# taz.de -- Agrar-Proteste breiten sich aus: EU-Gipfel will Bauern einfangen
       
       > Landwirte steuern nun Brüssel an, um Europas Staatschefs bei ihrem
       > Sondergipfel unter Druck zu setzen. In Frankreich spitzt sich die Lage
       > zu.
       
 (IMG) Bild: Protest auf der Autobahn A4 in der Nähe von Paris
       
       Paris/Brüssel taz | Die Bauernproteste in verschiedenen europäischen
       Ländern reißen nicht ab. [1][In Frankreich belagern die Landwirte seit dem
       Montag Paris.] In [2][Deutschland] waren am Dienstag noch Auswirkungen vom
       Montag zu spüren, als Landwirte mit Hunderten von Traktoren den Hamburger
       Hafen abgeriegelt hatten. Und in Belgien spitzt sich die Lage zu, nachdem
       es am Wochenende erste sporadische Proteste in der französischsprachigen
       Wallonie gegeben hatte. Landwirte legten am Dienstag die wallonische Stadt
       Namur mit 300 Traktoren lahm und störten den Verkehr auf dem Autobahnring
       rund um die Hauptstadt Brüssel.
       
       Am Donnerstag wollen sie den EU-Gipfel „besuchen“, der im Brüsseler
       Europaviertel tagt. Eigentlich soll es bei dem Spitzentreffen vor allem um
       Hilfen für die Ukraine gehen. Doch nun drängt der Bauernaufstand auf die
       Agenda. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron hat angekündigt, ihn zum
       Thema zu machen.
       
       Tatsächlich wird die Agrarpolitik ganz wesentlich von der EU vorgegeben,
       der größte Teil der Subventionen kommt aus Brüssel – und ist mit Auflagen
       zum Klima- und Umweltschutz verknüpft, die viele Landwirte als
       „überbordende EU-Bürokratie“ bezeichnen Hinzu kommen verschiedene
       Freihandelsabkommen, die in ihren Augen für „unfaire Konkurrenz“ aus
       Drittländern sorgen. Die Agrarimporte aus Ländern außerhalb der EU sind
       eines der Hauptmotive für die Wut der Landwirte. Sorgen bereitet ihnen die
       Ukraine, die den europäischen Markt mit günstigem Getreide versorgt, aber
       auch der geplante Vertrag mit den lateinamerikanischen Mercosur-Staaten.
       
       Der französische Landwirtschaftsminister Marc [3][Fesneau], der noch am
       Montagabend vergeblich mit einer Delegation des größten Bauernverbands
       FNSEA nach Lösungen gesucht hatte, plant, am Mittwoch in Brüssel „in einer
       Reihe von Unterredungen“ mit der EU die dringlichsten Fragen zu erörtern.
       Ziel ist, den französischen Landwirten möglichst bald „neue Vorschläge“
       unterbreiten zu können.
       
       ## Gewaltbereite Demonstranten in Belgien
       
       Der belgische Premierminister Alexander De Croo wollte sich noch am
       Dienstag in Brüssel mit Bauernvertretern treffen. Eine schnelle Lösung war
       aber angesichts der hitzigen Stimmung kaum zu erwarten. Die grüne
       wallonische Umweltministerin Céline Tellier etwa musste am Montag von der
       Polizei vor gewaltbereiten Demonstranten geschützt werden; ein Gespräch mit
       erbosten Bauern wurde abgebrochen. In Flandern postete die neue Partei Boer
       Burger Belangen ein Video, auf dem Galgen zu sehen waren, an denen
       Politikerpuppen aufgehängt waren. Später entschuldigte sie sich.
       
       Ein erstes gemeinsames Angebot der europäischen Staatschefs an die
       Demonstrierenden könnte darauf hinauslaufen, das Freihandelsabkommen mit
       dem Mercosur weiter auf Eis zu legen. Der Sprecher der EU-Kommission
       erklärte am Dienstag, aktuell seien die Bedingungen für eine Unterzeichnung
       „nicht gegeben“. Ähnlich hatte sich Macron geäußert, der am Rande des
       Gipfels mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen darüber sprechen
       will.
       
       Macron steht unter großem Druck. Mit den bisherigen Zugeständnissen bei den
       Agrar-Dieselpreisen und dem Versprechen einer drastischen Vereinfachung,
       den administrativen Papierkram zu vereinfachen, ist es der französischen
       Führung nicht gelungen, eine Eskalation der Bewegung zu vermeiden. Dennoch
       versprach Premierminister Attal in seiner Regierungserklärung am Dienstag
       ein weiteres Entgegenkommen.
       
       In der Provinz gingen die Aktionen indes weiter. Bei Toulouse wurde die
       Zufahrt zum Flughafen blockiert, Passagiere, die einen Flug gebucht hatten,
       mussten ein letztes Stück samt Gepäck zu Fuß zurücklegen.
       
       ## Badminton auf der Autobahn
       
       Selbst solche Behinderungen scheinen indes der enormen Sympathie, die die
       Bauernproteste in der Bevölkerung genießen, keinen Abbruch zu tun. Fast 90
       Prozent sagen in Umfragen, sie unterstützten die Forderungen. In Grenoble
       sorgte die Blockade der Autobahn A480 für ungewohnte Bilder: Leute
       spazierten auf der improvisierten Fußgängerzone, spielten Ball oder
       Badminton.
       
       Für die Ordnungskräfte wird diese Solidarität zu einem Problem.
       Innenminister Gérald Darmanin hat seine Beamten angehalten, „mit Mäßigung“
       vorzugehen, um Eskalationen zu vermeiden. Denn die sind absehbar: Am
       Dienstagmorgen durchbrach ein Konvoi von 200 Traktoren aus Agen nördlich
       von Limoges wegen einer Polizeisperre die Leitplanken der A20 Richtung
       Paris. Ihnen sei freie Fahrt bis vor die Hauptstadt zugesichert worden,
       „wenn sie uns für dumm verkaufen wollen, wird das schlimm ausgehen“, drohte
       ein Landwirt auf dem Fernsehsender BFM.
       
       30 Jan 2024
       
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