# taz.de -- Bauern, Baerbock, Brutalität: Einen Traktor müsste man haben
       
       > Unsere Autorin geht durch die Woche mit einem Bauern, einer Punk-Kuh und
       > Gedanken zum 7. Oktober. Alles, was fehlt, ist ein großes grünes Gefährt.
       
 (IMG) Bild: Die Städter sind beeindruckt: Bauern protestieren in Berlin mit ihren Traktoren, weil sie gerade viel Zeit haben
       
       Neulich war ich im Kuhstall mit Milchbauer Matze Everinghoff im schönen
       Emsland. Schon in den ersten fünf Minuten ist mir meine professionelle
       Distanz entglitten. Kühe sind einfach so hinreißend, dass einem das Wort
       „süüüüß“ rausrutscht, ohne dass man etwas dagegen tun kann. Der punkige
       Haarbüschel zwischen den Ohren, die Kulleraugen mit den langen Wimpern, die
       weiche Nase. Und als es dann auch noch zu den Kälbchen ging, da musste ich
       den Landwirt bitten, seinen kleinen Vortrag zu unterbrechen, weil ich ihm
       mittlerweile gar nicht mehr zuhören konnte.
       
       Bauer Matze hat für solche Gefühlslagen vollstes Verständnis. Er hat mir
       deshalb seine Lieblingskuh Annie und ihre drei Schwestern vorgestellt.
       
       Es hat also gedauert, bis wir schlussendlich bei dem Traktor ankamen, mit
       dem er immer blockieren geht, natürlich auch in dieser Woche. Wenn man
       neben den zwei Meter hohen Reifen steht, versteht man sofort, warum [1][die
       Bauernproteste] so wirkmächtig sind. Hätten die Pflegekräfte Traktoren,
       würden sie wahrscheinlich schon längst das Doppelte verdienen.
       
       Jedenfalls hat Bauer Matze einen Satz gesagt, den ich mir gemerkt habe:
       „Wie kann man nur so doof sein, Kürzungen im Winter zu verkünden, wenn alle
       Landwirte Zeit haben?“ Eine Erklärung wäre vielleicht, dass die Mitglieder
       der Bundesregierung sich für Kühe halten, bei deren Anblick alle nur noch
       „süüüüß“ denken und sich nicht mehr auf Inhalte konzentrieren können. Oder
       sie sind tatsächlich ein klein wenig doof.
       
       Eine weitere Möglichkeit wäre, dass Vizekanzler Robert Habeck nicht so viel
       von [2][„Hühner, Schweine, Kühe melken“ versteht, wie Frenemy Annalena
       Baerbock] im Wahlkampf einmal behauptet hat. Womöglich versteht er doch
       mehr von Dingen wie Völkerrecht als von Landwirtschaft und Jahreszeiten.
       
       Baerbock jedenfalls hat keinen Traktor und deshalb bricht der Frieden nun
       doch nicht aus. Eigentlich wollte die Außenministerin in Dschibuti über die
       Sicherheit der Seewege im Roten Meer sprechen. Die [3][Huthi-Rebellen im
       Jemen attackieren Handelsschiffe], die zu einem eingebildeten Bündnis mit
       Israel gehören. Baerbocks wichtige Mission scheiterte jedoch diese Woche
       daran, dass man vergessen hatte, für den Regierungsflieger eine
       Überfluggenehmigung für Eritrea zu besorgen. Mit einem Traktor wäre das
       nicht passiert.
       
       Hätte ich einen Traktor, wäre ich diese Woche womöglich in einen neuen
       Imbiss südlich der jordanischen Hauptstadt Amman gefahren, hätte Annie und
       ihre Schwestern abgeladen und sie mit ein paar aufmunternden Sprüchen zum
       Verdauungsvorgang aufgefordert. Der Imbiss trägt den Namen „7. Oktober“,
       das Datum also, das für den schlimmsten Massenmord an Juden nach dem
       Holocaust steht.
       
       Menschen wie UN-Generalsekretär António Guterres und andere Hamas-Versteher
       hätten natürlich grundsätzlich Zweifel, ob es sich bei „7. Oktober“
       tatsächlich um eine niederträchtige Hass-Botschaft handelt. Könnte es nicht
       sein, dass mit dem 7. Oktober einfach nur irgendein Datum oder der
       Hochzeitstag des Eigentümers gemeint ist? Oder der Geburtstag von
       [4][Wladimir Putin]? Und angenommen, es handelt sich tatsächlich um eine
       Hass-Botschaft, [5][sollte man sie dann nicht im Kontext sehen?]
       
       Nein, sollte man nicht. Wie wären wohl die Reaktionen, wenn in Berlin ein
       Restaurant mit dem Namen „Butscha 458“ eröffnet würde, [6][nach dem Ort, wo
       nach dem Rückzug russischer Truppen 458 ukrainische Leichen gefunden
       wurden], 419 davon mit Folterspuren? Es geht nicht allein um die Zahl der
       Opfer, sondern immer auch um die Bestialität ihrer Ermordung.
       
       Angesichts der vielen Krisen und Kriege wundert es nicht, dass sich immer
       mehr Menschen in Deutschland ins Private zurückziehen und sich nicht einmal
       mehr 40 Prozent regelmäßig über das Weltgeschehen informieren. Zumindest in
       dieser Hinsicht gab es diese Woche weitere Lichtblicke in Form von
       Anti-AfD-Demonstrationen. Eines hat mir bei diesen Protesten allerdings
       gefehlt: Traktoren!
       
       29 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Bauernprotest/!t5985152
 (DIR) [2] /Der-Tag-nach-der-Wahl/!5802995
 (DIR) [3] /Wegen-Huthi-Angriffen/!5986903
 (DIR) [4] /Russlands-Rueckkehr-in-den-Weltsport/!5923438
 (DIR) [5] /Israels-Krieg-in-Gaza/!5981361
 (DIR) [6] /Wiederaufbau-in-Butscha/!5921387
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Silke Mertins
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kolumne Der rote Faden
 (DIR) Bauernprotest
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Landwirtschaft
 (DIR) Alternative für Deutschland (AfD)
 (DIR) Schwerpunkt Demos gegen rechts
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Agrar-Proteste breiten sich aus: EU-Gipfel will Bauern einfangen
       
       Landwirte steuern nun Brüssel an, um Europas Staatschefs bei ihrem
       Sondergipfel unter Druck zu setzen. In Frankreich spitzt sich die Lage zu.
       
 (DIR) AfD-Verbot und Grundrechtsverwirkung: Mit Transparenz gegen rechts
       
       Juristische Schritte gegen die Rechtsextremen sind notwendig, ihre Risiken
       überschaubar. Sie könnten die Demokratie resilient gegen rechts machen.
       
 (DIR) CDU und Demos gegen Rechtsextremismus: Teilnahme dringend erwünscht
       
       Christdemokrat*innen bei Demonstrationen gegen Rechtsextremismus nicht
       dabeihaben zu wollen, ist ein Fehler. Es geht um die Demokratie.
       
 (DIR) Internationaler Gerichtshof: Kein Ende der Kämpfe in Gaza
       
       Der Internationale Gerichtshof weist den Antrag auf Einstellung der
       Angriffe ab. Israel müsse aber Maßnahmen ergreifen, um einen Genozid zu
       vermeiden.