# taz.de -- Wirkungsorientiertes Haushalten: Eine Demokratie, die liefert
       
       > Es ist möglich, den Staat durch wirkungsorientiertes Haushalten vom Kopf
       > auf die Füße stellen. Das gilt auch jenseits der Bauernproteste.
       
 (IMG) Bild: Verstand kann auch anders verstanden werden: Eine Werbung vor dem Finanzministerium
       
       Haushaltsfragen, so scheint es, sind demokratische Schicksalsfragen, das
       zeigt sich auch auf den Straßen. Derzeit [1][sind es die Bauern], die die
       großen Städte des Landes lahmlegen. Aber muss das so sein? Muss es diese
       Konfrontationen geben, die am Ende schädlich sind für alle? Oder gibt es
       einen anderen Weg, übers Haushalten zu reden und die Verteilung von Geld –
       demokratische Kernaufgabe – zu praktizieren?
       
       Wir wollen hier einen ganz anderen Ansatz vorstellen, der nicht nur ein
       neues Verständnis von Haushalten bedeutet, sondern eine Weiterentwicklung
       der Demokratie für das 21. Jahrhundert – einer Demokratie, die flexibler
       ist, offener, weniger ideologisch, weniger konfrontativ, sehr viel mehr
       interessiert an Ergebnissen, pragmatisch und funktional. Einer Demokratie,
       die liefert.
       
       Momentan wird die Debatte ausgefochten zwischen denen, die mehr, und denen,
       die weniger sparen wollen – meist entlang eingeübter parteipolitischer
       Selbsterzählungen. Wenn die Politik aber übers Sparen debattiert, geht es
       vor allem um Zahlen – und viel zu wenig um Ziele und Wirkung oder darum,
       was wir als Gesellschaft mit dem Geld erreichen wollen. Die Debatte steckt
       in einer staatspsychologischen Sackgasse, bevor sie richtig angefangen hat.
       
       Um die Verteidigungshaltung von Ämtern, Ministerien und Interessengruppen
       zu überwinden, gibt es jenseits des Sparens oder Nichtsparens eine dritte
       Möglichkeit, die im Grunde den bisherigen Haushaltsprozess umkehrt: zuerst
       und zentral darüber zu debattieren, was mit dem Geld erreicht werden soll.
       Erst danach würden die Ausgaben festgelegt.
       
       Das würde bedeuten, dass die Regierung sich auf gemeinsame Wirkungsziele im
       jeweiligen Koalitionsvertrag einigte und in einem verbindlichen Format
       wie beispielsweise einem Haushaltsgesetz festlegte. Als Folge würden zuerst
       Wirkungsziele und nicht bestehende Ressortinteressen gegeneinander
       abgewogen und priorisiert – also Klimaschutz und Verkehrswende statt
       Umweltamt und Straßenverkehrsamt.
       
       Die einzelnen Ressorts, Ministerien und Ämter würden dann auf ihrer
       jeweiligen Ebene in einen Wettbewerb treten, wer das wirkungsvollste
       Programm zur Zielerreichung hat. Umweltamt und Straßenverkehrsamt wären
       gezwungen, in gemeinsamen Programmen und Prozessen zu denken – denn nur so
       können übergreifende Ziele bestmöglich erreicht werden. Erst danach werden
       die Gelder auf die Programme und Projekte verteilt.
       
       ## Auf allen Ebenen
       
       Ähnliche Ansätze gibt es nicht nur in Österreich und Finnland, sondern
       bereits in kleineren Kommunen in Deutschland. Hier führen begrenzte
       Ressourcen und schlankere Verwaltungsorganisationen zu zielorientierten und
       pragmatischen Haushaltsaufstellungen über parteiideologische
       Befindlichkeiten hinweg. Es werden klare Prioritäten gesetzt – eine
       autofreie Innenstadt oder ein großflächiger Ausbau von Windkraft zur
       eigenen Bedarfsdeckung – und ämterübergreifend umgesetzt.
       
       Gleiches sollte auch für größere Kommunen, Städte und Landkreise gelten.
       Zuerst sollte durch den Gemeinde- oder Stadtrat festgelegt werden, auf
       welche Wirkungsziele sich die jeweilige Gemeinde fokussiert. Will man
       zuerst die Verkehrswende vorantreiben oder die Energieversorgung umstellen?
       Die Ämter müssten Programme entwerfen und Umsetzungspfade vorschlagen – die
       Gelder würden also an die Ziele und nicht an die Ämter gekoppelt.
       
       Auch auf Landes- und Bundesebene hätte eine wirkungsorientierte
       Haushaltsstruktur transformativen Charakter. Hier sollte statt der
       berüchtigten Haushaltswoche im Bundestag zuerst eine Ziel- oder
       Wirkungswoche abgehalten werden. Die Gelder würden nicht in unflexible
       Einzelpläne gegossen, aus denen sie kaum mehr zu befreien sind. Das
       bedeutete, dass die Diskussion sich nicht um den [2][Abbau von Subventionen
       oder Sozialleistungen] dreht, sondern darum, welche Vorhaben,
       Förderprogramme und Subventionen die gemeinsamen Ziele erreichen. Die
       Diskussion über die Dieselsubventionen in der Landwirtschaft würde
       gezwungenermaßen vom Ziel her geführt werden. Auseinandersetzungen finden
       immer noch statt, aber fokussiert auf die Frage, wie etwa die Ziele der
       Ernährungssicherung Deutschlands, der fairen Bezahlung der
       Landwirt:innen und der Reduktion der Treibhausgase erreicht werden
       könnten. Erst danach würde bewertet, ob die Subvention von Diesel im
       Agrarsektor der wirksamste Weg ist.
       
       ## Zur Rechenschaft verpflichtet
       
       Gleichzeitig muss gelten: Wer sich Ziele setzt, muss daran auch gemessen
       werden. Es braucht einen Haushaltsausschuss, der nicht nur beschließt und
       anschließend seine Budgets vergisst, sondern die Werkzeuge dazu hat, die
       Regierung zu begleiten und zu prüfen, wie die Gelder ausgegeben werden.
       Damit würde auch die Macht des Parlaments gegenüber der Regierung oder
       Exekutive gestärkt – ein weiterer Demokratisierungseffekt. Gleichzeitig
       sollten sowohl die Kämmerer als auch der Bundesrechnungshof in den
       Kompetenzen und Methodiken befähigt und ermächtigt werden, Evaluationen und
       Kosten-Wirkung-Analysen durchzuführen, und Letzterer zu einem
       Bundeswirkungshof aufgewertet werden.
       
       Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das den Nachtragshaushalt von
       2021 für verfassungswidrig erklärte, eröffnet damit die Debatte und auch
       eine große Chance, um das Haushaltssystem, also die Logik der
       Staatsausgaben, endlich den Anforderungen unserer Zeit anzupassen. Die
       Grundsätzlichkeit, mit der gerade breit diskutiert wird, hat das
       Möglichkeitsfenster weit aufgestoßen. Jetzt sollten wir es nutzen.
       
       Die Entscheidungstragenden sollten sich jetzt an einem anderen,
       mittlerweile zwei Jahre alten Urteil des Bundesverfassungsgerichts
       orientieren und das Wohl der zukünftigen Generationen im Blick haben. Um
       dieses zu sichern, braucht es ein Haushaltssystem, das die Wirkung ins
       Zentrum rückt.
       
       21 Jan 2024
       
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