# taz.de -- Verhältnis von Union und AfD: „Ich muss um diese Menschen kämpfen“
       
       > CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek sieht Deutschland in einer
       > Staatskrise. Und er zeigt Verständnis für Wähler der AfD.
       
 (IMG) Bild: Markus Söder, bayerischer Ministerpräsident und CSU-Chef, ist immer dort, wo der Beifall am größten
       
       taz: Herr Holetschek, ein Graben geht durch Deutschland, das Land spaltet
       sich immer mehr. Was tun? 
       
       Klaus Holetschek: Die Polarisierung der Gesellschaft ist leider
       unverkennbar. Die Bauernproteste der vergangenen Woche waren symptomatisch
       für die Stimmung bei vielen Menschen. Natürlich ging es da zunächst um die
       Besteuerung des Agrardiesels. Aber es ging auch insgesamt um das verlorene
       Vertrauen der Landwirte in die Politik. Man muss schon festhalten, dass die
       Ampel einen gehörigen Anteil daran hat: Die Vorlage von unausgegorenen
       Gesetzeskompromissen, die dann innerhalb kürzester Zeit von mindestens
       einem Koalitionspartner wieder torpediert werden, sorgt für große
       Verunsicherung. Beim Heizungsgesetz war es ja nicht anders. Das führt dazu,
       dass die Gesellschaft ein Stück weit auseinanderfällt. Dazu kommt, dass der
       eine oder andere Graben aus der Coronazeit noch immer offen ist. Stichwort:
       Querdenker. Letztendlich gibt es nur eines, was die Gesellschaft wieder
       versöhnen kann: eine gute Politik, die wieder Vertrauen weckt.
       
       An der Spaltung der Gesellschaft hat die CSU aber maßgeblich mitgearbeitet.
       Man denke nur an den [1][Landtagswahlkampf] im vergangenen Jahr. 
       
       Das sehe ich anders. Wir haben im Wahlkampf sehr deutlich gezeigt, wo wir
       andere Positionen haben als die Ampel. Und dazu gehört, dass man im
       Bierzelt auch mal etwas zuspitzt. Die Leute wollen ja wissen, wofür wir
       stehen.
       
       Die CSU hat den Wahlkampf [2][regelrecht zum Kulturkampf] gemacht. Da ging
       es ja nur noch um eine vermeintliche Zwangsveganisierung oder angebliche
       Gendergebote. 
       
       Vor allem ging es uns um den grundsätzlichen Blick auf das Leben. Die Frage
       ist doch: Was braucht unsere Gesellschaft, wie können wir die Probleme der
       Menschen lösen? Das fängt bei kleinen Dingen an, bei der überbordenden
       Bürokratie oder dem Fiebersaft, den man in der Apotheke nicht mehr bekommt.
       Oder der Frage, warum kein Zug mehr fährt, wenn es einmal schneit. Die
       Menschen sind besorgt und fragen sich inzwischen, ob unser Staat noch
       funktioniert.
       
       Ihr Parteichef Markus Söder ist da besonders besorgt. Er spricht in letzter
       Zeit oft von einer [3][von der Ampel verursachten Staatskrise]. In seiner
       Neujahrsansprache stellte er sie sogar in eine Reihe mit der Pandemie, dem
       Krieg in der Ukraine und dem Terror in Israel. Das kann ja wohl kaum als
       kleine Zuspitzung durchgehen.
       
       Es ist doch nun mal so: Wir hatten in den letzten Jahren verschiedene
       Ereignisse, die sehr prägend waren. Und da gehört die Situation, in der wir
       in Deutschland gerade sind, dazu. Die Entscheidung des
       Bundesverfassungsgerichts zum verfassungswidrigen Haushalt hat aus meiner
       Sicht schon eine Staatskrise ausgelöst.
       
       Aber geht’s nicht eine Nummer kleiner? Der Staat ist doch noch immer
       handlungsfähig. 
       
       Wenn ich draußen bei den Menschen bin, höre ich etwas anderes. Die sind
       tatsächlich verzweifelt und haben den Eindruck, dass der Staat eben nicht
       mehr handlungsfähig ist.
       
       Mit Eindrücken zu argumentieren, ist eine heikle Sache. 
       
       Aber diese Eindrücke sind ja nicht aus der Luft gegriffen. Ich bleibe
       dabei: Wir müssen die Probleme der Menschen lösen. Nur so können wir die
       AfD in ihre Schranken weisen.
       
       Union und Ampel werfen sich gegenseitig vor, die Gesellschaft zu spalten.
       Wäre es stattdessen nicht einmal Zeit für einen Schulterschluss der
       Demokraten? 
       
       Aber diesen Schulterschluss gibt es doch längst! Wir demokratischen
       Parteien sind im ständigen Austausch. Ich treffe mich ja auch mit Katharina
       Schulze und Florian von Brunn, den Fraktionsvorsitzenden von den Grünen und
       der SPD. Und wir beraten uns zum Beispiel bei der Frage, welche Akzente wir
       im Kampf gegen Antisemitismus setzen können. Bei solchen Fragen haben wir
       eine klare Haltung und eine gemeinsame Linie. Wir stehen fest auf unserer
       freiheitlich-demokratischen Grundordnung und lassen daran keine Zweifel.
       Deswegen kann ich aber doch nicht in der Tagespolitik und bei den großen
       Themen über fundamentale Unterschiede zwischen uns und den Ampelparteien
       hinwegsehen. Im Gegenteil: Diese Unterschiede müssen wir sichtbar machen.
       
       Das sollen Sie ja auch. Aber Sie machen die Ampel für den Erfolg der AfD
       verantwortlich. In einer Demokratie ist doch zunächst mal jeder Wähler
       selbst für seine Stimme verantwortlich. 
       
