# taz.de -- Reform des Familienrechts: „Kinder dürfen kein Puffer sein“
       
       > Ein neues Familienrecht soll Frauen und Kinder besser vor häuslicher
       > Gewalt schützen. Für Expertin Ricarda Herbrand geht die Reform nicht weit
       > genug.
       
 (IMG) Bild: Frauen und Kinder sollen besser vor häuslicher Gewalt geschützt werden
       
       taz: Frau Herbrand, wird sich das Leben von Familien in Deutschland
       verbessern, wenn das Familienrecht so reformiert wird, [1][wie das
       Justizministerium es skizziert hat]? 
       
       Ricarda Herbrand: Teilweise. Die Pläne enthalten sehr moderne Ansätze, so
       sollen Regenbogenfamilien [2][mehr Rechte bekommen]. Helfen kann ihnen auch
       das „kleine Sorgerecht“. Damit sollen neben den rechtlichen Eltern bis zu
       zwei weitere Personen Sorgerechtsbefugnisse bekommen können. Das könnte
       auch für manche Alleinerziehende sinnvoll sein, wenn beispielsweise eine
       Freundin der Mutter das Kind mitbetreuen kann, und zwar rechtssicher.
       Enttäuschend sind allerdings die Pläne zum Schutz vor häuslicher Gewalt.
       
       Warum? 
       
       Deutschland hat 2017 die [3][Istanbul-Konvention] ratifiziert und sich
       damit völkerrechtlich verpflichtet, Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu
       bekämpfen. Das passiert aber bisher [4][nicht ausreichend]. Die Reformpläne
       knüpfen da jetzt an: Familienrichter*innen sollen in die Pflicht
       genommen werden, Anhaltspunkte für häusliche Gewalt systematisch zu
       ermitteln. Gut ist auch, dass ein gemeinsames Sorgerecht nicht mehr in
       Betracht kommen soll, wenn es Gewalt gegenüber dem Kind oder der Mutter
       gibt.
       
       Warum sind Sie trotzdem unzufrieden? 
       
       In den Reformplänen fehlt eine Definition von Gewalt. Das klingt banal, ist
       aber wichtig. Der Großteil von häuslicher Gewalt passiert nicht körperlich,
       sondern psychisch. Das meint Demütigung, Beleidigung, Gaslighting, und kann
       schlimme Folgen haben. Die Opfer werden zerrüttet. Die Istanbul-Konvention
       benennt deswegen explizit vier Formen von Gewalt gegen Frauen, die der
       Staat bekämpfen soll: körperliche, sexuelle, psychische und finanzielle.
       Die Reform des Justizministeriums zielt nur auf das veraltete Verständnis
       als körperliche Gewalt.
       
       Psychische Gewalt ist für Gerichte aber auch schwerer zu ermitteln als ein
       blaues Auge. Was bräuchte es, um das zu erleichtern? 
       
       Man muss bei den Richter*innen ansetzen. In der Beratung unserer
       Rechtshotline für Alleinerziehende hören wir immer wieder, dass Betroffene
       von Partnerschaftsgewalt vor Gericht nicht ernst genommen werden. Ihnen
       wird nicht zugehört, nicht geglaubt. Viele Richter*innen wissen nicht,
       wie sich häusliche Gewalt auswirkt. Sie kennen die Täterstrategien nicht,
       können das Verhalten im Gerichtssaal nicht richtig einordnen.
       
       Die Ampel-Regierung hatte deswegen im Koalitionsvertrag festgeschrieben,
       dass Richter*innen einen Anspruch auf Fortbildungen zu dem Thema
       bekommen sollen. Der steht im Eckpunktepapier nun nicht drin. 
       
       Das ist fatal. Dabei bräuchten nicht nur die Richter*innen Fortbildungen
       zum Thema, sondern alle, die mit Gewaltbetroffenen arbeiten. Auch die
       Sachverständigen, Verfahrensbeistände, Jugendamtsmitarbeiter*innen.
       
       Die Reform will auch das Umgangs- und Sorgerecht im Trennungsfall neu
       regeln. Das Wechselmodell soll gesetzlich verankert werden, bei dem ein
       Kind abwechselnd bei beiden Elternteilen lebt. Was halten Sie davon? 
       
       Rund fünf Prozent der getrennt lebenden Familien in Deutschland
       praktizieren heute das Wechselmodell. Jetzt soll es als eine unter vielen
       Möglichkeiten in das Gesetz kommen. Für Familien, die sich nach der
       Trennung gut einigen können – und das sind ja zum Glück die meisten –, kann
       das Wechselmodell eine Möglichkeit sein, benötigt aber einige
       Voraussetzungen. Bei Trennungspaaren, die im Konflikt miteinander sind, ist
       ein gerichtlich angeordnetes Wechselmodell keine gute Idee.
       
       Warum nicht? 
       
       Kinder sollten nicht als Puffer den Konflikt zwischen Erwachsenen befrieden
       müssen. Es bringt sie in Loyalitätskonflikte, wenn sie sich hälftig
       aufteilen müssen, damit es für die Eltern gerecht ist. Auch für Eltern wird
       das Wechselmodell nicht zum Frieden führen, nur weil sie ihr Kind
       paritätisch betreuen. In Fällen von Gewalt sollte das Wechselmodell
       zwingend ausgeschlossen werden. Hier braucht es zuerst Schutz für die
       Gewaltopfer, Kinder wie Mütter.
       
       Das klingt, als sähen Sie für Trennungsfamilien keinen Fortschritt durch
       die Reform? 
       
       Für Familien, die die Betreuung der Kinder ohne große Konflikte regeln
       können, bringt die Reform Erleichterung. Bei streitigen Fällen kommt es
       darauf an, wie das Gesetz genau aussehen wird. Kritisch sehen wir auch die
       Neuregelung zur einseitigen Sorgeerklärung von unverheirateten Vätern. Wenn
       die Mutter nicht widerspricht, erhält der Partner direkt das Sorgerecht.
       Schon heute erklären über 90 Prozent der Elternpaare die gemeinsame Sorge.
       Bei den übrigen gibt es meist gute Gründe dagegen, zum Beispiel
       Gewaltverhalten. Diese Mütter werden nun noch mehr unter Druck gesetzt.
       
       18 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anne Fromm
       
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