# taz.de -- Universal-Inhalte auf TikTok entfernt: Leise zirpen die Grillen
       
       > Universal Music hat TikTok Millionen von Songs entzogen und fordert mehr
       > Geld für Künstler*innen. Viele von ihnen sind auf die Plattform
       > angewiesen.
       
 (IMG) Bild: Einer, der ohne TikTok wohl nicht zum Star geworden wäre: Rapper Ski Aggu aus Berlin
       
       „Seit meine [1][TikTok]-Sounds offline sind, kann ich endlich wieder das
       echte Leben in der Natur spüren“, sagt [2][der Berliner Rapper Ski Aggu]
       gewohnt humorvoll in einem aktuellen TikTok-Beitrag. Ohne die aus China
       betriebene Kurzvideo-App wäre er heute wahrscheinlich kein Star. Seinen
       ersten Nummer-eins-Hit hatte er letzten Sommer dank der Neuinterpretation
       des Otto-Waalkes-Songs „Friesenjung“ und einer geschickten TikTok-Kampagne,
       in der er sich mit dem Komiker zeigte.
       
       Seit Donnerstag sind die Videos, die den Song bewarben, jedes
       Hunderttausende Male aufgerufen, stumm. „Sound wurde wegen
       Urheberrechtsbeschränkungen entfernt“, steht als Hinweis am Bildschirmrand.
       Ski Aggus Kanal wirkt nun geisterhaft. Minutenlang kann man sich durch
       Videos wischen, sieht ihn tanzen und in die Kamera rappen, sieht johlende
       Menschenmengen bei Konzerten, nur hört man dazu nichts.
       
       Auch die [3][Songs von Taylor Swift] sind betroffen, dem aktuell
       erfolgreichsten Popstar der Welt. Die des Rappers Drake, der oftmals auf
       virales Marketing setzte, oder die der TikTok-affinen Sängerin Olivia
       Rodrigo. In manchen ihrer Videos ist noch Musik zu hören. Klickt man aber
       auf das Schallplattensymbol, das normalerweise ermöglicht, einen
       Songausschnitt selbst weiterzuverwenden, erhält man eine Fehlermeldung.
       
       Die Situation ist noch uneinheitlich. Klar ist: Betroffen sind die
       Künstler*innen der Universal Music Group und ihrer Tochterfirmen.
       
       ## Problem mit KI-generierter Musik
       
       Universal ist neben Warner und Sony das wichtigste Musiklabel der Welt, hat
       am globalen Musikmarkt einen Anteil von knapp einem Drittel. Nun hat es
       seinen Lizenzvertrag mit TikTok nicht verlängert. Das Unternehmen nennt
       dafür mehrere Gründe, allen voran niedrige Tantiemen. Vergleichbare
       Plattformen würden für die Verwendung der urheberrechtlich geschützten
       Musik ein Vielfaches bezahlen, heißt es in einem Statement von Universal.
       Zudem ermutige TikTok aktiv dazu, KI-generierte Musik einzusetzen. Das
       könne echte Musiker*innen verdrängen. Dabei sei das Geschäftsmodell von
       TikTok auf deren Rücken aufgebaut.
       
       In diesem Punkt hat Universal zweifellos recht. Nach den Anfängen als App
       für Tanz- und Lip-Sync-Videos ist TikTok heute ein soziales Netzwerk, auf
       dem alle möglichen Inhalte stattfinden. Musik ist aber ein integraler
       Bestandteil. Selbst die BookTok-Szene, die sich eigentlich mit Literatur
       beschäftigt, untermalt Videos mit Songs – bevorzugt natürlich mit jenen,
       die auf der App gerade im Trend liegen. Es ist also ein starker
       Verhandlungshebel, den Universal betätigt hat: die Kataloge einiger der
       größten Pop- und auch Internetstars der Welt zurückzuziehen.
       
       Andererseits ist die Musikindustrie abhängig von TikTok. Die Plattform ist
       ein Taktgeber. Ein Beispiel: „Es war keine Phase, Mama! Es ist ein
       Lifestyle“, rief Ende 2020 ein TikTok-Nutzer in die Kamera und drehte dann
       auf seinem Autoradio die Zweitausenderjahre-Pop-Punk-Band All Time Low laut
       auf. Das kurze Video setzte den Grundstein dafür, dass Pop-Punk wieder ein
       Ding und aus den Charts nicht mehr wegzudenken ist.
       
       ## TikTok-Nutzer*innen nehmen es mit Humor
       
       Auseinandersetzungen zwischen Tech- und Musikindustrie, vor allem in Bezug
       auf Fragen zu Lizenzierung und Vergütung, gibt es mindestens seit Beginn
       des Online-Musikvertriebs. Warner ließ 2008 seinen Katalog bei YouTube
       verstummen. Erst neun Monate später gab es eine neue Einigung. In der
       Zwischenzeit hatten Künstler*innen protestiert, weil ihnen
       Aufmerksamkeit durch die Lappen ging.
       
       Diesmal könnte es ähnlich laufen: Ski Aggu ist nicht der Einzige, der ohne
       TikTok vermutlich keine Konzertarenen füllen könnte. Im Statement von
       Universal wird von einer „Auszeit“ gesprochen. Je länger die dauert, desto
       mehr Druck werden Künstler*innen machen, weil ihnen ein wichtiger
       Marketingkanal fehlt. Ob die besseren Tantiemen, die das Label aushandeln
       will, das kompensieren können, ist völlig unklar.
       
       TikTok-Nutzer*innen reagieren auf die Ereignisse derweil mit Humor. Die
       Tanzgruppe Bronx Sistas rappt in einem Video einfach selbst den Song von
       Ski Aggu, der zu ihrer Choreografie gehört. Andere unterlegen Videos mit
       Grillenzirpen und erklären so die unwirkliche Atmosphäre der stumm
       geschalteten TikToks zum Trend.
       
       7 Feb 2024
       
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