       Sicherlich. Für die Stimmabgabe ist der Wähler verantwortlich, für die
       schlechte Stimmung die Ampel.
       
       Niemand kann doch heute noch behaupten, er wüsste nicht, was die AfD für
       eine Partei ist. 
       
       Ich bin ja ganz bei Ihnen, was die Bewertung dieser Partei angeht. Das ist
       eine rechtsradikale Partei, die gerade auch hier in Bayern voll auf dem
       völkischen Kurs von Björn Höcke ist. Aber deshalb ist nicht jeder Wähler
       rechtsradikal. Sondern es sind Wähler, die aus Protest, aus Verärgerung
       über die politische Situation sagen: Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll,
       jetzt wähle ich eine andere Partei. Das muss ich nicht gutheißen, aber das
       muss ich als Politiker ernst nehmen. Ich muss um diese Menschen kämpfen,
       ich kann sie doch nicht allesamt als rechtsextrem abschreiben. Ich bin
       überzeugt davon, dass wir einen großen Teil dieser Wähler wieder zurück ins
       demokratische Spektrum holen können, wenn wir ihre Sorgen ernst nehmen und
       dafür Lösungen anbieten. Bei der Klausurtagung der CSU-Landesgruppe in
       Kloster Seeon war gerade der dänische Migrationsminister Kaare Dybvad Bek
       zu Gast, ein Sozialdemokrat übrigens. Er hat dargestellt, wie schnell in
       Dänemark das Wählerpotenzial der Rechtsextremen von 20 auf 5 Prozent
       abgeschmolzen ist, nachdem man dort das Migrationsthema angepackt hat.
       
       Ihr Unionsfreund Daniel Günther arbeitet mit den Grünen zusammen – und das
       meist geräuschloser als Sie mit Hubert Aiwanger. Die AfD ist dort aus dem
       Landtag geflogen. Wie macht Günther das? 
       
       Das müssen Sie ihn selber fragen.
       
       Aber klingt das nicht attraktiv für Sie? 
       
       Ich glaube nicht, dass es da ein Patentrezept gibt. Wir haben ja in
       Deutschland die unterschiedlichsten Modelle. Ich möchte das
       schleswig-holsteinische Modell nicht bewerten. Aber für Bayern halte ich es
       nicht für geeignet. Wir haben hier einen klaren Regierungsauftrag für eine
       bürgerliche Koalition bekommen, und den führen wir auch aus. Das hat dem
       Land in den letzten Jahren nicht geschadet und wird ihm auch in Zukunft
       nicht schaden.
       
       Gleichzeitig haben Sie mit den Freien Wählern einen recht speziellen
       Koalitionspartner. Ist Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger mit seinen
       populistischen Parolen nicht eine ständige Belastungsprobe für die
       Koalition? 
       
       Aiwanger ist Parteivorsitzender der Freien Wähler. Deshalb äußert er sich
       zu vielen Themen. Und ich habe manchmal auch den Eindruck, er wird von den
       Medien etwas gehypt. Natürlich sind wir nicht mit allem einverstanden, was
       er sagt. Und das müssen wir dann eben auch von Fall zu Fall deutlich
       machen. Aber wir sind schließlich immer noch zwei unterschiedliche
       Parteien. Und schon bei der Europawahl werden wir wieder als Wettbewerber
       gegeneinander antreten.
       
       In Ihrem Stimmkreis hat der AfD-Mann Christoph Maier, ein strammer
       Rechtsextremist, 21,1 Prozent der Erststimmen bekommen. Sie kennen die
       Leute dort besonders gut – wie konnte das passieren? 
       
       Das ist schwer zu sagen. Es gab beim Wahlergebnis auch innerhalb des
       Stimmkreises große regionale Unterschiede. Ich denke, dass da viele
       Protestwähler dabei waren. Und natürlich hat auch das Thema Migration eine
       Rolle gespielt; gerade in kleineren Orten hat man die Überforderung der
       Kommunen sehr stark wahrgenommen. Aber ich habe den Stimmkreis mit 38,9
       Prozent der Erststimmen klar gewonnen – und das, obwohl ich als damaliger
       Gesundheitsminister nicht nur populäre Entscheidungen zu vertreten hatte.
       
       Man müsse die AfD inhaltlich stellen, heißt es gern. Ist der Erfolg der
       Partei wirklich auf inhaltliche Missverständnisse zurückzuführen? Die AfD
       macht sich doch noch nicht mal die Mühe zu kaschieren, dass sie außer Hass
       und Hetze nichts zu bieten hat. 
       
       Man muss es trotzdem ansprechen. Wenn wir jetzt in die Europawahl gehen,
       müssen wir schon klarmachen, für welche irren Ideen diese Partei wirklich
       steht, und darlegen, was für katastrophale Folgen es beispielsweise hätte,
       wenn wir die EU verließen.
       
       Sie haben Ihre Amtszeit als Fraktionschef gleich mal mit einem Plädoyer für
       die umstrittene Leitkultur begonnen. Warum? 
       
       Für mich ist Leitkultur verbunden mit den unverhandelbaren Werten, für die
       wir stehen: Toleranz, Freiheit, Rechtsstaat. Und dass sie diese
       akzeptieren, erwarten wir auch von Menschen, die zu uns kommen. Es wird
       keiner gezwungen, einen Schweinsbraten zu essen oder eine Mass Bier zu
       trinken, das ist nicht das Thema. Aber wenn wir jetzt beispielsweise beim
       Thema Antisemitismus sehen, dass Menschen zu uns kommen, die unsere Werte
       nicht teilen, müssen wir klare Linien ziehen. Wer auf der Straße
       antisemitische Parolen skandiert, darf nicht in unserem Land leben und muss
       sein Glück woanders suchen.
       
       15 Jan 2024
       
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