werden. Das gelingt ihm zwar, sein Anteil
       bleibt jedoch klein.
       
       Nach einiger Zeit stellt sich heraus, dass Omid, mit dem er sich ein Zimmer
       teilt, in Wahrheit Journalist ist. Von der Polizei gesucht, hat er den
       Besitzer der Fischerei gebeten, ihn gegen Geld über das Kaspische Meer nach
       Aserbaidschan zu fahren. Doch es hat nicht den Anschein, als würde das bald
       geschehen. Nach einigem Zögern stimmt er trotz seiner Bedenken wegen der
       stürmischen See zu, Omid selbst über das Meer zu fahren. Der Versuch geht
       schief und Omid ertrinkt.
       
       ## Hervorragende Filmemacher
       
       Karamizade hat seinen Film mit einem weitgehend iranischen Team realisiert.
       In dieser Hinsicht zeugt der Film einmal mehr vom Überfluss hervorragender
       Filmemacher im Iran. Vor allem Kameramann Ashkan Ashkani, der bereits bei
       [1][Mohammad Rasoulofs Gewinner des Goldenen Bären 2020 „Doch das Böse gibt
       es nicht“] und bei Reza Dormishians „Lantouri“ (2016) für die
       Bildgestaltung verantwortlich war, prägt den Film nachhaltig.
       
       Während die Protagonist_innen des Films eher unauffällig bleiben, prägt
       Ashkani „Leere Netze“ mit Einstellungen, die die einfache Handlung in
       Bewegung halten und ihr zugleich Größe verleihen.
       
       Es ist genau dieser Zwiespalt zwischen Einfachheit und Größe, der „Leere
       Netze“ auch insgesamt prägt. Einerseits verleiht die einfache, stellenweise
       märchenhafte Handlung, die Reduktion auf die wenigen Figuren dem Film eine
       schlichte Schönheit, andererseits ist diese bisweilen kurz davor, in eine
       allzu schlichte Universalität zu kippen.
       
       So bleiben die konkreten Ursachen für die Perspektivlosigkeit jenseits des
       eingangs zitierten Fernsehbeitrags über die Sanktionen gegen die Regierung
       im Iran im Unklaren, hier erweist es sich als Fehlentscheidung, dass der
       Film sich auf Amir konzentriert und über seine Geschichte Narges in der
       zweiten Hälfte des Films weitgehend aus den Augen verliert.
       
       Trotz dieser Schwächen ist „Leere Netze“ ein eindrucksvoller Film über die
       Perspektivlosigkeit, die das Leben junger Erwachsener im Iran schon prägte,
       bevor das Regime nach dem [2][Mord seiner Schergen an Jina Mahsa Amini]
       seine Gewalt noch einmal eskalierte.
       
       19 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
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